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Cutturbestrebungen in Japan. Die Japaner machen uns in der That keine geringe Freude. Es wohnt den Leuten dieses ostasiatischen Jnselreiches viel Frisches, Gesundes, Energisches und ein aufrichtiges Streben nach geistiger und materieller Entwickelung, ein rechtschaffener Drang nach Fortschritt inne. Vor zwanzig Jahren waren sie von der Außenwelt noch völlig abgesperrt, und heute stehen sie mitten im großen Weltverkehr. Mit einer wunderbaren Raschheit, mit feiner Intelligenz und gro ßer Entschlossenheit haben sie nach kurzem Schwanken und Tasten ihre neue, gegen früher völlig veränderte Lage be griffen und gezeigt, daß sie in der That ein actives Cul- turvolk sind. Als ein solches «stehen sie höher, als manche europäische Völker oder Stämme. Vor allen Dingen sind sie gebildete, wohlerzogene Leute, der Schulunterricht erstreckt sich ans alle Classen, die einander gegenseitig mit Höflichkeit behandeln. Sie erfreuen sich einer hohen Civilisation, die allerdings eine eigenartige ist und von unserer abendländi schen vielfach abweicht. Wir haben aber deshalb kein Recht, dieselbe vornehm über die Achsel anzusehen. In manchen Zweigen der Agricultur und der Gewerbe sind sie uns vor aus, und ihr Staatswesen haben sie den neuen Bedürfnissen gemäß gründlich umgestaltet. Es ist der japanischen Regierung voller Ernst, als gleich berechtigtes Mitglied in den Kreis der civilisirten Völker ein zutreten und eine geachtete Stellung einzunehmen. Das System der Abgeschlossenheit und des mißtrauischen Zuwar- tens ist gefallen, und schon seit längerer Zeit ist man be strebt, sich mit dem Abendlande ins Gleichgewicht zu setzen. Viele Japaner reisen im Abendlande, um hier Staatsein richtungen, Sitten, Gebräuche und Industrie kennen zu ler nen, junge Männer in beträchtlicher Anzahl liegen auf euro päischen und nordamerikanischen Universitäten mit Eifer den Studien ob, und ihre Intelligenz ist der unserigen vollkom men ebenbürtig. Im Laufe des Jahres 1872 werden die Verträge er neuert werden, welche zwischen den fremden Mächten und der japanischen Regierung abgeschlossen worden sind. Die letztere hat eine Gesandtschaft in großartigem Stil abge schickt, welche Nordamerika und Europa besucht, um an den betheiligten Höfen den Beweis zu liefern, daß man im Jn- sclreiche des Sonnenaufgangs ernst und ehrlich ein gutes Einvernehmen mit den Fremden aufrecht erhalten und die freundlichen Beziehungen fortsetzen will. Diese Gesandtschaft landete Mitte Januars zu San Francisco in Californien; auf dem Dampfer „Amerika" flatterte die japanische Reichsflagge; sie wurde vom Fort Alcatraz mit den gebührenden Salutschüssen begrüßt und feierlich empfangen. An ihrer Spitze steht der japanische Premierminister Jwakura, als außerordentlicher Gesandter und bevollmächtigter Minister bei den verschiedenen Höfen; sein Adjunct ist Kedo, Mitglied des kaiserlichen Geheimen- rathes; andere hervorragende Mitglieder sind der Finanz minister Akabo, Ito, Minister der öffentlichen Arbeiten, und Hama Guei aus dem Ministerium der öffentlichen Arbeiten. Dazu kommen 26 Attaches, 16 Secretäre und Dolmetscher, 16 Diener und 23 Studenten; im Ganzen zählte man 105 Personen. Darunter auch fünf Prin zessinnen, welche in einer amerikanischen Lehranstalt, dem Vassar College, Unterricht erhalten sollen. Aus Yokohama wird vom 23. December gemeldet, daß