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Unter den Bhils und bei den Radschputen in Udäpur. 195 Oker begossener Steine oder ein mit rohem Schnitzwerk ver zierter Steinblock. In hoher Verehrung steht der Mhowah, jener Riesenbaum, der ihnen Speise, Holz und ein berau schendes Getränk liefert; an den Zweigen desselben hängen sie eiserne Geräthe auf. In Bezug auf Nahrungsmittel sind sie nicht wählerisch, da sie auch Ratten und Schlangen verzehren. Die Bhils sind von mittler Größe und kräftiger gebaut als die Hindus; die Gesichtszüge haben etwas Grobes, die Nase ist fast Platt, die Backenknochen sind hervorstehend, das schwarze Haar hängt wirr herab; als Bekleidung dient nur ein Hüftenschurz (Languti), der etwa drei Handbreit ist. Die Frauen sind schlanker und von weniger dunkler Haut farbe. Der Mann trägt immer Bogen und Pfeile und ist durchgängig ein so guter Schütze, daß er auch Tiger mit Pfeilen erlegt. Jagd und Fischfang sind seine Hauptbeschäf tigung. Ohne Krieg können die Bhils nicht leben, und in Ermangelung eines äußern Feindes befehden Nachbar stämme einander, bei gemeinsamer Gefahr vereinigen sich jedoch sofort Alle; in allen Thälern wird der Kriegsruf, Kis ri, erhoben; ein Pal schreiet ihn dem andern zu; binnen wenigen Stunden sind Hunderte von Kriegern auf einem Punkte versammelt und zum Aufbruche bereit. Die Män ner verstehen sich vortrefflich darauf, die Stimmen des Scha kals, der Hyäne und der Nachtvögel Nachzuahmen und geben sich vermittelst derselben Signale, von welchen der Reisende nichts ahnt. Im Vergleiche zu den Hindus sind den Bhils zwei schätz bare Vorzüge nachzurühmen: sie sind dankbar sür erzeigte Wohlthaten und halten unverbrüchlich ein gegebenes Ver sprechen. So haben sie 1857 während der großen Sipahi- meuterei die bedroheten Engländer geschützt und sind für die selben in den Kampf gezogen. Allerdings verdanken sie es den Europäern, daß sie nun längst vor räuberischen Ueber- fällen der Radschputen sicher sind. Die Bhilstümme bewoh nen Bagur, einen Theil der Arravaliberge und dasWindhya- gebirge, und man schätzt ihre Gesammtzahl auf etwa zwei Millionen Köpfe. In den Thälern von Mewar trifft man viele Bhilalas, Mischlinge von Bhils und Radschputen, die ein verschlechtertes Product bilden, indem sie keine von den guten Eigenschaften der. Stammeltern haben; es be währt sich also auch bei ihnen die bekannte anthropologische Erfahrung. Der französische Reisende L. Rousselet, den unsere Le ser aus früheren Berichten kennen, kam mit den Bhils in Berührung, als er von Baroda über Ahmedabad und Rai pur seine Wanderung nach Udäpur unternahm. Er zog von Gudscherat her über die Dungherberge, an "deren Ost seite das Bagur, Land der Bhils, beginnt, eine wilde Ge birgsgegend, welche die Hochebenen Malwas von Gudscherat trennt und im Südostcn das Gebiet der Radschputen be grenzt. Die Berge in jener Region bilden das Verbindungs glied zwischen den Arravali- und den Windhyagebirgen. Un terwegs erzählte man ihm viel von einem Amidkanewalla, das heißt einem Tiger, der nur Menschen frißt und das Vieh verschmäht. Die Inder fabeln, daß ein solcher, der einmal Menschenfleisch gekostet habe, nichts anderes mehr genießen könne. Europäische Jäger haben gefunden, daß die Amidkanewallas insgemein krank und räudig sind. Folgen des wird wohl die richtige Erklärung sein. Wenn der Tiger sehr alt wird, verliert er viel von seiner Stärke und Behen digkeit; er kann sich nicht mehr an den Büffel wagen, der ihm überlegen wäre, und Hirsche wie Antilopen sind ihm zu flink. Es bleibt ihm nichts übrig, als sich in den Hin terhalt zu legen und Menschen anzufallen. — Die