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Wie Arequipa in baulicher (wenigstens war Arequipa vor der Zerstörung durch das große Erdbeben im August 1868 in dieser Hinsicht bedeutend), so nimmt Tacna mit seinem Hafen Arica in commercieller Hinsicht, als Markt für die Nachbarrepublik Bolivien, die zweite Stelle unter den Städten Perus ein. (Die Lage der Stadt und ihres Hafens Arica findet der Leser in einem frühem Aufsatze „In die Küsten- cordillere" in Bd. XIX, S. 69 u. ff. beschrieben.) Das Bild des Lebens und Treibens in dieser Stadt kann als Ty pus für manche kleinere südamerikanische Stadt gelten. Ueberall in den spanischen Colonien sind zwei Elemente wohl zu unterscheiden: das spanische und das indianische. Während das erstere unter den besseren Ständen der Ein geborenen dominirt und fast überall in gleicher Weise zu Tage tritt, zeigt sich das indianische nach den verschiedenen Stämmen modificirt, so daß man den Nationalcharakter eines südamerikanischen Volkes leicht aus beiden ableiten kann. Während in Peru und Bolivien die Mischlinge und Nach kömmlinge eines schwachen, furchtsamen, unterdrückten Stam mes leben, erkennt man im chilenischen Nationalcharakter bald die Einwirkung des durch ein weniger verweichlichendes Klima begünstigten, rauhem und kriegerischen Araukaners wieder. Im ganzen Süden Perus finden wir nun die Bevölke rung aus den gleichen Elementen zusammengesetzt, wie in Arica und Tacna. Hier ist der bijo äol xais (Sohn des Landes), sowohl der in einigen angesehenen Familien ganz rein erhaltene, nur durch die Umgebung und das Klima mo- dificirte Abkömmling spanischer Colonisten, wie der Misch ling der genannten Nation und der Europäer überhaupt mit dem eingeborenen Indianer. Als drittes Element tritt der Aethiopier hinzu; sein Einfluß zeigt sich am stärksten in den Küstenstädten, weniger in der directen Mischung mit dem Eu ropäer, als in der mit indianischem Blute, deren Product der Mestize, hier Zambo genannt, ist. Bollblutnegern und Mu latten begegnet man selten, dahingegen Mischlingen in unendlichen Abstufungen überall, so daß es bei der gro ßen Masse des Volkes schwer ist, die Abstammung richtig zu definiren und manches Individuum wohl vierfach gemisch tes Blut in den Adern tragen mag. Neuerdings kommt dazu als neues Element die mongolische Race. Der Sohn des himmlischen Reiches, als Kuli (Arbeiter) nach den Guano ländern importirt, fängt an, nachdem er sich von diesem Sklavendienste freigearbeitet, sich im Lande niederzulassen, wo er Handel und Gewerbe treibt. Fast sämmtliche Gar küchen für die niederen Classen gehören Chinesen, wie solche denn überhaupt als Köche vorzüglich sind und in dieser Eigen schaft vielfach auch in Privathäusern fnngiren. Mancher unter ihnen hat aber auch als Kaufmann sich ein bedeuten des Vermögen erworben. So ist dieser Theil Südamerikas der große Braukessel aller Raccn und Nationen. In einem Thale, das sich vom Meere nach Osten gegen die Cordillere hin auf einer Strecke von etwa 12 Leguas an 3000 Fuß hebt, liegt auf einer Höhe von 1800 Fuß über dem Meeresspiegel, ungefähr 14 Leguas in nordwest licher Richtung von ihrem Hafen Arica, die ungefähr 10,000 Einwohner zählende Stadt Tacna. Der Plan derselben ist einfach und in wenigen Worten gezeichnet. Von dem grünen Kranze der Chacaras umgeben, jener Anpflanzun gen, welche ihr Dassin einem aus der Cordillere herabkom menden Bergflüßchen verdanken, durchschneidet die Stadt fast ihrer ganzen Länge nach die von Westen nach Osten ver laufende Allee, die „Alameda", von einer hochstämmigen, feinblätterigen Weidenart (sauos) gebildet; in der Mitte der selben ist ein breiter Steingraben, durch welchen zweimal wöchentlich