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264 Heinrich v. Maltzan: Joseph Halovy's Reise in Arabien. seine Ehrfurcht vor dem Reisenden, dem „Zauberer", wuchs seitdem außerordentlich. Diese Scherife vom Gof scheinen eine ganz andere Stel lung einzunehmen, als diejenigen von Süd-Uemen. Dort haben sie zwar den höchsten religiösen, aber auch im gewöhn lichen Leben sich geltend machenden Rang, sind übrigens durchaus unkriegerisch und machtlos. Im Gof dagegen ver dingen sie sich als Hülfstruppen bei dem herrschenden Stam- mesoberhaupt und seinen Stammesmitgliedern, während sie nebenbei doch dieselben theatralischen Privilegien besitzen, wie im Süden. Aber sicher können sie nicht mehr jenen höch sten aristokratischen Rang einnehmen, da sie gewissermaßen Söldlinge geworden sind. Dies sind also die zwei herrschen den Classen. Die untergebenen sind die Raye (Unterthanen), von denen ich in einigen früheren Nummern berichtet habe („Globus" Nr. 7, 8, 9), und unter diesen stehen die Juden. Halsvy sagt nichts davon, ob es im Gof auch Paria giebt. Er nennt übrigens höchst richtig alle jene Staude „Ka sten", denn das sind sie in Wirklichkeit. Merkwürdig ist aber der Name, welchen man im Gof den Raye (despotisch beherrschten Unterthanen) giebt. Man nennt sic Garawi (Karawi). Dies bedeutet „Leute, die mit der Schrift ver traut sind." Dies sind die Städter, welche allein Schulen haben und allein eine gewisse Bildung besitzen. Auch in Hadhramaut, Uasia, im Lande nördlich von Aden findet sich ganz dasselbe. Ich staunte oft darüber, daß alle Städter, die doch eine so tiefe Stellung einnehmen, lesen und schrei ben können und ihren Zwingherren, den Kebail, weit an Bildung überlegen sind. Aber hier sind eben feudale Zu stände. Galt es nicht auch in Europa im Mittelalter für ein Kennzeichen eines mächtigen Feudalherrn, daß er in den Künsten des Friedens durchaus unerfahren war? Zur Feu dalzeit hielt man es eines „großen Herrn" für unwürdig, lesen und schreiben zu können, und am Hofe Heinrich des Dritten von Frankreich konnte man noch zum Herzog von Epernon sagen: „Vous n'stss pas assen Zranä ssixnsur pour ne pas savoir Iiro." Also „Nichtlesenkönnen" war ein Privilegium der Vornehmen. Ganz so ist es noch in Arabien, und die „Freunde der Schrift" bilden die tiefste, verachtetste Kaste. Auf den Garawi ruhen alle Lasten, mit einziger Ausnahme der des Waffendienstes, dessen sie unwür dig erachtet werden. In jeder Ortschaft, wo Garawi wohnen, octroyirt sich der Delegirte der herrschenden Stam- mesmacht ihnen als sogenannter Gar, ein Wort, das buch stäblich die unschuldige Bedeutung „Nachbar" oder „Gast- sreund" hat, das aber in Wirklichkeit Zwingherr, Steuer erheber, Gelderpresser, Blutaussauger sagen will. Einem solchen Gar müssen sie Alles opfern, und wenn sie überhaupt noch etwas behalten, so verdanken sie es eben der Gnade dieses „Gastfreundes". Diese „Unterthanen" vererben sich förmlich, wie ein Besitzthum. Dasselbe gilt von den Juden. Aber nicht nur allen Besitz der „Unterthanen", sondern auch Alles, was die Reisenden mit sich führen, betrachten die herrschenden Stämme als ihr Eigenthum. Sie rauben nicht, wenn sie eine Karawane plündern, sondern sie nehmen nur, was ihnen von Rechts wegen gehört. Da jedoch bei solchen Grundsätzen jeder Handel unmöglich wäre, so begnü gen sie sich in gewöhnlichen Zeiten mit Abgaben. Tritt aber Hungersnoth ein, was alljährlich vor der Ernte der Fall ist, so plündern sie rücksichtslos. Halsvy wurde einige zwölf Mal gänzlich ausgeplündert. Er hatte aber seine Vorsichtsmaßregeln ergriffen. Er trug nur immer das Al- lernothwendigste für die Reise von einer Ortschaft zur an dern bei sich. Die von ihm copirten Inschriften, seine