Volltext Seite (XML)
266 Ein Mordprophet bei den argentinischen Gauchos. Provinzen. Sandfltichen und Grasebenen wechseln mit be waldeten Gegenden. Der Horizont ist unsicher; er ver schwimmt in farbigen Wolken und leichten Dünsten mit Himmel und Erde. Vielfach liegen berittene Indianer auf der Lauer; in Mondscheinnächten stürmen sie aus ihren Schlupfwinkeln hervor und überfallen, gleich einer Meute Hyänen, Herden und Hirten. Dann und wann ziehen schwer fällige Wagenkarawanen über die Ebenen, immer zur Ab wehr gerüstet und ausspähend, ob von einer Jndianerhorde plötzlicher Uebcrfall drohe. Sie sind auch gegen Schlangen und Tiger auf der Hut. Auf dem flachen Lande, in der Campana, ist man an die Unsicherheit des Lebens gewöhnt, nnd die Bewohner haben selbst im Angesichte des Todes eine gewisse stoische Entsagung. Die nördliche Region hat vielfach ausgedehnte Gestrüpp wälder, die mittlere bildet einen breiten Gürtel, in welchem baumlose Flächen mit Wald abwechseln, der zuletzt einem langen, stacheligen Haidekraute Platz macht, aber an den Flußufern wieder erscheint. Den ganzen Süden nehmen die Pampas ein, welche gleichsam einen Grasocean bilden. In diesem tummelt sich der Gaucho (Gautscho) umher, der Nachkömmling der spanischen Abenteurer und Freibeuter, welche seit 1535 an den La Plata kamen. Er hegt einen wahren Abscheu gegen Alles, was Schifffahrt heißt; ein Fahrzeug auf dem Wasser gilt ihm für ein Gefängniß, und auch heute, 1872, sind fast alle Schiffe, die auf den herr lichen Strömen, dem La Plata, Uruguay, Paraguay und Parana, unter argentinischer Flagge segeln, im Besitze von Europäern, vorzugsweise Italienern. Bis in unsere Tage hinein waren diese prächtigen Wasserwege für die Entwicke lung von Land und Volk ohne alle Bedeutung; erst 1852 sind sie dem Verkehr eröffnet worden. Ueber das weite Land liegen vierzehn Provinzialhaupt städte zerstreut, zumeist mit nur wenigen Tausend Einwoh nern; sie allein waren bis vor wenigen Jahren und bis zum Bau von Eisenbahnen Mittelpunkte der Civilisation und dessen, was an Bildung vorhanden ist. Sie haben die Antriebe zum Fortschritt von Ausländern erhalten, deren Zahl beträchtlich anwächst; im Jahre 1871 sind etwa 40,000 Europäer eingewandert. Diese besitzen den größten Theil der Schaf- und Rindviehherden; sie bauen die Schienenwege und befördern den Ackerbau; ohne sie wäre weder an geistige noch materielle Entwickelung zu denken. Die Stadt ist eine Gesittungsoase in der Wildniß; Dörfer giebt es in den Pam pas nicht, nur vereinzelte Gehöfte und da und dort wohl auch einen Weiler. Der Stadtmensch kleidet sich europäisch; er weiß, was Gesetz ist, hat Schulen und eine städtische Verwaltung, denkt auch wie ein europäischer Mensch. Der Landbewohner bildet zu ihm einen diametralen Gegensatz; er hat eine andere Tracht, andere Sitten, andere Denkungsart und will von dem Städter nichts wissen; dieser steht ihm wie ein Fremder gegenüber, und auf dessen Luxus und gesittete Umgangsfor men blickt er mit Verachtung. Er ist vorzugsweise Reiter, Viehzüchter, ein halbwilder Hirt, aber kein eigentlicher No made, denn der Boden, auf welchem er sein Vieh weidet, ist sein unbestrittenes Eigenthum. Auf diesem lebt er ver einzelt, sein nächster Nachbar wohnt Stunden weit von ihm entfernt, und er kommt nur mit seines Gleichen, nur mit anderen „Estancieros", inBerührung. Es giebt keine Land gemeinde, keinerlei Zusammenhang, keine Schulen, aber viel Aberglauben. Der Gaucho ist ein leidenschaftlicher Spieler. Die Knaben üben sich früh im Handhaben der Fangschnur und der Wurfkugeln an Kälbern und Ziegen, lernen reiten, bändigen Füllen. Der Gaucho, dessen Blut stark gemischt ist, hat nichts Spanisches mehr an sich, den dicken Aberglauben und die Sprache ausgenommen. Bei ihm hat sich, in der wilden Natur, ein hochfahrender, unbändiger Charakter herausge arbeitet; er verachtet, wie