Volltext Seite (XML)
Der Welthafen Schanghai in China. und Nebenflüssen nach jedem Theile des Reiches transportirt wird, daß es uns in Verwunderung setzen muß, daß die Europäer nicht schon längst die Vortheile begriffen haben, welche sie durch eine Niederlassung an der Mündung dieses Flusses ernten könnten. Erst im Jahre 1842 wurde Schang hai geöffnet; aber kaum war das geschehen, so machte der Handel riesenhafte Fortschritte. Schanghai liegt unter 31° 14' nördl. Br., also ungefähr mit Alexandria in Aegypten und Charleston in Süd-Caro lina unter gleicher Breite. Es ist angelegt an dem Flusse Whampoa, welcher sich etwa 12 englische Meilen weiter ab wärts in den Nangtse ergießt. Es ist oft behauptet worden, daß es für die Europäer vortheilhafter gewesen sein würde, wenn sie in Woosung, einem kleinen Dorfe an der Mün dung des Jangtse-Flusses, festen Fuß gefaßt hätten; aber wenn dies auch in mancher Rücksicht glücklich gewesen sein würde, so findet man doch, daß cs nothwendig ist, mit Schanghai in einer nähern Berührung zu stehen. Da der Whampoa für die größten Handelsfahrzeuge schiffbar ist, so ist auch nicht eben viel verloren, indem der Bortheil, die Eingeborenen zur Hand zu haben, die kleinen Nachtheile, welche aus der Lage Schanghais in der Entfernung einiger Meilen von dem Jangtse-Flusse herfließen, vollständig auf- wicgt. Die ganze Gegend an der Mündung ist ein niedriges Küstenland, das ohne Zweifel in der Länge der Zeit durch die Anschlämmungen des Flusses gebildet worden ist. In einem Umkreise von 30 englischen Meilen erblickt man nicht eine einzige Höhe. Das Land ist vollkommen eben und durchschnitten von einer unzähligen Menge kleiner Canäle, dabei ausgezeichnet fruchtbar. Wegen der Lage der Stadt, überall von meistens stillstehendem Wasser umgeben, hegte man die Furcht, daß dieselbe für die Europäer ein ungesun der Wohnort werden würde. Auch betrachtete man das dor tige Klima mehrere Jahre für Viele als gefährlich; seitdem aber die Stadt gleich anderen Städten mit Kloaken versehen und drainirt ist, ist es besser geworden, und in den Monaten vom 1. October 1870 bis zum 31. März 1871 hat die Sterblichkeit nur 13, oder für das ganze Jahr 26 per Mille betragen, während sie 1864 bis 1867 auf 38 per Mille stieg- Schanghai hat in den letzten Jahren keinen Besuch von irgend einer epidemischen Krankheit gehabt, während andere Städte in diesen Fahrwassern nicht so glücklich ge wesen sind. So herrschten im vorigen Jahre die Blattern in einem beunruhigenden Grade in Japan sowohl unter den Europäern als auch unter den Eingeborenen. Die Krank heiten, welche hier am meisten Vorkommen, sind intermitti- rende Fieber, Diarrhöe, Dysenterie und Rheumatismus. Selbst in den Sommermonaten , wo das Thermometer bis auf 96° F. im Schatten steigt, kann man nicht behaupten, daß dieses Klima für die Europäer gefährlich ist; nur muß man so vorsichtig sein, in der Sonnenhitze nicht ohne einen guten Schutz auszugehen, und man kann es den Seeleuten, welche diese Gewässer befahren, nicht genug einschärfen, daß sie in dieser Hinsicht genau sind. Es sind leider in diesem Sommer mehrere Fälle von Sonnenstich vorgekommen, so gar noch am 17. September starb ein Mann, weil er in der Mittagshitze ohne den nöthigen Schutz ausgegangen war. Ist man gezwungen, draußen zu arbeiten, so sollte man im mer einen Sonnenhut aufhaben; kann man sich aber aus der einen oder andern Ursache einen solchen nicht anschaffen, so sollte man immer wenigstens einen Filzhut mit breiter Krampe tragen, versehen mit einem Stück Leinwand, so daß der Nacken gut geschützt ist. Auch ist ein feuchtes Taschen tuch in dem Hute zu empfehlen. Schiffsführer sollten im Sommer ihre