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Das ist die Wohnung des Aufsehers, des Vertrauten des Verwalters. Der Verwalter selbst ist eine zu hoch gestellte Persönlichkeit, um an diesem Orte zu Hausen; er wohnt in der Hauptstadt der Provinz, führt ein lustiges Leben, trinkt Champagner, spielt Karten, und feine einzige Thätigkeit be steht darin, daß er monatlich einen Bericht an seinen Brot herrn schreibt, der immer so ziemlich dasselbe enthält: Alles gehe ganz gut. Neben dem Hause des Oberaufsehers be finden sich Stallgebäude für seine Pferde, Kosackencasernen, kleinere Häuser für die Beamten und zuletzt ein großes läng liches Gebäude, in welchem die Arbeiter in sehr kleinen Stu ben ziemlich zahlreich zusammengepfropft sind. Neben dem letztem Gebäude befindet sich gewöhnlich ein langer Schup pen, der pomphaft das Krankenhaus genannt wird. Vom 15. März bis zum 1. Mai werden die Vorberei- tnngsarbeiten gemacht, d. h. die Erde wird gelockert, der Ab fluß eingerichtet, die Maschinen werden aufgestellt. Alles dies ist nur Vorbereitung zur wirklichen Arbeit, welche am 1. Mai beginnt. Die am Ufer aufgestellten Maschinen werden durch Wasser oder Pferde in Bewegung gesetzt. Ein Theil der Arbeiter wird bei der Wäscherei gebraucht, der andere Theil gräbt den Sand und schasst ihn sogleich in die letztere. Die Arbeit der ersteren scheint weniger anstrengend zu sein, aber da die Leute fortwährend bis zum Knie im kalten Wasser stehen, werden sie mehr durch Krankheiten heimgesncht, als die zweiten. Die Aufgabe dieser ist viel schwerer. Zwei Arbeiter mit einem Pferde müssen täglich l'/z Cubikklafter Sand ausgraben und nach der Wäscherei bringen, aus einer Entfernung von 500 bis 600 Klafter. Um dieses auszuführen, müssen sie mit Ausnahme von zwei Stunden Ruhezeit zur Mittagsstunde, von 2 Uhr Morgens, d. h. von der Tagesdämmerung an bis 10 Uhr Abends, un unterbrochen arbeiten, obgleich die durch Verordnung festge stellte Arbeitszeit nur von 5 Uhr Morgens bis 8 Uhr Abends sich erstreckt. Die Arbeiter bekommen täglich nur ein Pfund Fleisch, wobei die Knochen eine ziemlich große Rolle spielen. Das langt nicht aus, um den Mann bei einer so angreifenden Thätigkeit zu ernähren. Er kann sowohl beim Oberaufseher, wie auch bei den anderen Beamten alles Nöthige bekommen, aber dieser leicht erhaltene Credit wirkt schlecht auf seinen Vermögenszustand. Wie ich schon früher gesagt habe, regiert an einem so einsam gelegenen Orte der Oberanfseher. Den Eigenthü- mcr selbst kennt man fast gar nicht, selbst der Verwalter kommt höchstens ein Mal im Jahre in die Goldgräberei, und zwar auf eine sehr kurze Zeit. Der einzige Vermittler zwischen der Verwaltung und den Arbeitern ist sonach der Oberaufseher, gewöhnlich ein Mann, der schon Vieles durch gemacht hat, der auch, wenn er einmal auf diesen Posten gelangt, sich bemüht, ihn zu behalten. Deshalb will er sei nem Brotherrn keinen Schaden machen, da er sonst seine Stelle verlieren würde. Seine Rechnungsbücher befinden sich in entsprechender Ordnung, weil er den ganzen Tag bei ihnen zubringt, so daß er sehr selten sich in die Goldwäsche rei begeben kann. Dafür hat er seine Unterbeamten. Die Rechnungsbücher sind der Anfang und das Ende seiner Weis heit; er muß sie so zu führen wißen, daß nicht nur sein Brotherr mit ihm zufrieden ist, sondern daß er noch unbe merkt ein rundes Sümmchen in seine Tasche stecken kann. Seinen Brotherrn will und kann er nicht betrügen, denn das könnte ihm gefährlich werden. Gegen seine Untergeord neten ist er nicht zur Dankbarkeit verpflichtet und braucht deswegen ihnen gegenüber nicht dieselbe Scheu zu tragen. Die Arbeiter und ihre Familien dürfen die Goldgräbereien nicht verlassen, und da sie fortwährend das oder jenes nöthig