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Mit besonderer Berücksichtigung äer Antkroxologie unä Gtknologie. In Verbindung mit Fachmännern und Künstlern herausgegeben von Karl Andree. JlUlUNr Monatlich 4 Nummern. Halbjährlich 3 Thlr. Einzelne Nummern, soweit der Vorrath reicht, 4 Sgr. 1872. Theben Non Professor „Das Jahr übt eine heiligende Kraft, Was grau vor Alter ist, das ist uns göttlich." Kein Land auf Erden weist uns Denkmäler aus höherm Alterthume auf als Aegypten, dieses Geschenk des Nils, die ses Wunderland zwischen den Meeren des Wassers und des Sandes. In einer Zeit, in welcher der Erdkreis für uns mit Nacht bedeckt ist, weit jenseits der vorzeitlichen Perioden, in welchen vom Schleier heiliger Sagen umwoben die ersten nebelhaften Gestalten hier und da in Griechenland und Asien auftauchen, war in Aegypten die Morgenröthe menschlicher Bildung aufgegangen; in Zeiträumen, von welchen den älte sten der übrigen Völker das Andenken abhanden gekommen war, und welche sie mit Fabeln von Göttern und Heroen ausfüllten, war das Geschichtsbuch der Aegypter mit sorg samer Genauigkeit Jahrhunderte lang geführt worden. Ho mer erzählt uns, der König Memnon aus Aethiopien sei dem König von Troja zu Hülfe gezogen; aber dieser Memnon lebte einige Jahrhunderte vor dem trojanischen Kriege, ja seine Herrschaft über Aegypten fällt in die Zeit des neuen Reiches, welches auf eine langdauernde Herrschaft älterer Dynastien gefolgt war, die ebenfalls ihre Annalen aufbe wahrte in den sandverschütteten Tempeln llnterägyptens und in den Pyramiden von Memphis, diesen Riesenwerken einer 6000 Jahre hinter uns liegenden Kunstübung, deren voll kommene Technik eben so bewunderungswürdig ist als ihre Größe und Festigkeit, welche sie, so scheint es, als Mark steine der Geschichte unserm Erdball für ewig erhalten wer- GlobuS XXI. Nr. I. (Januar 1872.) in Aegypten. Dr. Zusti in Marburg. den. So fremd und heterogen uns nun vieles in Aegypten sein mag, so verdiente schon allein der Umstand, daß die Gesammtheit der ägyptischen Denkmäler mit ihren zahllosen Inschriften ein unerschöpfliches Geschichtsbuch des alten Aegyp tens und seiner Nachbarländer ist und zugleich das älteste Andenken der Menschheit überhaupt enthält, die Beachtung jedes Gebildeten, wenn auch nicht die Wissenschaften und Künste der übrigen Völker des Alterthums unverkennbare Spuren dieses ihres gemeinsamen Mutterlandes an sich trü gen. Gerade die Kunstdenkmäler aber sind es, welche von Allem, was uns das Nilthal aus verschollenen Jahrhunder ten bewahrt hat, bis jetzt am genauesten erforscht sind, und welche auch am schnellsten den Zugang zu unserm Interesse finden dürften. Nirgends aber in Aegypten hat sich die Architektur *und bildende Kunst reichhaltiger und Prächtiger entfaltet, als in der Hauptstadt des neuen, im zweiten Jahr tausend vor Christi Geburt beginnenden Reiches, in dem schon von Homer besungenen und noch heute in stolzen Trümmern die Macht und die Kunstliebe der Pharaonen unserm stau nenden Blicke vorführenden Theben oder Diospolis magna. Wollten wir hier Alles schildern, was noch heute von der alten hundertthorigen Stadt des Amon übrig ist, so würden wir dies nur auf einem Raum vermögen, welchen diese Blät ter uns nicht gestatten können. Der Stil der ägyptischen Gebäude ist aber im Ganzen so gleichmäßig, daß man sagen darf, man könne sich alle Tempel im Allgemeinen vorstellen, wenn man einige derselben gesehen hat, und von der Aus- I