Volltext Seite (XML)
270 Der Welthafen Schanghai in China. die Hin- und Herbeförderung der eigenen Nothwendigkeits- artikel der Chinesen. Die wichtigste und bedeutendste dieser Compagnien ist die sogenannte „Schanghai Steam Navi gation Company", welche 17 große Dampfer besitzt, von denen die Mehrzahl nach demselben Princip wie die ameri kanischen Mississippi-Dampfer gebaut ist. In dem letzten Jahre sind ihre Actien 100 Procent gestiegen und ihre Ge schäfte fortwährend so blühend, wie man sich nur denken kann. Man könnte zu der Annahme versucht sein, daß unter solchen Umständen hier der vortrefflichste Anlaß zur Verwendung europäischer Capitalien vorläge, und daß dies um so leichter sein müßte, als man auf die bereits gewon nene Erfahrung bauen könnte. So sieht es aus bei dem ersten Anblick; aber einen Versuch damit machen, würde nichts anderes sein, als nutzlos Zeit zu verlieren und Geld wegzuwerfen. „The Schanghai Steam Navigation Com pany" ist nicht immer so glücklich gewesen wie in den bei den letzten Jahren; nur durch tausend Widerwärtigkeiten hat sie in allen Richtungen ökonomisiren gelernt, und aus diesen Erfahrungen hat sie sich in den Sinn gesetzt, hier keinen Andern Vortheil ziehen zu lasten. Dem Namen nach existirt eine Oppositions-Compagnie; doch vermag diese nicht mehr als zwei Dampfer in Gang zu halten. Die Schanghai Steam Company hat ihr unter der Hand die Mittheilung gemacht, wenn sie mit mehreren den Versuch machen wollte, so würde sie (Schanghai Steam Company) eine Zeit lang die Fracht frei nehmen, was auch wirklich schon einige Mal ge schehen ist, und die natürliche Folge wird der Sieg des größern Capitales sein. Der Grundsatz der Compagnie ist, daß es besser sei, eine schwache Opposition zu haben, als gar keine; denn die fruchtlosen Versuche derselben, festen Fuß zu fassen, wirken abschreckend, und obgleich die Compagnie gar nichts zu fürchten hat, so ist es Vortheilhafter und auch angenehmer zu arbeiten, ohne immerwährend gestört und von neuen Spe- culanten belästigt zu werden. Das Einzige, was die Thä- tigkeit dieser Compagnie hemmen könnte, wäre die Anlage von Eisenbahnen; doch ohne noch einen Krieg mit den Ein geborenen geführt zu haben, werden wir in unseren Tagen schwerlich den Pfiff einer Locomotive in China vernehmen. Ist man so weit gekommen, so wird dies für die Europäer eine neue Aera werden, und erst dann wird man aus den reichen Hülfsquellen dieses Landes vollständigen Nutzen zie hen können. Nicht bloß die Regierung und die Mandarinen widersetzen sich aus allen Kräften der Anlage von Eisen bahnen, sondern auch die unteren Classen, welche sonst gegen die Ausländer freundlich gestimmt sind, würden ein solches Unternehmen mit scheelen Blicken sehen, weil dasselbe auf ihre Begräbnißplätze unbedingt eine störende Einwirkung ausüben würde. Die Chinesen begraben nämlich ihre Todten überall, und an manchen Stellen sieht es aus, als wäre das ganze Land ein einziger großer Kirchhof; und die Ruhe irgend eines Verstorbenen zu stören, wird als der größte Vandalismus betrachtet. Um sich einen richtigen Begriff von den großartigen In teressen zu bilden, welche hier auf dem Spiele stehen, braucht man nur auf die neulich veröffentlichten Zollberichte einen Blick zu werfen. Aus diesen ersieht man, daß der Werth der Einfuhrartikel von 51,000,000 Taels im Jahre 1864 auf 69,000,000 Taels im Jahre 1870 gestiegen ist. In derselben Zeit ist der Werth der Ausfuhrartikel von 54,000,000 auf 61,000,000 Taels gestiegen. Dies giebt einen hinlänglichen Beweis wie wichtig es ist, daß den euro päischen Nationen tractatenmäßige Gerechtsame aufrecht er halten werden. Da