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Professor Friss über die Zauberer bei den Lappen. 317 losen Zustande schlagen sie um sich auf Freund und Feind mit dem, was sie gerade in den Händen haben oder zunächst erreichen können, Axt oder Messer; sprechen unverständlich und benehmen sich im Ganzen genommen so wie die, welche plötzlich den Verstand verloren haben und in Apathie ver sinken. Wenn sie nach längerer Ruhe wieder zu sich kom men, haben sie keine oder doch nur eine verworrene Erinne rung an das Geschehene. Castrsn berichtet, daß er selbst und absichtlich bei einer Lappenfrau den vorbeschriebenen Zustand hervorrief, indem er sie plötzlich zum Tode erschreckte, wobei er nahe daran war, die Nägel der Frau in seinem Gesichte zu fühlen. Da diese eigenthümliche Nervosität in Lappland allge mein ist, so hat der Lappe in seiner Sprache ein besonderes Wort dafür, welches beweist, daß des Lappen einsames Leben auf jenen öden und tristen Tundras die Ursache seiner Ner venabspannung ist. Bisweilen zeigte sich diese Nervosität bei einzelnen In dividuen in einem ungewöhnlichen Grade, wie z. B. bei Kindern, welche oft krank waren, phantasirten, Fiebercrschei- nungen und schwere Träume hatten; man glaubte, daß solche Individuen ganz besonders passend für das Noaiden- amt seien. Sie wurden deshalb von älteren Zauberern un terrichtet und in die Hexenkunst eingeweiht. Worin aber dieser Unterricht bestand und wie die Zauberkunst gelehrt wurde, darüber verlautbarten die Zauberer nichts; denn das Ansehen, worin sie standen, beruhte zum Theil darauf, daß sie ihre Künste geheim hielten, wie es heute die Taschen spieler noch thun. Die Hauptsache bei dem Noaidendienste waren und sind heute noch bei den Völkern des höchsten Nordens die Zau berlieder, Hexereiformeln, unverständliche Sprache, Erklä rungen unerklärlicher hieroglyphischer Figuren, allerlei Mum merei und Behängen mit Hexenputz und -Geschmeide. Sobald ein Candidat alle diese Künste inne hatte, wurde er auf folgende Weise in sein Amt eingeführt: Es wurden mehrere Noaiden geladen, welche sich in einer Lappengamme oder einem Lappenzelte versammelten. Der älteste Scha mane und der erwähnte Candidat setzten sich außerhalb der Thür zur Gamme oder zum Zelte so, daß ihre Beine dicht aneinander lagen und auf diese Weise den Eingang sperr ten. Darauf begann der junge Noaide Zauberlieder zu singen und dabei die Zaubertrommel tüchtig zu schlagen. Wenn auf diese Weise herzugerufen sich Geister aus der an dern Welt einfanden und über die Füße der vor der Thür Sitzenden hinwegschritten, um in das Zelt oder in die Gamme zu gehen, so kam es darauf an, daß nur der Can didat bemerkte, wie die Geister feine Beine berührten und über dieselben zur Eingangsthür schritten, während der alte Noaide nichts von solcher Geisterberührung gespürt hatte, wohl aber an anderen Zeichen bemerkte, daß Geister da gewesen seien. Nach dieser sinnlosen Ceremonie wurde der Candidat sogleich zum Noaiden ernannt, und von dieser Stünde an mußte ihn Jedermann als richtigen Noaiden er kennen. Wie beim Götzendienst dem Volke von den Schamanen allerlei Hocuspocus vorgemacht wurde, so verstanden sie auch eben so gut wie unsere Universalmittelerfinder, als Aerzte die Lappen zu narren. Wenn auch nicht geleugnet werden kann, daß unter den Lappen bis auf den heutigen Tag gewisse medicinische Er fahrungsregeln durch Unterricht vom Vater auf den Sohn übergehen und auf diese Weise zum Familienerbe werden, und wenn es auch bekannt ist, daß Einzelne unter den Nord-' Völkern durch Nachdenken und Erfahrung sich nicht allein Kenntnisse der Natur, und Verstand, verschiedene äußere, körperliche Schäden zu heilen, erworben haben, so werfen doch die meisten dieser Naturärzte dem Volke Sand in die Augen, indem sie demselben eine Menge Gaukeleien vor machen. Vorerst führen sie bei ihren Manipulationen eine fremde, ganz unverständliche Sprache, oder sie wenden ge wöhnliche lappische Worte an, aber in einer Bedeutung, wie die Menge sie im täglichen Leben gar nicht gebraucht. Die wichtigste ärztliche Verrichtung der Noaiden besteht nicht darin, zufällige körperliche Gebrechen durch verschiedene äußere passende Mittel zu heilen, sondern ein richtiger Noaide muß eine Tour in das Reich des Todes unternehmen kön nen, um von dort Rath und Hülfe zu holen. Die Lappen haben nämlich den Glauben, daß alle gefährlichen Krank heiten, wozu sie keinen erweislichen äußern Anlaß und wo gegen sie kein bestimmtes Mittel kennen, von ihren eigenen verstorbenen Verwandten herrühren. Diese seien es, welche in solchen Fällen die kranken Verwandten bei sich haben woll ten, entweder als Gesellschafter oder um sie für das eine oder andere Vergehen zu strafen. Wenn nun eine Krank heit eine solche Ursache hätte, so könne cs doch selbstverständ lich nichts nützen, Hülfe in natürlichen Mitteln zu suchen, sondern ein Noaide müsse, um sie zu holen, eine Reise in das Reich des Todes machen, in der Absicht, die Todten zu überreden, von ihrem Verlangen abzustehen, oder sie durch Versprechen von Opfern zu versöhnen. Wenn eine solche Reise vorgenommen werden soll, so werden vorher Männer und Frauen, alle im größten Staate und Putze, versammelt; der Noaide stimmt seine Zauber lieder an und schlägt die Hexentrommel immer heftiger und heftiger. Dann wirft er die Trommel weg, fällt auf die Knie, hält die Hände vor das Gesicht, beugt sich bald hier hin, bald dahin Und benimmt sich immer mehr und mehr wie ein Wahnsinniger, bis er endlich ohnmächtig umfällt und im Starrkrampfe zu liegen scheint, denn man kann weder Leben noch Athem bei ihm gewahren. In diesem Zustande kann er sich wohl eine Stunde lang erhalten. In zwischen darf ihn Niemand berühren, ja es darf ihm nicht einmal eine Fliege zu nahe kommen, weshalb man sie sorg fältig von ihm abhält. Während sein Körper in Ohnmacht lag, reiste sein Geist durch Hülfe seines Schutzengels in das Reich des Todes. Hier hat er nun oft einen harten Kampf zu bestehen mit den verstorbenen Verwandten, wenn sie nicht darauf eingehen wollen, daß dem Kranken gestattet werde, noch eine Zeit auf der Erde zu leben. Jedoch lassen sie sich meist erweichen, wenn ihnen dieses oder jenes Opfer ge bracht wird. Bisweilen soll es sich jedoch auch ereignen, daß sich die verstorbenen Verwandten schlechterdings durch kein Opfer be wegen lassen und da muß der Kranke halt sterben. Ob übrigens die Angelegenheit zum Leben oder Tode steht, erfährt man nicht eher, bis der Ohnmächtige durch einen anwesenden andern Noaiden mittelst allerlei Gauke leien wieder zu Sinnen und Verstände gebracht worden ist *). *) Uebersetzt von Dr. Mehwald.