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168 Aus Cooper's Reisen im westlichen Chinn und in Tibet. Schröpfköpfe stellen, zur Ader lassen und Sinapismen legen besteht. Ungeachtet der List des Oberaufsehers kommt es doch öfters vor, daß der Arbeiter beim Abschluß seiner Rechnung noch ein Capital von 100, 200 bis 500 Rubel ausgezahlt erhält. Dies hat seinen Grund darin, daß von Alters her es angenommen ist, daß nur der Goldsand allein das Eigcnthum des Unternehmers ist, von allen größeren Stückchen Goldes aber, die ohne Hülfe der Waschmaschine vom Boden gelöst werden, gehört ein Drittel dem glück lichen Finder, zwei Drittel des Werthes fallen dem Unter nehmer zu. Es giebt Ortschaften, wo Goldklumpen ziem lich häufig gefunden werden, eben fo sind einzelne Arbeiter glücklicher im Auffinden als andere. Diese Glückskinder bekommen somit, ungeachtet ihrer Verschwendung, beim Rech nungsabschluß ein Sümmchen in die Hand. Man sollte glauben, daß solch ein Arbeiter, nachdem er die traurige Er fahrung in den Goldwäschereien gemacht hat, nicht mehr da hin zurückkehrcn werde, besonders da er im Besitz von eini gen hundert Rubeln ist, die es ihm möglich machen, sich mit Handel, Landwirthschaft oder Gewerbe zu beschäftigen. Es kommt aber anders. Sobald er sein kleines Capital erhalten hat, läuft er zur Wirthschafterin, wirft die durch schwere Arbeit gewonnenen Banknoten auf den Tisch, und ohne zu handeln kauft er zu einem enormen Preise die zum Verkauf ausgebotenen Sachen. Auf der Stelle zieht er seine abge tragenen Sachen aus, kleidet sich ganz neu an, nimmt neue Stiefel, kauft sich einen langen rothen Gürtel, eine Spiel- Harmonika, und ohne den Rest seines Geldes zu fordern, geht er aus dem Hause, wobei er eins von den beliebten Liedern singt, die das Herz der sibirischen Bauern so er götzen. Zur Zeit der Beendigung der Goldarbeit strömen Krämer herbei, welche meistentheils Pfefferkuchen, Zucker werk, auch Kuchen zum Verkauf anbieten, Alles zu vierfachen Preisen. Im Jahre 1870 kam in diese Gegend sogar ein Taschenspieler, dessen ungeschickte Fingerfertigkeit in den sibi rischen Städten keinen Anklang gefunden hatte. Er kaufte sich daher ein Pferd, legte seine mit doppeltem Boden ver sehene Schachtel auf dasselbe und wandte sich den Taigen zu. Hier fand er ein geneigteres Publicum. Die Arbeiter warfen ihm fo viel Geld zu, daß der Mann mit mehr als tausend Rubeln von dannen zog. Nur ein kleiner Theil der Arbeiter verbringt den Winter in den Goldwäschcreien. Sie beschäftigen sich dann mit Holzfällen, mit der Ausbesserung der Wohngebäude und klei neren Erdarbeiten. Alle übrigen kehren in ihre Dörfer und Ortschaften zurück. Gewöhnlich aber haben sie kein Geld, um nach Hause zurückzukehren; der Oberaufseher giebt ihnen einen Vorschuß aufs künftige Jahr, und auf diese Weise gehen sie eine Verpflichtung ein, die sie zwingt, auch dann sich der mühevollen und peinlichen Arbeit zu unterziehen. Man könnte sagen, daß die Arbeiter doch selbst Schuld an ihrem Unglücke seien, daß die Administration der Gold gräberei gar nicht verantwortlich sei, daß die Arbeiter keine Kinder mehr sind und der Oberaufseher kein Lehrer ist, der für die Zucht und gute Sitten der Kinder verantwortlich wäre. Es verhält sich allerdings so, aber die Arbeiter wür den wohl anders verfahren, wenn sie in den Goldwäschcreien nicht so vielen Entbehrungen ausgesetzt wären, wenn die Ar beitszeit kürzer, die Behandlung menschlicher wäre. Wie schon oben bemerkt, giebt es wohlwollende Leute, die dem Uebelstande abzuhelfen wünschen. Unter diesen nimmt den ersten Platz Herr Pischzikoff ein, der, im Großherzogthum Finnland geboren, die Stadt Minusinsk (im Gouvernement Jeniseisk) seit einigen Jahren bewohnt und seit Kurzem Eigenthümer einer kleinen Goldwäscherei geworden ist. Sei nen und vieler anderer Männer Bemühungen ist es zu ver danken, daß die alten Privilegien, welche das Goldsuchen nur einzelnen Capitalisten gestatteten, abgeschafft wurden. Dadurch entstanden sehr viele kleinere Goldwäschereien, deren Eigenthümer ihr Geschäft selbst verwalten und das harte Loos der Arbeiter zu mildern verstehen. Es bleibt natür lich in dieser Hinsicht noch Vieles zu thun übrig. Jetzt handelt es sich hauptsächlich um die Abschaffung der Schul den, die auf den Arbeitern lasten. Diese Schulden sind schon zu einer Höhe von zwei Millionen gestiegen, und sollte es gelingen, sie zn tilgen, dann würde die Abhängigkeit der Arbeiter von den Brotherren weniger drückend sein, und möglicherweise würde auch ihr Leben und Treiben manches Anstößige verlieren. Aus Cooper's Reisen im westlichen China und in Tibet. , G n. Von Bathang bis zur Grenzstadt Atenzc. — Tibetanische Begräbnihstätten. — Cooper wider Willen mit einer Tibetanerin verheirnthet. — Gebethügel und Glückjeligkeitsfchärpe. — Der Räuberhiigel. — Zusammentreffen mit Banditen; Beraubung durch dieselben. — Die Grenze zwischen Tibet und China. — Feindliches Betragen Ler Lamas und der Bauern. — Wirkungen des Revolvers. — Faustkämpfe, Hungersnoth und hoffnungslose Lage. — Ein freundlicher Moschusjäger. — Rettung. — An kunft in Atenze. Wir haben in unserm ersten Artikel (S. 42 ff.) erzählt, daß die Priester dem Reisenden es unmöglich machten, von der osttibetanischen Stadt Bathang in das centrale Tibet vorzndringen. Er mußte auf seinen Plan, nach der Haupt stadt Lhassa zu gehen, verzichten. Eben so wenig wollten die Lamas gestatten, daß er durch Centraltibet seinen Weg nach Assam nehme, von wo er dann ohne weitere Beschwerde über Sadiya, den Brahmaputra abwärts, nach Calcutta hätte gelangen können. Zuletzt blieb ihm nur die Hoffnung, durch Mnnan nach dem ober» Birma zu kommen; gelang dieser Plan, dann konnte er die früher sehr lebhafte Karawanen straße aus jener westchinesischen Provinz nach Bhamo ge nau kennen lernen, und von dieser Stadt, bei welcher der Jrawaddy schiffbar wird, wäre er dann stromabwärts bis Ranguhn gefahren. Aber auch diese dritte Route wurde ihm versperrt, weil an der Nordgrenze von Mmnan der lang jährige Krieg zwischen den kaiserlichen Truppen und den Mo hammedanern in vollem Gange war. Cooper hatte an der Grenze günstige Gelegenheit, Zustände zu beobachten, die höchst interessant und in hohem Grade eigenthümlich erschei nen-, in Europa findet sich für dergleichen gar kein Analogon. Der Reisende erhielt in Bathang zwei Pässe, einen tibe-