Schanghai der Mittelpunkt des chine sischen Handels ist (wenn Hongkong als eine englische Co lonie betrachtet wird), so kann man sich aus diesen Zah len einen Begriff von der Wichtigkeit der Stadt machen. Außerdem kann man aus den oben erwähnten Tabellen eine andere merkwürdige Thatsache ersehen, die in diesem Jahre noch mehr in die Augen fallend ist, nämlich die Anzahl der ein- und ausclarirten Fahrzeuge hat trotz des zunehmenden Handels abgenommen. Die Erklärung dieser Erscheinung ist jedoch nicht schwer: sie ist einzig und allein eine Folge des großen Zulaufes der Dampfschiffe in den letzten Jahren; diese sind beinahe sämmtlich größer als die segelnden Fahr zeuge, und daher ist die Tragfähigkeit der ankommenden und abgehenden Fahrzeuge größer, wenn auch ihre Anzahl abge nommen hat. Die Verbindung mit Europa wird von hier durch zwei regelmäßige Dampferlinien aufrecht erhalten, nämlich 1) Pen- insular and Oriental Steam Navigation Company von Lon don jeden vierzehnten Tag, und 2) Compagnie des Messa- geries Maritimes von Marseille ebenfalls jeden vierzehnten Tag. Wegen der beständigen Klagen Uber das Verkommen von Thee und Seide an den verschiedenen Zwifchenstationen ha ben diese beiden Gesellschaften vorgeschlagen, ihre großen Dampfer von Schanghai direct nach Europa abgehen zu lasten, ohne wie bisher die kleineren Schiffe an den verschie denen Zwischenstationen anzuwenden, wodurch alle Umladun gen vermieden werden würden. Die französische Gesellschaft machte den Anfang mit der hiesigen Post am 4. Octobcr 1871. Die beiden Compagnien erhalten Unterstützung von ihren resp. Regierungen. Außer diesen haben wir von Lon don Holt's Dampfer, an Zahl 12 bis 14, welche regelmä ßig durch den Suezcanal gehen, und nun hat auch eine deut sche Gesellschaft drei große Dampfer von Hamburg abge schickt. Dieses sind jetzt die regelmäßigen Linien zwischen Europa und China; man kann aber wahrscheinlich für die Zukunft annehmen, daß eine doppelt große Anzahl von Dam pfern diese Tour machen wird. Bei dem Beginne der Thee saison in Hanken kommen nämlich nicht weniger als 10 Dampfer von England, um die Waare nach London über zuführen. Daß das plötzliche Auftauchen einer solchen Flot tille ihren Einfluß auf den Frachtenmarkt ausüben wird, ist klar, und besonders werden die Küstenfahrzeuge davon lei den; denn da diese Dampfer hauptsächlich auf die Retour frachten rechnen, so sind sie willig, niedrige Raten zwischen den Küstenhäfen anzunehmen, wenn nur die Expedition schnell ist. Wir sahen im vorigen Sommer, welche jWir- kung das hatte, und es ist wahrscheinlich, daß auch künftig eine gleiche Anzahl von dem relativ guten Verdienst ange lockt werden wird. Das Einzige, was abschreckend wirken kann, besteht für tiefgehende Meerfahrzeuge in der Schwie rigkeit, den Nangtse-Fluß zu befahren, und wenn sie etwas verdienen wollen, so müssen sie hinaufgehen bis nach Hankeu. Mehrere derselben blieben in dem Schlamme stecken und es gelang ihnen erst mit großen Kosten und nach mehreren Tagen wieder flott zu werden. Von diesen Dampfern wa ren zwei russische; man behauptet auch, daß noch mehrere im Bau begriffen sind und daß man die Absicht hat, eine regelmäßige Linie zwischen Odessa und China zu errichten. In Futschen und Hongkong sind in diesem Jahre meh rere außerordentliche Dampfer mit Thee und Seide direct nach London befrachtet worden, woraus man ersehen kann, daß die Dampfschifffahrt ziemlich lebhaft gewesen ist. Wir haben auch die Nachricht erhalten, daß in Schott land zwei neue China-Dampfer vom Stapel gelaufen sind und daß zu mehreren für diese Linie bestimmten der Kiel bereits gelegt ist.