Besatzung der Sonne nie mehr aussetzen, als unumgänglich nothwendig ist, und in der wärmsten Zeit wird man die Verwendung chinesischer Arbeiter vortheilhafter finden, als seine eigenen Leute auf eine so gefährliche Probe zu setzen. Den Besatzungen muß überdies die Gefahr des zu vielen Trinkens, sowohl des Wassers als starker Getränke, eingeschärft werden; abgekühlten Thee mag man zu jeder Zeit trinken, und jeder Arzt wird ihn als den gesundesten Trank während der Sommerzeit empfehlen. Den Engländern wurde zuerst ein Stück Land abgetre ten, und gleich darauf ließen sich die Franzosen und Ameri kaner zu beiden Seiten derselben nieder. Das „Settlement" der Engländer hat die Vortheilhafteste Lage. Auch dauerte cs nicht lange, so ließen sich noch andere Nationen nieder. Da der englische Consul nicht berechtigt war, Steuern von diesen zu erheben, so wurde cs bald nothwendig, die Mittel zur Aufrechthaltung der Straßen und Wege, zur Polizei und Anderes mehr durch Subscription anzuschaffen, und es wurde von allen Besitzern von Land und Hausplätzen ein Comitö erwählt, um diese Angelegenheiten zu überwachen. Dies war der Ursprung der Municipal-Direction, welche in einer Reihe von Jahren ihre Aufgabe gelöst hat, in der gro ßen Stadt, zu welcher das Settlement der Engländer sich erweitert hat, die Ordnung aufrecht zu erhalten. Zweimal ist Schanghai mit einem Angriffe bedroht wor den; zuletzt 1862 von den Taiping-Rebellen; doch wurden diese durch ein kräftiges und entschlossenes Auftreten nicht allein von ihrem Angriffe auf die Stadt abgehalten, sondern auch gegen 20 englische Meilen zurückgeworfen. Nach den bekannten Mordscenen in Tientsin fürchtete man, daß auch hier Unruhen ausbrechen würden, und bildete zu gegenseiti gem Schutze ein etwa 800 Mann starkes Corps von Frei willigen, welches nebst den Soldaten und Matrosen, die man von den hier stationirten englischen und anderen Kriegs schiffen ans Land setzen kann, im Stande ist, die Eingebo renen in Schach zu halten, bis man durch den Telegraphen von Hongkong und Japan eine gehörige Stärke rcquiriren kann. Die Chinesen halten hier auf dem Flusse zwar ein paar Kanonenboote; da aber diese nur mit Eingeborenen besetzt sind, so würde nicht viel erforderlich sein, um sie lahm zu legen. Die Art der Chinesen in der Kriegführung be steht besonders darin, in der Ferne mit Trommeln und Ka nonen großen Lärm zu machen, bis die eine der kriegführen den Parteien es aus dem einen oder andern Anlässe in den Kopf bekommt, daß die Stärke der Gegner überlegen ist; hat man dies erst begriffen, so streckt man das Gewehr; und auf diese Weise vernimmt man Berichte über große Feld schlachten, ohne daß ein einziger Tropfen Blut geflossen ist. Werden dagegen die Chinesen von Europäern angeführt, fo sollen sie eine nicht geringe Tapferkeit entwickeln. Was Hongkong für das südliche China ist, das ist Schanghai für die mittleren und nördlichen Provinzen. Bei nahe alle Exportartikel, die wichtigsten, wie Thee und Seide, sowie unzählige andere Waaren, finden den Weg nach Schanghai, wo sie verkauft und exportirt werden. Dieser Export geschieht mit fremden Dampfern und Se gelfahrzeugen, und eben so ist es mit allen europäischen und amerikanischen Einfuhrartikeln. Daß man nicht lange mit dem schneckcnartigen Waaren- transport der Chinesen zufrieden sein konnte, ist an und für sich selbst klar, und schon seit 10 Jahren sind zwei Dampf schiff-Compagnien in Thätigkeit gewesen. Sie finden Be schäftigung thcils durch die Beförderung europäischer Waa ren nach Ningpo, Tschinkiang, Kiukiang, Hanken, Tschifu und Tientsin, theils Thee und Seide nach Schanghai zu bringen, sowie außerdem durch Personenverkehr und durch