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282 Theodor Kirchhoff: Streifzüge in Oregon und Kalifornien (1871). wenig Neues. Statt durch das Thor von Sana nach Ma- sib einzugehen, wo man immer ein fcharfes Auge auf alle Ankömmlinge hat, umging er die Stadt und betrat sie von der andern Seite. Halsvy fand die Stadt in tiefer Trauer und die Be wohner in der größten Entblößung. Die Abida hatten sie vor einigen Tagen überfallen und gänzlich ausgeraubt. Er setzte sich auf einen Stein vor dem Hause des Scherif, in der Hoffnung, daß, wie dies Sitte ist, ihn dort Jemand gastfreundlich aufnehmen werde, denn er war ohne alle Le bensmittel und auf dem Markte gar nichts zu kaufen. Seit der Plünderung waren keine Verkäufer gekommen. Wirklich fand sich ein Bürger, der ihn zum Essen mit sich nach Hause nahm. Da dieser ihn aber nicht beherbergen konnte, mußte er außerhalb der Stadtmauern in der sogenannten Salomon- Moschee schlafen. Am andern Morgen war die ganze Stadt in Aufregung. Die Hülfstruppen von Scherifen aus dem Gof, die der Scheich von Masib gegen die Abida aufgerufen hatte, kamen unter Getrommel und haarsträubender Musik an. Diese Aufregung hatte das Gute, daß Niemand auf den Reisenden achtete, der sich ganz sicher zu fühlen anfing und in aller Gemüthsruhe in der Stadt umherging, um sich eine Wohnung auszusuchen, wo er einige Tage ausruhen wollte. Da aber tauchte ein neuer Peiniger auf, und zwar einer der schlimmsten, in der Person eines gewissen Musellil, Geschäftsführers eines indischen Renegaten, der in Sana wohnt und einen vortheilhaften Handel mit Alterthümern, Bronzetafeln, Jnschriftsteinen u. s. w. betreibt, die er nach Aden an die Engländer verkauft. Durch Musellil's Hände sind die meisten jener Bronzetafeln gegangen, die jetzt das britische Museum bereichern. Dieser Musellil witterte bald in Halsvy einen Concurrenten in Bezug auf Alterthümer. Ihn Inschriften abschreiben zu lassen, das drohte auch dem Geschäft nachtheilig zu werden Md die Alterthümer im Werth herunterzubringen. Zudem ist es Grundsatz bei diesen ara bischen Antiquaren, alle Europäer von Masib, dieser Fund grube von Bronzetafeln, fern zu halten. Es ist keine Frage, daß Musellil den Europäer in Halsvy entdeckte. Hätte er ihn als solchen denuncirt, sein Leben wäre gefährdet gewesen. Aber zum größten Glück für den Reisenden sollte die Sana- Karawane soeben abgehen, und Musellil war Karawauen chef und mußte sie begleiten. Er hatte also nicht Zeit, ihm den größten Schaden zu thun, aber doch dazu, ihm einen Freund auf den Hals zu Hetzen, der ihn von nun an keinen Augenblick aus dem Gesicht verlor. Musellil selbst mußte abreisen, that es aber mit der Drohung, dem „Ungläubigen« in Sana seine Rache fühlen zu lassen. Obgleich der neue ihm aufgedrungene Begleiter den Rei senden nicht geradezu mißhandelte, so war er ihm doch im höchsten Grade unangenehm und hinderlich. Er beobachtete jede seiner Bewegungen, und war hauptsächlich bestrebt, ihn am Abschreiben der vielen Inschriften, die sich beim Markt platz befinden, zu hindern. So war es denn ganz unnütz, länger in Masib zu bleiben. Halsvy begab sich deshalb nach dem zwei Stunden westlich gelegenen sogenannten Damm von Saba, dem berühmten Sidd-el-Arem. Der Weg dahin führt über einen immensen Friedhof. Der Boden scheint mit menschlichen Gebeinen wie durchstampft, die theils zermalmt sind, theils wie Feldsteine hervorstehen. Viele der Gräber haben eine ganz andere Form, als die gewöhnliche arabische. Hier und da sieht man selbst antike Baureste, einige sogar mit sabäischen Inschriften, als Grabsteine von Moslems benutzt. Mitten in einem Steinhaufen, der ein Grab bedeckte, bemerkte Halsvy den Torso einer kolossalen Marmorstatue, sowie ein Fußstück derselben von ausgezeichnet kunstvoller Arbeit. Es war jedoch viel zu schwer zum Mit nehmen. Streifzüge in Oregon und Californien (1871). Von Theodor Kirchhoff. III. Das westliche Oregon. — Die klimatische Scheidewand des Cascade-Gebirges. — Die Thäler des Willamette, Umpaua und Rogueflusses. — Postkutsche vsrsus Eisenbahn. — Waldbrände und deren Ursachen. — East Portland. — Mit der „Oregon- und California-Eisenbahn" nach Salem. — Oregon City. — Die „Fälle des Willamette". — Romantisches Flußpanorama. — Der Damm im Willamette. — Riesiger Frachtzug. — Obst und Weizen. — Die deutsche Colonie Aurora. — Dr. Keil, der „König von Aurora". — Die „French Prärie" und ihre Bewohner. — Die Thalebene von Salem. Ehe ich mit der Beschreibung meiner Ueberlandreise von Portland nach Californien beginne, will ich in Kurzem einige allgemeine Bemerkungen über die geographifche Lage, die physikalische und klimatische Beschaffenheit rc. des westlichen Oregon voranstellen, durch welches meine Reiseroute lag. Das westliche Oregon umfaßt denjenigen Theil dieses Staates, welcher, zwischen der Gebirgskette der Cascade Range und der Seeküste liegend, im Norden vom Columbia und im Süden von Californien begrenzt wird, und hat eine Breite von durchschnittlich l10 englischen Meilen von Ost nach West, bei einer Länge von 275 Meilen von Norden nach Süden; er enthält ungefähr 31,000 englische Qua dratmeilen (der ganze Staat Oregon umfaßt 95,274 eng lische Quadratmeilen) und ist in jeder Beziehung der wich tigste Theil des Staates, mit dem überwiegend größern Theile seiner Bevölkerung. Während das östliche Oregon, welches sich von der Cascade Range bis zum Schlangenflusse (suaks rivsr) erstreckt, aus vielfach von Quergebirgszügen und Schluchten (Canons) zerrissenen Plateaus besteht, weite Ein öden in sich schließt, nur hier und da kleinere für den Acker bau zu verwerthende Thäler birgt und seine Hülfsquellen, besonders im Hochlande, in Weideplätzen und dem Ertrag von Goldplacers findet, ist das Flachland des westlichen Oregon vorwiegend auf den Ackerbau hingewiesen. Das Klima des westlichen Oregon ist in Berücksichtigung seiner geographischen Lage ein außerordentlich mildes und gleich mäßiges und ist dem des nördlichen Georgia ähnlich. Nur wenig Schnee fällt im Winter und bleibt selten länger