Sammlungen rc. ließ er jedesmal in Händen des Rabbiners des Dorfes, wo er zuletzt war, und vertheilte so sein Gut auf einige 20 Stationen. Dennoch wurde ihm später Alles richtig nach Sana geschickt. Statt Geld nahm er kleine Anweisungen, förmliche Creditbriefe, einen besonder» für jede Ortschaft, wo Juden wohnten. Das Raubsystem ihrer Zwingherren hat nämlich die Juden dazu gebracht, eine Art von Wechsel und Creditbriefen, wie in Europa, einzuführen, natürlich ohne unsere geschulten Formen und in viel klei- nerm Maßstab. Geld hatte er übrigens nur für Führer aus zugeben. Die Gastfreundschaft der Juden und oft auch die von Beduinen, die weniger Vorurtheile haben und den Kudsi nicht selten beherbergten, war stets unentgeltlich und reich lich. Man gab ihm sogar fast immer noch die Wegzehrung mit. Von jenem Engpaß des Gebel Aam gelangte Halsvy in zwei Tagereisen über Megzar nach Ghail, Hauptort des untern Gof. Der Gof ist nicht, wie auf unseren Karten angegeben, das Land um Masib, sondern das Land nördlich davon. Man unterscheidet drei Abtheilungen des Gof; erstens den untern, etwas nördlich vom 16. Breiten grade und ungefähr unter 45" 20' östl. L. v. Gr. Nord östlich von ihm, doch ziemlich nahe der Hauptstadt, beginnt der mittlere Gof, auch Beled Hamdan genannt, mit der Hauptstadt Hazm. In nordwestlicher Richtung, etwa unter dem 17. Breitengrade, liegt der obere Gof, Hauptort La- hir. Durch alle drei fließt ein perennirender Fluß, der Wadi Charid, derselbe, dessen Quellen Halsvy bei Schiraa sah. Er fließt eine Zeitlang unter dem Gebel Aam durch, ähnlich wie die Rhone zwischen Genf und Lyon sich auf eine kurze Strecke verliert. Der untere und mittlere Gof sind reiche, fruchtbare Länder. Im Alterthum müssen sie eine wichtige Rolle gespielt haben, denn der Boden ist bedeckt mit den prachtvollsten Ruinen, Marmortempeln, Festungen, Schlößern. Halsvy entdeckte einige zehn antike Städte, da von drei Hauptstädte mit theils sehr wohlerhaltenen Resten. Dies war das Land der Minäer, deren erste Hauptstadt Mein sich als eine Schatzkammer von Alterthümern und Inschriften erwies. Sie liegt zwei Stunden östlich von Hazm im Mittlern Gof. Der obere Gof ist ärmer, steinig, der Boden schlecht, obwohl auch er vom Wadi Charid be wässertwird. Topographisch scheint diese Benennung „oberer Gof" kaum zu rechtfertigen, denn er liegt am untern Lauf des Wadi Charid. Aber der Name kommt wohl daher, weil dieses Flußthal zwischen hohen Bergmassen eingeengt ist, so daß die meisten Bewohner auf den Bergen Hausen und nicht in derjenigen Gegend, die allerdings tiefer liegt, als der un tere Gof. Letzterer grenzt nämlich im Nordwest direct an den obern Gof. Der mittlere Gof liegt nordöstlich bei Seite *). Kurz vor Megzar fand Halsvy eine eigenthümliche Rui- nenstadt. Sie bestand aus lauter ganz kleinen Häusern, kaum von Mannshöhe, viereckig mit plattem Dach, alle von schwarzem Schiefer gebaut. Was war die Bestimmung die ser räthselhaften kleinen Hütten, die doch schwerlich zu Woh nungen dienen konnten? Sein Führer wußte nichts davon zu sagen, als die banale Phrase, „sie seien von den Aditen erbaut", und als man ihm recht zusetzte, fügte er gcheimniß- voll den Namen „Beni Helal" hinzu, d. h. die „Söhne des Neumondes", womit dem Reisenden aber auch nicht gedient war. Allen weiteren Nachfragen kam er dadurch zuvor, daß er sagte: „Die Ungläubigen haben sie erbaut; Gott allein weiß, *) So viel zur vorläufigen Orientirung. Die Karte, welche Ha- l«vy vorbereitet, wird freilich hierauf ein helleres Licht werfen. In dem bis jetzt von ihm Mitgetheilten sind aber die geographischen Notizen etwas spärlich, da eben deren Zweck mehr eine Berichterstat tung über seine archäologische Mission war.