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202 P. v. S.: Das Hochland Windungen mit einem Ausblick auf das blühende Gelände am See in die Tiefe hinabsteigt, um bei Le Sarche in die Straße von Riva nach Trient einzulenken. Noch eine kurze Strecke und der Punkt ist wieder erreicht, von dem am frühen Morgen ausgefahren wurde; doch hat indeß die Sonne ihren Tageslauf vollbracht und ist hin ter dem Tanaro zur Ruhe gegangen. Ueber dem Monte Baldo steigt wie ein Feuerzeichen der Mockd auf und die Sterne leuchten Uber den duftenden Fluren und den dunkeln Mauern des Städtchens, in dessen Gassen die Rivaresen ihren nächtlichen Wandelgang beginnen, während wir uns wegemüde vor der Bottega des Giardino niederlassen, um den folgenden Tag unsere Streifereien wieder aufzunehmen. Ohne die periodischen Luftströmungen an den oberitali schen Seen, die Aria, welche von Vormittags neun Uhr bis gegen Abend von Süden bläst, die Bora, allnächtlich vom Gebirge herwehend und häufig kühlende Regengüsse erzeu gend, wäre es kaum möglich, in der Hitze des Tages sich im Freien zu bewegen, besonders am Garda-See, der kaum 250 Fuß über dem Meer liegt. Einen der schönsten Ausflüge in der Umgebung von Riva bietet eine Wasserfahrt nach dem Ponal dar, einem alten Seehafen an der tridentinischen Uferseite, die jetzt gänzlich unbewohnt sich bis Limone erstreckt, wo ein alter Grenzstein auch die neuen italischen Confinien bezeichnet. Dieser Zu gang, von Alters die einzige Verbindung mit dem westlichen Hochlande des tridentinischen Gebiets, nur zu Wasser erreich bar, liegt in einer Schlucht, worin die Scaliger im vierzehnten Jahrhundert einen Treppenpfad angelegt hatten. Noch vor dreißig Jahren erhob sich ein kleiner Borgo in dieser Felsen klamm, wo die Waaren verladen und auf Saumthieren wei ter, gefördert wurden, der aber bei Eröffnung der neuen Stra ßenanlage von Riva aus abgetragen und verlassen wurde. Nur die malerischen Trümmer eines Brückenbogens, der sich Uber dem Eingänge des Hafens wölbte und als Schlußstein ein Zerrbild trägt, ähnlich dem Baseler Lalenkönig, histori schen Angedenkens, bezeichnet noch diese Stätte und bildet mit dem durch die Schlucht niederstürzenden Abfluß des Ledrosees einen wundersamen Anblick. So weit das Auge reicht, sind Gebäudetrümmer, Treppenpfad, Grund und Fels von einem dichten Gewirr wilder Oliven, Feigen und Wein ranken überspannen, zwischen denen die unbändige Fluth von Klippe zu Klippe springt und in Silberschaum zerstiebt. Zur Zeit der Venetianischen Herrschaft, als die Stadt Brescia von den Visconti hart belagert und ihre Besatzung dem Hunger preisgegeben war, landete in dieser Bucht eine kleine Flotte, um den Bedrängten zu Hülfe zu kommen. Nachdem ein Versuch von Trient aus, durch die Judicarien ein Convoi von Mannschaft und Lebensmitteln an Ort und Stelle zu fördern, durch die aufrührerischen Bauern miß lungen war, übergab der Senat dem Sorbolo di Candia die Leitung dieses Unternehmens, welches von dem anstelli gen Condottiere auf folgende Weise ausgeführt wurde. Er vertheilte die Ladung sammt der bewaffneten Macht auf zahl reichen Booten, womit er die Etsch hinauf bis Ravazzone in der Nähe von Mori schiffte. Hier wurden die beladenen Barken ans Land und auf Schleifen gesetzt, um bis auf die Höhe des Loggiasees geschleppt zu werden. Hier abermals flott gemacht, wurden sie bis ans Ende des Wassers gerudert, dann über Nago an der Einsattelung des Monte Baldo nach Tazbole hinuntergeschleift, in dessen Hafen die kleine Armada sich sammelte und bald aus dem blauen Gewässer ihrer Be stimmung zuschwamm. Am Ponal übernahm Graf Paride ihren weitern Schutz und die Umladung dieser Ausrüstung, welche er auf Saumthieren über beschwerliche Umwege glück lich der bedrängten Stadt zuführte. In früheren