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262 Leo Van der Kindere: Betrachtungen über die Ethnologie Frankreichs. Mistral spricht da ganz wörtlich von „Racenfeindschaft"; die Langued'oc ist barfuß und geknebelt (lmillonnss), unerbittlich verbannt man sie von der Universität, und den noch „bezahlen denn die Franzosen des Südens nicht ebenso wie die anderen ihren Boden- und Blutzins?" Ein bemerkenswerther Beweis, wie mächtig Stamm- und Sprachverwandtschaft heute noch wirken, liegt darin, daß die Catalonier Spaniens, welche bekanntlich auch einen Dialekt der „Oc-Sprache" reden, sich durchaus solidarisch füh len mit den Bestrebungen ihrer füdfranzösischen Brüder. Die engsten Beziehungen herrschen zwischen den Gesellschaften der provenxalischen Felibres und der catalonischen Troubadours. Bon den Alpen bis zum Meerbusen von Gascogne, sagt Mistral, von der Loire bis zum Ebro, sind die Bevölkerun gen „allezeit untereinander sympathisch durch Verwandtschaft des Klimas, der Neigungen, der Sitten, des Glaubens, der Gesetzgebung und der Sprache", seit dem dreizehnten Jahr hundert bereit gewesen, einen Staat der Vereinigten Pro vinzen zu bilden. Die Südländer haben allezeit gewünscht, mit dem Norden nicht weiter als durch die Fesseln eines Bundesstaates vereinigt zu sein. Eine nicht weniger bezeichnende Thatsache ist, daß die Catalonier eine Ode Mistral's, „I.a Oomtssss", die ge wissermaßen ein gegen die „Stiefschwester" des Nordens geschleuderter Schlachtruf ist, — statt einer Marseillaise singen. Wir finden diese Specialitäten in einem Buche von Eugsne Garcin: „li-ss srangais cku dUck st clu Nicki." Der Verfasser ist bekümmert über diese Trennungsgelüste; er bemüht sich nachzuwcisen, daß sie ohne alle wirkliche Grundlage seien. Unglücklicherweise sür den Autor und seine Sache hat seine Arbeit keinerlei wissenschaftlichen Werth, und der gelehrte Paul Meyer weist in der „Revue critique" nach, daß sie jeder Widerlegung unwürdig sei. Nichtsdestoweniger hat die Schrift für uns Interesse, weil daraus hervorgeht, daß die Ideen der Fslibres so verbreitet sind, daß man es angezeigt findet, sie zu bekämpfen. Sagt doch selbst der Verfasser einer „Geschichte Frank reich", Amsdse Gabourd: „Die Race des Nordens hat allezeit die des Südens bedrückt Diese Bevölkerung betrachtet sich wie eine eroberte, sie gehorcht fast wie gezwun gen, ohne Selbstthätigkeit, ohne Liebe. Wenn die Einheit Frankreichs jemals gemindert werden könnte, so würde der Anstoß zu solcher Bewegung jedenfalls von den Provinzen des Languedoc und des Bordelais ausgehen." . . . Noch in neuester Zeit ist in Montpellier ein Gedicht von Octavien Bringuier erschienen, „krouvsvxa" (die Pro vence), welches, wie der „L.rmava prouvoiwau per 1872" berichtet, in glühenden Versen die Geschichte und Größe „unserer Nationalität" besingt. So erscheint also der Gegensatz der Ligurer und Kelten selbst auf dem politischen Gebiete deutlich ausgeprägt, und es darf nicht unbemerkt bleiben, daß sich zu gleicher Zeit in beiden Gruppen ein Unabhängigkeitsstreben gel tend zu machen beginnt. Ernst Renan sagte kürzlich in einem Aufsatz über die „geistige und moralische Wiederher stellung Frankreichs": „Ich weiß nicht, ob ich mich täusche, aber eine historisch-ethnographische Betrachtung drängt sich mir mehr und mehr auf. Die Aehnlichkeit Englands und Nordfrankreichs erscheint mir täglich bedeutender. Unsere Unbesonnenheit stammt aus dem Süden, und wenn Frank reich nicht Languedoc und die Provence in seine Machtsphäre gezogen hätte, so wären wir ein ernstes, thätiges, Protestanti sches und parlamentarisches Volk." Derartige Zeugnisse sind von Wichtigkeit und wir kön