schon bemerkt, den Menschen, wel cher in der Stadt friedlichen Beschäftigungen nachgeht, und der nicht einmal einen wilden Bullen oder ein ungebändig tes Pferd einfangen kann. Und hat solch ein Stadtbewohner schon einen Kampf mit einem Tiger bestanden, hat er den Poncho um den linken Arm gewickelt, diesen dem Katzen- thiere in den Rachen gerannt und ihm das Messer bis ans Herz in den Leib gestoßen? Auf den Europäer namentlich, den er für einen schlechten Reiter hält, blickt er schon des halb mit Verachtung. Als Soldat ist er ausdauernd, muthig und grausam. Denn von frühester Jugend an ist er an Blut gewöhnt, das Abschlachten eines Menschen steht ihm auf gleicher Linie mit jenem eines Ochsen. Er hat einen kräftigen Körperwuchs, zu arbeiten braucht er nicht, weil seine Herde ihn mit Allem versorgt. Er steht als ein Ori ginal da und ist von den Begriffen und Anschauungen civi- lisirter Menschen unberührt. Diese verschiedenen Eigenthümlichkeiten erklären sich theils aus der Beschaffenheit des Landes, des Bodens und des Kli mas, aber vorzugsweise vom ethnologischen Standpunkte, auf den ich besondern Werth für die Würdigung des Gaucho charakters lege. Die Abenteurer, welche in der ersten Hälfte des sechszehnten Jahrhunderts an den La Plata kamen, stammten vorzugsweise aus dem südlichen Spanien, ins besondere aus Andalusien und Valencia, also aus Provinzen, wo ein halbes Jahrtausend lang die Mauren herrschten, und wo die Bevölkerung überwiegend arabisch-mauri sches und berberisches Blut in ihren Adern hatte. Südspanien ist ja ohnehin ein gemildertes Afrika. An den La Plata kamen diese Mauro-Hispanier, diese afrikanisch europäischen Blendlinge, fast ohne Weiber; sie nahmen des halb indianische Frauen und daraus entstand ein Mischlings geschlecht, das im Fortgange der Zeit immer frisches Blut aus dem einen oder andern Typus bekam. Diese Mestizen erhielten außerdem eine, wenn auch verhältnißmäßig schwache Zuthat von Negerblut, und heute bilden die Blendlinge, ein sehr zahlreiches Geschlecht, eine ziemlich gleichartige Masse. Gleich allen Mischlingen, welche aus grundverschiedenen Typen hervorgehen, taugt dieser ethnische Bastard nicht viel, ist trag und ohne Betriebsamkeit in den Städten, und auf dem platten Lande ist er Gaucho *). *) Ueber den Gaucho in Uruguay fällt Darwin, ckouriml »k rosearoke» iuto tke natural di^torv anä A60I0AV ob tke countriea visiteä äuriuZ tke vo^ago ot II. bl. 8. LeaZle ronnä tke vorlll, llonäon, Ausgabe von 1860, S. 156, ein Urtheil. Er fand den Landbewohner dort besser als den Stadtbewohner. „Der Gaucho ist stets gefällig, höflich und gastfreundlich; mir kam kein Beispiel von Rohheit oder Ungastlichkeit vor. Er ist bescheiden, sowohl in Betreff seiner selbst als seines Landes, und zu gleicher Zeit ein aufgeweckter, kecker Mensch. Aber es wird auch viel Blut vergossen und viel ge raubt, und es ist traurig zu hören, wie viele Menschenleben wegen unbedeutender Veranlassungen verloren gehen. Jeder sucht, wenn es zum Streite gekommen ist, das Gesicht seines Gegners zu zeichnen, indem er nach dessen Nase oder Augen hauet; man sieht oft tiefe und große Narben. Räubereien sind eine natürliche Folge von all gemeiner Spiel- und Trunksucht und von Faulheit. In Mercedes fragte ich zwei Menschen, weshalb sie nicht arbeiteten? Der eine entgegnete in vollem Ernst: die Tage seien zu lang, und der andere, er sei zu arm." Wo da die „guten" Eigenschaften stecken, ist uns unklar, und wir halten uns lieber an Domingo Sarmiento, den gegenwärtigen Präsidenten der argentinischen Republik, welcher iu seinem vortrefflichen Werke' Viän äe ssaeunäa HuiroAN i aoxeoto Zunä» eäicion, Suntioxo 1851) p. 11—64 eine meisterhafte Schilde rung seiner Landsleute entworfen hat. Darwin traf am Rio Colorado ein Lager des Generals Rosas; er sagt von diesen argentinischen GauchoS: „Ike solckiers rvere