Karawane, mit welcher der Reisende zog, hatte ein Geleit bewaffneter Reiter, um etwaige Anfälle der Bhils zurückzuschlagen. Man begegnete vielen derselben namentlich in den Engpässen, und sie erwiederten keinen Gruß. Dar über wurde ein Reiter zornig, stieg vom Pferde und nahm einem Bhil Bogen und Pfeile weg. Eine so unbedachtsame und gar nicht gerechtfertigte Handlung konnte die gefährlich sten Folgen haben. Sofort gellte der Kisri, der Kriegsruf, im Thale und man sah, wie aus den Pals die Männer hervorstürzten. Als sie in größerer Anzahl beisammen wa ren, begannen sie von den Höhen herab den Angriff. Ein kecker Radschpute sprengte gegen sie ein und nahm einen alten Mann gefangen, der hinter einem Busche lag, um, dadurch gedeckt, seine Pfeile abzuschießen; er band ihm Arme und Beine. Die übrigen Bhils heulten entsetzlich und sand ten eine Wolke von Pfeilen; die Antwort bestand in Flin tenschüssen, aber die Karawane zog sich mit ihrem Gefan genen zurück. Der Europäer vernahm nun von dem letztem, daß die Bhils durch den Raub von Pfeil und Bogen schwer gekränkt seien; sie hätten in den Engländern immer nur Freunde und Beschützer gesehen und gewiß keine Beleidigung verdient. Bogen und Pfeil müßten zurückgegeben, der schuldige Soldat solle ausgeliefert werden. Es kostete Mühe, den Mann zu besänftigen; am Ende ließ er sich herbei, seinen Landsleuten zu erklären, daß hier ein Mißverständniß obwalte, welches man bedauere. Zur Sicherheit nahm man ihn eine weite Strecke mit fort, gab ihm dann ein großes Glas voll Brannt wein, welches er mit einem Zuge austrank, und entließ ihn. Ausdrücklich erklärte er, die Karawane verdanke ihre Ret tung lediglich dem Umstande, daß sie einige Sahibs, Euro päer, bei sich habe. Aus den Windhyas kam dieselbe in die Arrawalikettc, welche sich nach Norden hin durch Radschputana bis in die Nähe von Delhi zieht. Sie ist noch wenig erforscht wor den, aber reich an Gold, Silber, Kupfer, Blei und Zinn; man findet auch Amethyste, Granaten und Smaragde; die beträchtlichsten Höhen steigen bis zu 1100 Meter an. Am letzten Tage des Jahres 1865 hatte Rousselet einen überraschenden Anblick von einem Hügel herab. Vor ihm lag Udäpur (Oodeypur), die Hauptstadt des Radschputen- staates Mewar; „Ich war entzückt über das prächtige Pano rama; so etwas Herrliches war mir noch nicht vor die Augen gekommen; ich glaubte ein Zauberbild aus Tausend und eine Nacht vor mir zu haben. Da erhob sich eine lange Linie von Festungswerken, Pagoden und Palästen inmitten von weit ausgedehnten Gärten, und da lag die Stadt mit ihren vielen Thürmen und Kiosken an einem pyramidenförmigen Hügel; oben auf demselben schimmert der mächtige aus weißem Marmor gebauete Palast, der sich scharf von dem blauen Himmel abhob. Dieser Palast mit seinen wahrhaft gran diosen Verhältnissen schwebt, ich möchte sagen wie das neue Jerusalem oberhalb einer Stadt auf dem Erdboden. Keine Feder und kein Pinsel vermöchten den wunderbaren Eindruck wieder zu geben, welchen Udäpur macht, die Stadt des Sonnenaufgangs/' In derselben hat der britische Resident einen großen Pa last mit vielen Kuppeln und Terrassen. Rousselet schlug seine Zelte in einer Arena auf, in welcher einst Thiergefechte abgehalten wurden. Man findet derartige Bauwerke in In dien häufig, sie bilden einen großen Platz, der mit einer Anzahl großer Pavillons umgeben ist; diese erheben sich auf 6 bis 10 Meter hohen Terrassen und haben flache, von Säulen getragene Dächer. In dem Pavillon, welchen der Reisende einnahm, standen 28 Pfeiler in vier Reihen, und er hatte von dort eine prächtige Aussicht. Die Stadt liegt unter 24°37' N., 91°21' O. 25-