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Th. Zorn: Land und Volk von Appenzell. kN Bergcapelle Wildkirchli. der Erwachsenen und die Abrichtung der Jugend liegt ganz in ihren Händen. Auch sind die Inner-Rho- dener abergläubisch, unduldsam und jeder Neuerung abhold. Mit Zähigkeit hielten sie an Tracht, Sitte und Be schäftigung der Vor väter fest. Mit Hart näckigkeit sträubten sie sich bisher gegen die Erbauung eines Fa briketablissements in ihrem Bergkessel, und so fließt denn der grö ßere Gewinn der mü henden Arbeit, die ihre Frauen und Töchter beschäftigt, den Außer- Rhodenern zu. Das Land blieb arm. Die über die Wiesengründe zerstreuten Häuser der Jnner-Rhodener sind klein und ost nur Hüt ten, die wenigen Ort schaften nur Dörfer. Selbst Appenzell, der Hauptort des Can- tons, welches seinen Namen von der Zelle eines Abtes von St. Gallen, die hier ge standen haben soll, ab- leitet, ist nur ein Dorf. Wie schon erwähnt, ist die einzige Beschäf tigung der Männer Viehzucht, Käse- und Molkenbereitung. Die Molke, hier Schot Sitte und Weise, und was der Fremde nicht wenig bedauert, auch seine Nationaltracht ein, doch der alte treue, biedere Kern ist ihm geblieben. Die Jnner-Rhodener waren und sind nur einfache Hir ten. Der conservircnde, abschließliche Katholicismus hielt Aufklärung, Bildung und Aufschwung aus ihrem Bcrglande verbannt. Die Uebelstände, die sonst wohl im Gefolge der Papstkirche erscheinen, treten auch in diesen abgeschlossenen Thälern, und stärker als anderswo zu Tage. In keinem Cantone der ganzen Schweiz ist der Einfluß der Priester so fest begründet und unbeschränkt als hier. Das Gewissen Anschauung würde sehr bald dieseRoman- tik zerstören. Roh aus Steinen und über ein ander gelegten Baum stämmen erbaut, die zahlreichen Fugen und Ritzen mit Moos und Heu verstopft, das Dach mit breiten Schindeln gedeckt und gegen den Sturm mit gewichtigen Steinen beschwert, gewährt die Sennhütte doch nur ungenügende» Schutz gegen Regen und Zug luft. Festgcstampftes Erdreich ist der Fuß boden; eine Bank, ein Tischchen, der große ten genannt, bildet jedoch nur eine Erwerbsquelle im Som mer, wo die Molkencurorte Gonten, Gais und Weiß bad mit Curgästen gefüllt sind. Auf der Alme bereitet, wird die noch heiße Molke in großen Kübeln schnell ins Bad hinab getragen und für wenige Centimes das Quart an die Land- wirthe verkauft. Von größerer Bedeutung ist die Käsebereitung. Die Jnner-Rhodener sind neben den Entlibuchern die geschicktesten Sennen der Schweiz. Wenn im Hochfrühling der Schnee geschmolzen ist und die Alpen mit frischem Grün und lieb lichen Maien (Blumen) aufs Neue sich schmückten, dann Milchkessel auf dem ge waltigen Herde in der einen Ecke, der Melkstuhl und einige Melkkübel bilden die Möbel, etwas Heu und einige Säcke oder alte Kleidungsstücke die Schlafstatt des Sennen. Rauch und die scharfe, eigenthümliche Ausdünstung der vierbeinigen Schottentrinker, wie der Appenzeller die vier bis fünf Schweine nennt, die bei jeder Sennhütte von dm Molken- und anderen Abfällen gemästet werden, machen mit dem Geruch des Kuhdllngers, welcher die nächste Umgebung der Hütte in einen Sumpf verwandelt, die Atmosphäre aus, in welcher der Senne bei harter Arbeit und karger Kost einen großen Theil des Tages zu schaffen hat. Außer Milch und ziehen die Sennen zu Berge, sie „fahren ein". Festlich mit Blumen und Bändern geschmückt und in freudiger Erregung steigt Mensch und Thier zur Alm empor. Ins Geläut der gestimmten Halsglocken singt und jauchzt und johlt der Senne, brüllt munter die Herde, geht es doch, wie Beide empfinden, ihrer eigentlichen, schönem Heimath zu. Es ist eine Zeit der Arbeit und der Entbehrung, die des Sennen da oben auf der Alpe wartet, und doch sehnt er durch acht Monate diese mühevolle Zeit als den schönsten Theil des Jahres heran. Zuerst werden die unteren Almen abgeweidet; zu den höchsten wird erst im Juli emporgcstiegen, und Ende August kehrt die Herde zu den un teren Weiden, die in zwischen wieder nach gewachsen sind, zurück. Unter Anführung des Stiers nimmt die Herde vom schönsten Weideplätze, der oft erst vom Führer einer zweiten Herde erkämpft werden muß, Besitz und der Senne be zieht seine einfache Wohnung. Man hegt wohl hier und da noch recht romantische Vorstel lungen von einer Sennhütte. Die