haben, so müssen sie es an Ort und Stelle kaufen. Dabei zieht der Oberaufseher den größten Nutzen, er richtet es aber auf eine so feine Weise ein, daß ihn Niemand des Betruges beschuldigen kann. Die Arbeit beginnt. Mit der ersten Tagcsdämmerung ruft eine Glocke die Leute zur Thätigkeit. Das Ufer des Flusses wimmelt bald von Leuten, welche, bis zum Knie im Wasser stehend und mit den Schaufeln in der Hand, ihre schwere Tagesarbeit verrichten. Einige graben den Sand aus, andere führen ihn nach der Wäscherei, wieder andere schieben den gröbern Schrot fort. Alles dies geschieht in Gegenwart der Aufseher, welche auf erhöhten Plätzen stehen, die Leute von Zeit zu Zeit zur Arbeit ermuntern und dabei beständig aufpassen, daß weder Goldsand noch Goldkörnchen in ihre Taschen verschwinden. Die Hitze ist unerträglich, die Fliegen und Mücken peinigen unbarmherzig, der Schweiß bedeckt die Stirn, und es ist unmöglich aufzuathmen, denn die Maschine hört nicht aus zu arbeiten, sie braucht fort während Sand, Wasser und Menschen. Die Ruhestunden wirken nicht erfrischend, besonders weil die Kost so unzurei chend ist. Abends schleppen sich die ausgehungerten, blassen Gestalten zur nächtlichen Ruhe und werfen sich mcistentheils unausgekleidet auf den mit Stroh bedeckten Boden in dem für sie bestimmten Zimmer, aber sie suchen den Schlaf ver gebens. Die allzu große Müdigkeit und die karge Kost lassen sie nicht einschlafen. Der eine, der fast nur Knochen zum Mittag bekommen hat, fühlt einen Heißhunger, der andere sieht mit Verdruß, daß seine Stiefel ganz zerrissen sind, der dritte, daß seine Jacke in solch einem Zustande ist, daß er sie nicht mehr tragen kann. Gewöhnt, seine schlechte Laune sich durch den Branntwein zu vertreiben, würde er Gott weiß was geben, wenn er nur einen Schluck trinken könnte. In diesem Augenblicke erscheint wie ein wahrer Schutzengel die Wirthschafterin des Oberaufsehers. Sie hat Alles, was man nur wünschen kann, frisches Fleisch, Brot, Nähnadeln, Faden, auch fertige Jacken, und sogar ein Maß von dein verbotenen und unwiderstehlichen Getränk, das die traurigen Gedanken in Kurzem ganz verscheucht. Zwar werden alle diese Gegenstände zu unerhört hohem Preise verkauft, aber man braucht für sie nicht sofort zu zahlen, Alles wird nur in die Bücher eingetragen und bis zur künf tigen Rechnung aufgeschoben. Wer könnte solch einer Ver suchung widerstehen, da man Alles bekommen kann, ohne einen Groschen auszugcben. Indessen wachsen die Schulden des armen Arbeiters um desto mehr, da er weder selbst rech nen will noch kann. Um so größer ist seine Verzweiflung, wenn er am Ende des unglückseligen Jahres, anstatt ein rundes Sümmchen nach Hause zu bringen, vernimmt, daß er für die gebrauchten Kleinigkeiten mehr zn bezahlen hat, als ihm im Ganzen zukommt. So mich er denn das sol- gende Jahr wieder dienen, und da seine Bedürfnisse immer fort bestehen, so kommt er auch dann mit seinem Verdienste nicht besser aus und dient das dritte, vierte Jahr, so daß er in eine ganz unfreiwillige Abhängigkeit vom Obcraufseher geräth. Die Verschuldung der Arbeiter bei der Verwaltung hat in dieser Zeit so großen Umfang angenommen, daß sie zu einer Hauptfrage geworden ist, von deren Lösung das Em porblühen des Gewerbes in dieser Provinz förmlich abhängt. In der letzten Zeit hat man viel darüber geschrieben und sich bemüht, ein Mittel zu finden, um diesem Uebel zu steuern. Der Regierungsverordnung gemäß soll eine jede größere Goldwäschcrei einen Arzt, eine Apotheke und ein Kranken haushaben. In einigen befinden sich wirklich gute, tüchtige, menschenfreundliche Aerzte, welche ihren Beruf mit der größ ten Gewissenhaftigkeit erfüllen, an vielen Orten aber fun- girt als Arzt ein einfacher Chirurg, dessen ganze Kunst in