die Wasser des Flusses bergunter rauschen, um den Boden von Para, des Ausläufers dieses Streifens Ve getation, zu speisen. Mit der „Alameda" parallel und durch eine in gleicher Richtung verlaufende Nebenstraße von ihr geschieden, läuft die Hauptstraße, die „Calle del Comercio", in ihrem untern Theile aus einstöckigen Häusern bestehend, während die übrigen Nebenstraßen zum großen Theile aus niedrigen, nur ein Erdgeschoß haltenden Erdhütten zusam mengesetzt sind. In der Calle del Comercio befinden sich fast sämmtliche Läden und die Wohnungen und Comptoire (storso) der Fremden. Es ist sechs Uhr Morgens. An den braunen Hängen der Hügelketten, welche das Thal von Tacna seitlich um schließen, rauchen die Nebel in die Höhe; sie verdichten sich und legen sich als Thautropfen auf die glänzenden, zarten Blätter der Granatbüsche und in den Kelch der gelbblühen den Blume des Baumwollenstrauches. Noch ist Dämmer licht, und jene morgenliche, erwartungsvolle Stille, aus welcher hier und da, wie stimmende Instrumente im Or chester vor der Aufführung eines Musikstückes, einzelne Laute und Stimmen hervortönen: Vogelgezirp in den Chacaras, das langgezogene A—a eines Esels oder Maulthieres, kläf fende und bellende Laute der wachsamen Hunde, deren jede Anpflanzung ein Rudel besitzt. Langsam sinken die Dünste, und von den ersten Morgenstrahlen erleuchtet, tauchen aus ihnen in südlicher und nördlicher Richtung die Hügelrücken hervor, während im Osten die Cordillere, eine dunkele, ge waltige Mauer, deren Unebenheit ein Dunstschleier verbirgt, emporsteigt, überragt von mächtigen Schneekegeln, die aus dem klaren Morgenhimmel wie lichte Goldkronen Hernieder scheinen. Wenn allmälig die Sonne höher steigt, verzieht sich der Dunstschleier, der vor dem Gebirge ruht, und was zuerst eine dunkele Mauer schien, tritt jetzt als eine in mäch tigen Kegelstufen sich anthürmende Wand hervor, in der die meilenweit hinter einander aufsteigenden Ruggen wie eben so viele Furchen und Vorsprünge erscheinen. Im breiten Steingraben der Alameda Hüpfen und rau schen die Wasser bergunter, dann und wann große Steine mit sich fortreißcnd, die sie hoch oben aus dem Gebirge her untergebracht haben und welche mit dumpfem Gepolter in dem brausenden Strome dahinrollen. Braune Burschen auf Eseln, an deren Seiten zwei Krüge hängen, die „Aguaceros", galopiren lärmend durch die Straßen, ihre Thiere mit dem Stocke und dem wiederholten Rufe „bs Lurro, anäa!" (vorwärts, Esel!) antreibend. Sie füllen ihre Krüge aus dem Graben, um die durstige Stadt mit Wasser zu versor gen. Um das Wasser trinkbar zu machen, filtrirt man das selbe durch große aus einem porösen Kalkstein gearbeitete Trichter. — Die Quelle des Tacnafluffes ist schwefel- und eisenhaltig, und wenn das Wasser auch auf seinem Laufe manches von seinen mineralischen Bestandtheilen verliert, so nimmt es doch auss Neue, da wo das Flußbett salpeter haltig iss? Theile davon auf, führt manchen hineingeworfenen Haufen Kehricht mit fort und dient, ehe es an dem Punkte anlangt, wo es die Aguaceros in ihre Krüge schöpfen, man chem braunen Sohne des Landes zum Bade. Früher befanden sich am Ende der Alameda die aus zwei gemauerten Bassins bestehenden öffentlichen Bäder, welche jedoch bei einer Ueberschwcmmung, als einst der Fluß durch die Regengüsse im Gebirge bedeutend angewachsen war, zer stört wurden. Jetzt hat ein Privatmann über die breiteste Stelle des Grabens eine aus Rohr geflochtene Hütte gebaut, mit einer Anzahl von Cabinettcn und Abtheilungen für männliche und weibliche Badende. Durch in der Quere aufgestellte Planken sammelt sich das Wasser in kleinen Bas sins an und man genießt für einen Real die Wohlthat eines