nen zwei Folgerungen aus ihnen ziehen. Erstens: Wenn Frankreich nicht immer der Meinung der Fortschrittsmänner entsprechend vorwärts geht, so erklärt sich diese Thatsache leicht aus seiner Volksgliederung. Nicht die Sprache, die sie reden, bedingt die Inferiorität der lateinischen Bevölke rungen, sondern die vor-arischen Elemente, welche ihnen in zu starkem Berhältniß beigemischt sind, thun es. Die zweite Folgerung ist, daß die Zukunft dieses großen Landes wahr scheinlich von der Erkenntniß abhängt, welche der beiden Hauptgruppen, aus denen die Bevölkerung besteht, schließ lich das entschiedene Uebergewicht über die andere erlangen werde. Denn wie bedeutend auch die Fähigkeiten und Ver dienste der ligurischen Race sein mögen, so scheint sie doch nicht darauf angelegt, die politische Entwickelungsstufe solcher Nationen zu erreichen, in denen arisches Blut noch vor herrscht. Wenn die Kelten des Nordens, wenn ernste, be dachtsame, sittliche Bevölkerungen die Oberhand gewinnen, dann sei, wie Laveleye meint, eine „Wiederherstellung" Frank reichs möglich, ja fast sicher. Wir hoffen das so sehr wie irgend Jemand. Unglücklicherweise trägt in unserer Zeit des allgemeinen Stimmrechts die Zahl nur zu oft den Sieg Uber den Werth davon. So erging es im alten Rom, wo die Plebejer, nachdem sie einmal die Herrschaft erlangt, den Staat ins Verderben führten, welchen das Patriciat so mäch tig und angesehen zu machen verstanden hatte. Die Ge schichte kennt manche solcher tragischen Schicksalswendnngcn, welche die Anstrengungen auch der besten Männer nicht zurückzudämmen vermögen. Wir wollen hier eine Mittheilung des Herrn Campbell d'Jslay, vom anthropologischen Institut zu London, beifügen. Campbell befand sich im Frühjahr 1871 in Versailles und versuchte in allgemeinen Zügen die Raceneigenthümlichkeiten der verschiedenen vom Kriege dorthin zusanimengeführten Menschengruppen zu bestimmen. Er theilt sie in drei Ab- theilungen: 1) Kimmerier (d. h. Kelten) mit kastanienfarbigem, auch hellbraunem Haar, von schönem Wüchse, frischer Ge sichtsfarbe; thätige, erregbare, energische Leute mit lebhaften Augen und glänzenden Haaren, zahlreich unter den Offizie ren der französischen Armee, seltener unter den gemeinen Soldaten derselben zu finden. 2) Teutonen (oder Germanen) von fahlem und blon dem Haar, große, starke, ausdauernde Leute von weißer Haut farbe, schwachen Augen, mit fahlem und meist glanzlosem Haar; sie bildeten die Mehrzahl der im Norden von Paris stehenden deutschen Truppen und zeigten einen scharfen Ge gensatz zur Masse der französischen Bevölkerung. 3) Atlanten (oder Ligurer), von kleiner Statur, der Körper länger als die Beine, dunkele Augen und Hautfarbe, dichter Haarwuchs, thätige, hitzige, argwöhnische, höfliche, leicht erregbare, zänkische, leichtfertige, unüberlegte Leute, — sie waren in großer Zahl unter den Leuten der Commune, in geringerm Berhältniß unter der Versailler Armee zu finden. Haben diese Betrachtungen Anspruch auf eine gewisse Genauigkeit? Es wäre bedenklich, darauf mit Ja zu ant worten; sie haben für uns lediglich das Interesse einer Cu- riosität*). Den hier mitgctheilten Aufsatz haben wir in der vortrefflichen Brüsseler Wochenschrift „La Diskussion" (Nr. 10 und 11 1872) gefunden. Unterzeichnet ist er L. v. D. K., und wir glauben nicht zu irren, wenn wir einen der wackersten Flamingen, Leo Van der Kindere, als den Verfasser bezeichnen. Die Leser des „Globus" ken nen bereits dessen Arbeit über die Stellung der Flamingen in der Gegenwart. Deutschland kann Herrn Van der Kindere nur dank bar sein: er vertritt deutsche Anschauungen und deutsche Wissenschaft in Belgien in ausgezeichneter Weise.