Jahrhun- über dem Garda-See. derten waren die Bewohner des Ponal (St. Apollinaris, Patron der Schiffleute) vbelberüchtigt als kecke Seeräuber, welche von ihrem Felsenvcrsteck aus, wo sie nur zu Wasser angegriffen werden und ihre Fahrzeuge im sichern Hafen bergen konnten, ihre Piratenzüge über die ganzen Uferstrecken auszudehnen vermochten. Die neue Straßenanlage führt westlich von Riva aus, unter der Bastion vorüber, im elften Jahrhundert zum Schutze seines Hafens angelegt und von Vendome zerstört. Die Fahrbahn ist durch neue Befestigungen geschützt, deren Bau in der Nähe des Ponal römisches Mauerwerk und Waffenrestc zu Tage förderte. Sie steigt ziemlich allmälig an und mußte gänzlich in das Felsgestein eingesprengt wer den, das in seinem losern Gefüge Granitblöcke enthält. Je höher die vielfachen Windungen sich emporziehen, desto man- nichfaltiger wird der Ueberblick von Tiefland und Gebirge, je weiter schweift das Auge über die Gartengefilde hinter Riva und Arco, bis in die Steinwüste der Marroche und den See von Tvblino; dann hinüber zu den Alpenmatten des Monte Baldo mit seinen Sennhütten, an dessen Fuß sich Torbole schmiegt und Malcesine mit seiner Rocca, wo unter den Venetianern der Capo di Lago saß und San Vigilio seine Hochwacht vorschiebt. Wie Sturmesrauschen tönt das Tosen des Ponals herauf aus unsichtbarer Tiefe, bis die Schlucht sich zum Thale verbreitert, das bald mit dem Reize einer Alpenlandschaft den Wanderer umfängt, der staunend die mit dunkelm Nadelwald bekleideten Berge, das frische Grün der Matten, die Getreidefelder betrachtet, welche den stillen See einfassen, der sich zwischen uralten Dörfern hinbreitet. Die ganze Umgebung muthet den Deutschen an, wie ein Gruß der Heimath; nur die Staffage des Bildes, die Landleute mit ihren sonneverbrannten Gesichtern und der wälschen Tracht und Sprache, will nicht recht dazu stimmen. Doch sind die Bewohner dieses Hochthales ein kräftigeres Geschlecht als die Rivaresen, unter denen cretinische Miß bildung nicht selten ist; während hier oben, in der beleben den Bergluft, bei dem häufiger» Milchgenuß, besonders die Kinder gedeihen, deren blonde Lockenköpfe mit den dunkeln Augen den beschwingten Engelchören Titianischer Gemälde ähnlich sind. Männer und Frauen tragen breite graue Filz hüte , und letztere flechten ihr reiches Haar auf lombardische Art in unzählige Zöpfchen, welche mit einer silbernen Nadel künstlich verschlungen am Hinterkopfe aufgesteckt werden. Beim Grüßen nehmen sie den Hut ab, wie die Männer, eine Sitte, die, ihnen eigenthümlich, sonst nicht in Südtirol gebräuchlich ist. Der Ertrag des Wiesenlaudes und der Alpentriften wird mit Roggen und Gerste meist nach dem Etschlande und in die Lombardei ausgeführt und Froment (Mais), der hier oben nicht gedeihen will, dagegen einge bracht. Auch der Handel mit Kohlen und Brennholz ist lebhaft, und zahlreiche Essen von Feuerarbeitern, besonders Nagelschmieden, sind im Gange. Ueberdics wandern die jün geren Männer, wie in den Judicarien, zur Winterzeit nach den größeren Städten Mittelitaliens, um sich ein Stück Geld als Tagelöhner zu verdienen. In den Hausgärten findet sich noch da und dort neben den rauheren Obstarten ein ver krüppelter Gelso (Maulbeerbaum), welcher bald der Kirsche und Pflaume weichen muß. Auch die Rebe zieht sich nur als Ranke an den altersgrauen Steinhäusern hin, welche mehrstöckig unter den rohen Schindeldachungen, mit Fels stücken beschwert, offene Räume enthalten; diese dienen, wie in Judicarien, als Scheune. Die Fensteröffnungen, theils verglast, theils mit Papier verklebt, oder mit Holzladen ver wahrt, lassen wenig Helle ein und bezeichnen gewöhnlich nur die Schlafkammern. Das eigentliche Wohngelaß ist, wie im Mittelalter, in der Küche im Erdgeschoß, neben dem