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226 Th. Zorn: Land und Volk von Appenzell. rechtsame, die Wahl der Beamten der Republik, Annahme oder Ablehnung neuer Gesetze, auszuiiben hat, gilt für den größten Festtag im Jahre. Schon lange vor dem wichtigen Sonntage ist die kommende Landsgemeinde der Hauptgegen stand des Gesprächs der Männer. Eifrig und nicht ohne heftiges Aufeinanderplatzen der Meinungen wird in Wirths- häusern, oder wo sonst die Männer zusammenkommen, jeder Punkt des Programms besprochen, das der Landammann vier Wochen vorher mit den neuen Gesetzvorschlägen hat drucken lassen. Ist endlich der erwartete Sonntag gekom men, dann ziehen Alle, welche „ehr- und wehrhafte" Män ner sind, vom zwanzigjährigen Jünglinge bis zum Greise, hinaus auf den grünen Wiesenplan, wo vor Jahrhunderten schon die Väter tagten. Im Freien, auf grünem Grunde, Angesichts des blauen Himmels und der ewigen Berge giebt sich das freie Volk seine Gesetze und wählt die Vollstrecker derselben. Gegen Mittag klingt Trommel- und Pfeifen schall von der Stadt her. Es naht der Zug der zeitigen Landesbeamten, die nach einer kurzen, kirchlichen Weihe dem Landsgemeindeplatz zuschreiten. Voran weht das schwarzweiße Panner von Appenzell, gehen einige Trommler und Pfeifer, alte Nationalweisen spielend. Sie sind halb schwarz, halb weiß gekleidet und tragen auf der Brust und an den Instrumenten silberne Denkmünzen, welche ihnen nach altem Herkommen die Land ammänner verehrten. Auf dem Landsgemeindeplatze angekommen, besteigt der Landammann, im schwarzen Frack, den aufgeschlagenen, drei eckigen Hut auf dem Kopfe und den Degen an der Seite, den „Stuhl". So heißt die schnell errichtete, hölzerne Bühne, Das Grütli am Vierwaldstätter-See. Links am See, wenn man Nach Brunnen fährt, dem Mythenstein grad' über, Liegt eine Matte heimlich im Gehölz. Das Rütli heißt sie bei dem Volk der Hirten, Weil dort die Waldung ausgereutet ward rc. „Die Wiege schweizerischer Volkssreiheit." auf der die Gemeindeleiter dem ganzen Volke sichtbar sind. Zur Rechten des Landammanns nimmt der Landschreiber, zur Linken der Landwaibel Platz. Ersterer führt das Land buch, Letzterer dient bei der kommenden Verhandlung gleich sam als Sprachrohr für den Landammann. Die Kleidung des Waibel besteht aus einem schwarzweißen Waffenrock, schwarzen Kniehosen und weißen Strümpfen. Auf einem andern Gerüste in kleiner Entfernung nehmen die übrigen Landesbeamten, als Pannerherr, Landeszeug herr, Landesbauherr, Statthalter, Landesfähnrich u. s. w., Platz. Das Volk aber stellt sich in Rotten geordnet, deren Inner-Rhoden sieben zählt, vor dem Stuhle auf. An der Spitze jeder Rotte steht der im vorigen Jahre erwählte Haupt mann derselben. Jeder einzelne Landmann in der Rotte ist mit dem Seitengewehr bewaffnet. Von ergreifender Wirkung ist der Moment, wenn nach der kurzen Eröffnungsrede des regierenden Landammanns die versammelten Tausende ihr Haupt entblößen, um in stillem Gebete den Segen des Himmels auf die ernste Hand lung herabzuflehen. Ist durch die Hauptleute der Rotten die Landesrechnung geprüft und gebilligt, so wird zur Wahl des neuen Land- ammanns geschritten. Den ersten Vorschlag machen die Rottenhauptleute, wonach jeder einzelne Landmann berechtigt ist, auch seinerseits einen Namen zu nennen. Abgestimmt wird durch Handaufheben, das „Handmehr". Der neuge wählte Landammann wird dann unter Vorantritt der Pfei fer und einiger Hellebardiere zum Stuhle geleitet, übernimmt das Landsiegel und führt nun sogleich die Gemeinde. Der abtretende Landammann wird Pannerherr. Mit gleicher