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294 Washington aus ihm vorgcschrieben wird; er ist förmlich Sklav der Partei. Sobald die Gegenpartei ans Ruder kommt, ist es Auf gabe der Ausgcfegtcn, Alles aufzubieten, um bei den Wahlen wieder die Mehrheit zu bekommen; mit einem Siege gelangt man auch wieder zu den vielersehnten Aemtern. Deshalb ist in dem weiten Gebiete der Union niemals politische Ruhe, es wird unablässig hinüber und herüber agitirt und das Wasser immer trübe erhalten. Nur in einem solchen Ele mente befinden sich die Handwerkspolitiker wohl, und wenn ja einmal die „Fragen" erschöpft worden sind oder lang weilig werden, — flugs wird ein neuer Gegenstand in den Vordergrund geschoben, ein „issus", und wo möglich ein neues Programm im Interesse der Partei aufgestellt, eine „Platform" gezimmert. Die Presse der Partei bemächtigt sich desselben, die Blätter der Gegenpartei bekämpfen es, und das Volk, das „Stimmvieh mit dem allgemeinen Stimm recht", dieses votinA cattla, wird in die Katzebalgereien hineingczogen. Die Corruption war schon vor 30 Jahren geradezu grauenhaft, aber seit der Herrschaft der radical-republikani- schen Partei, seit Lincoln, hat sie in einer Weise um sich gefressen, die geradezu schreckcncrregend ist. Von Massa chusetts bis Californien, von Wisconsin bis Texas, — Alles ist Corruption. Täglich, aber auch täglich, sind die Blätter mit Nachweisen von Betrügereien angefüllt, und es ist eine seltene Ausnahme, wenn einmal ein Dieb oder Betrüger, der sich an Staatsgeldern vergriffen hat, bestraft wird. Po litische Ehrenhaftigkeit und strenge Rechtschaffenheit sind bei Politikern und Beamten mir Ausnahmen. Wir begreifen, weshalb die Deutschen, von denen verhältnißmäßig wenige in den Strudel dieser allgemeinen Niedertracht gerathcn sind, darauf dringen, daß man, den Humbug der gegenwärtigen Parteien bei Seite werfend, eine Partei der ehrlichen Leute bilden solle. Wir gehen gelegentlich auf die Art und Weise, wie der Staat planmäßig und systematisch betrogen wird, näher ein und zeigen an Beispielen und an Personen, wie es mit der Moral und dem Zartgefühl der Politiker und der Beamten bestellt ist. Jetzt nur eine Notiz. „Am 22. Mai 1869 verkauften Joseph R. Jones und Frau an Ulysses Simpson Grant 79 Acres Land in Cook County, in welchem Chicago liegt, für einen Dollar. An demselben Tage wurde Joseph R. Jones zum Ministerresidenten der Vereinigten Staaten in Brüssel ernannt; Jahresgehalt 7500 Dollars." So macht Präsident Grant Diplomaten. Wir wollen heute den Lesern des „Globus" einen Ein blick in das Treiben der Lobby in Washington geben. Das Wort bedeutet ein Vorzimmer, eine Vor halle. Das Zigeunerpolitisch der Aankees hat daraus ein Zeitwort gebildet, to Iobt>^. Ein Mensch, der sich in den Vorsälen des Congreßgebäudes und auf den Galerien um hertreibt, um Einfluß auf die Repräsentanten und Sena toren zu gewinnen, und diese für irgend welchen „Job" zu gewinnen, ist ein lobd^ msmbsr. Solch ein Lobbymitglied ist Agent für irgend einen Privatmann, eine Körperschaft, z. B. eine Eisenbahncompagnie, die ein für sie vortheilhaf- tes Gesetz durch die Staatslegislatur oder durch deu Con- greß bringen möchte. Der Lobbymann, der sich auf den Rummel versteht, wird natürlich für seine Bemühungen reichlich bezahlt. Diese Agentenwirthschaft ist nun längst mit dem politischen Leben der Nordamerikaner auf das Engste verwachsen, sie ist eine Landesinstitution, die in ein System gebrachte Gaunerei, und unter diesen Agenten hat sich ein