von dort drei japanische Kriegsdampfer nach Europa abgehen sollten, um zur Verfügung der Gesandtschaft zu sein. Der Mikado hatte in eigener Person Musterung über dieselben gehalten. Seine kaiserliche Majestät, Abkömmling der alten Landesgötter, hat folgenden Erlaß veröffentlicht: „Mein Land ist nun in einem Uebergange begriffen und erleidet eine völlige Umwandelung von alten zu neuen An schauungen. Das entspricht meinem aufrichtigen Wunsche. Ich fordere nun alle verständigen und aufgeklärten Männer auf, hervorzutreten und der Regierung mit gutem Rathe beizustehen. Es ist in der That nothwendig, daß man in jungen Jahren fremde Länder besuche, um sich in Betreff der Anschauungen in der Außenwelt zu unterrichten. So wohl Jünglinge wie auch Mädchen, welche Männer und Frauen werden sollen, müssen ins Ausland gehen dürfen, und die Kenntnisse, welche sie erwerben, werden meinem Lande zu Gute kommen. Personen weiblichen Geschlechts haben bisher keine höhere gesellschaftliche Stellung gehabt, weil man annahm, es fehle ihnen an Verständnis;; wenn sie aber unter richtet und intelligent sind, muß ihnen die gebührende Achtung zu Theil werden. Sechs junge japanische Fräulein von hohem Range gehen unter Obhut der Frau de Long (Gemah lin des amerikanischen Gesandten) nach Amerika, um dort auf Staatskosten unterrichtet zu werden." Man sieht, welche Luftströmung am kaiserlichen Hofe in Yeddo herrscht. In San Francisco begannen die Gesand ten gleich am Tage nach ihrer Ankunft praktische Studien; sie besuchten die Schulen, Gerichtshöfe und Gefängnisse, gewerbliche Anstalten, die Wasserwerke rc., und Jedermann gab zu, daß sie vollendete Gentlemen seien. Die meisten hatten europäische Tracht angelegt. Am 23. Januar gab man ihnen zu Ehren ein groß artiges Banket, an welchem etwa 200 angesehene Männer Theil nahmen. Prinz Jwakura nahm den Ehrenplatz ein, neben ihm hatten die höchsten Bundes- und Staatsbeamten Platz genommen. Nach den üblichen Trinksprüchen erhob sich Se. Excellenz Ito und hielt in fließendem Englisch eine Rede, welche für die neue Stellung Japans in hohem Grade kennzeichnend und ehrenvoll ist. Sie enthält in der That ein Programm des Fortschrittes. Nachdem Ito für die ehrenvolle Aufnahme gedankt, sprach er Folgendes: „Hier ist vielleicht die passende Gelegenheit, in aller Kürze einen zuverlässigen Ueberblick der in Japan durchgeführten Reformen zu geben, denn nnr wenige Aus länder haben genaue Kunde über die inneren Verhältnisse unseres Landes. Wir haben freundlichen Verkehr mit allen Bertragsmäch- ten unterhalten, und das gute Einvernehmen von Seiten unseres Volkes hat unsern Handelsverkehr gesteigert. Un sere Gesandtschaft hat specielle Instructionen von Sr. Ma jestät dem Kaiser; es ist ihre Aufgabe, die Rechte und In teressen unserer verschiedenen Nationen zu wahren, und sie wünscht die Verbindung derselben für die Zukunft noch enger zu knüpfen. Ich bin überzeugt, daß wir beiderseitig einan der uns immer mehr schätzen werden, je näher wir einander kennen lernen. Durch Lesen, durch Hören und Beobachten in fremden Ländern hat man bei uns im Allgemeinen Kunde Uber die Verfassungen, Sitten und Gebräuche des Auslan des. Heute begreift man in Japan fremde Gebräuche, und es ist der ernstliche Wille der Regierung wie des Volkes, nach der höchsten Civilisation zu streben, wie sie bei aufge klärten Nationen vorhanden ist. Zu diesem Behufe haben