einflußreicher Ring gebildet. Einen interessanten Einblick in die wüste Lobbywirth- schaft gewährt der Bericht, welchen ein Correspondent des „New York Herold" eingeschickt hat. Der Mann war be auftragt, allen Schlichen der Agenten nachzuspüren, und er hat sich seines Auftrages gewissenhaft entledigt. Im Folgen den geben wir den wesentlichen Inhalt seiner sehr ausführ lichen Mitteilungen. — Ein rechtschaffener Advocat, welcher vor irgend einem Ausschüsse des Congresses offen und ehrlich eine Sache be fürwortet, kann nicht getadelt werden; er nimmt das Inter esse seiner Clienten wahr. Allein der rechtschaffenen Advocaten ist eine so sehr geringeZahl, daß ich mich mit denselben weiter nicht zu befassen brauche. Ausnahms- wcis erscheint wohl ein redlicher Mann vor einem Aus- schusse, um einer guten Sache das Wort zu reden, aber im Allgemeinen sind die Fürsprecher unzuverlässig, unglaubwür dig und gewissenlos. Sie existircn davon, daß sie schlechte Sachen mit schlechten Mitteln betreiben und sind durch die Corruptionisten, mit denen sie unter einer Decke stecken, sel ber corrumpirt. Durch den Krieg ist die Lobby noch viel schlechter geworden, als sie ohnehin schon war. Es ist keine leichte Aufgabe, die Lobby zu classificiren. Jede an und in den Congreß gebrachte Maßregel hat eine eigene Lobby, welche nach dem Project oder den Plänen, für welche sie wirkt, benannt wird. Im Winter 1871 auf 1872 spielten die Dampfschiffsubsidien-Lobbies eine Haupt rolle, neben ihnen die Eisenbahn- und Landschenkungs-Lob- bies, die Baumwollcnsteuer-Lobby und der Indianer-Ring. Lobbyisten (— wir wollen, der Kürze wegen, von nun an dafür: Agenten sagen —) sind: 1) Leute ohne Einfluß, die sich jedoch eines solchen rühmen. 2) Leute, die man vorschiebt, Mitglieder des Congresses zu „sehen", und die solche Arbeit der Rings thun, welche die Öffentlichkeit nicht zu scheuen hat. 3) Excongreßmitglieder. 4) Congreßmitglieder. Die erste Classe ist die zahlreichste. Diese Subjecte lie gen unablässig auf der Lauer, um kleine Jobs zu fischen und Menschen mit geringer Erfahrung auszubeuten; sie nehmen denselben einige Dollars ab für den angeblichen Einfluß, welchen sie bei diesem oder jenem Repräsentanten oder Senator haben. Es sind nichtsnutzige Creaturen, kleine Diebe. Die der zweiten Elaste gucken schon aus ganz anderen Augen. Sie machen sich an Leute von Einfluß, treiben sich in den Vorzimmern umher, fassen Congreßmitglieder ab und unterhalten nahe Beziehungen mit den Comitesecre- tären und den Thürstehern. Gelegentlich ragt das eine oder andere dieser Subjecte über die Menge hervor, wie jetzt z. B. Johnny Roach nnd Sam Ward; diese stehen da wie ge waltige Eichen zwischen Schößlingen. Roach hat eine Schiffs werft zu Chester in Pennsylvanien; er ist eine Spccialität und betreibt nur Schiffsbaujobs. Er gilt übrigens für den Obmann der industriellen Lobby und nennt seine Eisengie ßerei „einen internationalen Congreß von Arbeitern". Er ist ein Irländer, schon in hohen Jahren, fing als gewöhn licher Arbeiter an, hat cs aber durch Willenskraft zu seiner heutigen Stellung gebracht und glaubt an die Allmacht der Druckerschwärze. Durch ihn, so meint oder sagt er wenig stens, kann dem arg daniederliegenden Schiffsbau wieder aufgeholfen werden, — wenn man ihm den Bau der erfor derlichen Dampfer überträgt und Millionen von Dollars Substdien für die Fahrten obendrein giebt. Er hat sich erboten, 20 Dampfer für 13 Millionen Dollars herzustel len; in Schottland würden sie nur 10 Millionen kosten.