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als halbe Heilige verehrte Persönlichkeiten, denen der Aber glaube die Fähigkeit zuschreibt, die Probe wirksam amveuden zu können. In dem von mir erkundigten Theil Südara- biens, d. h. von Bab el Mandeb bis zu 48" östl. L. v. Gr. und von der Küste bis etwa zu 15" nördl. Br., in diesem ganzen großen Ländergebiet giebt es zur Zeit nur zwei, welche im Ruf stehen, wirksame Gottesrichter zu sein. Der größte und berühmteste Gottesrichter ist der Snltan von Gara in Unter-Aafia, gewöhnlich nur nach seinem Ge schlechtsnamen schlechtweg „el Afifi", der Afifi (wie wir sagen der Habsburger, der Wittelsbacher u. s. w.) genannt. Der Ruhm des Afifi ist weit verbreitet. Er entscheidet in zwei felhaften Fällen nicht nur Uber die in seinem Lande verübten Mordthaten, sondern die Leute kommen aus weiter Ferne, um sich Rath und Aufklärung bei ihm zu holen. Der andere Gottesrichter ist gleichsam ein Gegcnpapst, nämlich der Sultan von Mar in Abian. Dies Land ge hörte früher zu Unter-Aafia und stand unter dem Afifi, d. h. dem Vater des heutigen, dem es im Jahre 1837 entrissen und von den Fodli erobert wurde. Damit nun die Leute von Abian nicht mehr nach Gara zum heiligen Afifi pilger ten, so machte es der Fodli-Sultan, wie einst Jerobeam, als er die ehernen Kälber errichtete, um die Israeliten von Je rusalem fern zu halten. „Hier ist Dein Gott, Israel!", sagte Jerobeam. „Hier ist Dein Gottesrichter, Volk von Abian!" rief der Fodli-Sultan, und setzte in die Stadt Mar in Abian als Statthalter mit dem Sultanstitel seinen Vet ter, der ein kleiner Heiliger war, und nun plötzlich sich als Gottesrichter entpuppte. Anfangs fand er nur beschränkten Glauben. Er war aber so eifrig im Verrichten von Wun dern, daß er bald Anhang bekam, der immer mehr wuchs, und heutzutage kann er als wohl installirter Gegenpapst gel ten. Aber Seine Heiligkeit wird doch nur in den Staaten des Fodli-Sultans anerkannt, dessen Unterthanen eben nicht zum Afifi gehen können und wahrscheinlich auch nicht wollen, da sie fast immer mit ihm und seinem Volk Blutfehde haben. Der Afifi steht im Ruf, die mannichfaltigstcn Wunder proben wirksam anwenden zu können. Manche derselben setzen allerdings felsenfesten Glauben voraus. Das Volk vou Aafia scheint aber stark im Glauben zu sein. Leute aus diesem Lande versicherten mir allen Ernstes, der Afifi besitze die Macht, eine Schlange derart zu bezaubern, daß sie einem Mörder auf Schritt und Tritt nachschleiche, in sein Haus krieche, sich in sein Lager schmiege, kurz, ihn niemals verlasse und durch diese ihre verrätherische Anwesenheit seine Schuld offenbare. Man wußte mir wirklich von einem Falle, der durch vielfache Zeugen bestätigt wurde, zu erzählen, in welchem die Schuld eines Mörders durch diese Art der Probe ermittelt worden wäre. Eine andere Probe ist die mit der Girbe. Die Girbe ist ein Schlauch von Ziegenfell, der gewöhnlich als Wasser behälter dient. Bei der Probe muß er aber völlig leer sein. Der Afifi nimmt die Girbe, murmelt einige heilige Sprüche und bläst sie dann auf. Darauf sagt er: Möge der Leib des Mörders eben so aufgeblasen werden, wie ich diesen Schlauch aufgeblasen habe. Diese Probe, sagten mir die Leute aus Gara, treffe stets den Nagel auf den Kopf. So oft sie angcstellt worden, habe sich noch immer ein dicker Leib gefunden, dessen Eigcnthümer sich dadurch als Mörder vcr- rieth. Ich fragte, ob es denn so gewiß sei, daß die besagten Individuen nicht schon vorher dickleibig gewesen seien und man darauf nur nicht besonders geachtet habe? Der Zweifel, den diese Worte verriethen, galt für sehr gottlos, und die Leute würdigten mich gar keiner Antwort. Eine dritte Probe scheint mir etwas zu sehr auf das böse Gewissen des Delinquenten zu rechnen. Sie ist sehr ähnlich derjenigen, welche ich auf meiner Mekkareise beob achtete und sogar mitbesteheu mußte. Es handelte sich frei lich nicht nm Mord, sondern nur um Diebstahl. Da der Thäter nicht anderweitig ermittelt werden konnte, so schritt man zu folgender Probe. Jeder bekam ein Zettelchen mit einem Koranspruch in den Mund, welches wir hinunter schlucken mußten. Dann sagte nns der Imam (Vorbeter), daß, wenn der Schuldige diesen Zettel verschlucke, er augen blicklich todt niedersinken werde. Nachher ließ man jeden von uns den Mund aufthun und suchte eifrig zwischen den Zähnen, ob nicht das Zettelchen dort versteckt geblieben wäre. Denn man nahm an, der Schuldige würde, um den ange drohten Tod zu vermeiden, das Papier nicht verschluckt haben. Aber diese Probe fiel sehr unglücklich aus. Der Dieb war ein „starker Geist" gewesen und hatte es darauf ankommen lassen, ob er todt niederfallen werde oder nicht. Leider war der Effect ein solcher, der ihn nur in seinem Unglauben be stärken konnte, denn es fand sich kein einziges Zettelchen und kein Mensch siel todt nieder. Die dem Beschriebenen ähnliche Probe des Afifi ist die mit dem Nagel. Er läßt fämmtliche Männer seines Ortes oder des Dorfes, wo die That vorfiel, kommen und gebietet ihnen niederzusitzen, natürlich nach arabischer Sitte auf die Erde. Dann nimmt er einen Nagel, der durch Gebete ge heiligt wird, und schlägt diesen unter Hersagung frommer Sprüche in den Boden ein. Darauf ruft er„Kumu!" (stehet auf). Alle thuu es. Nur der Mörder kann es nicht. Er ist durch die geheimnißvolle Macht des Nagels eben so an den Boden festgebannt, wie der Nagel selbst. Ich erfuhr nicht, ob diese Probe oft Erfolg hatte, bezweifle cs aber. Jedoch alle diese Gottesgerichte sind verhältnißmäßig Kinderspiel gegen das beliebteste Mittel, die Schuld zu ent decken. Dies ist die Feuerprobe. Kein Mensch kann sich ihr entziehen. Beruft sich der Kläger auf die Feuerprobe, so muß der Angeklagte mit ihm zum Feuerrichter gehen. Zum Afifi kommen oft die Araber aus weiter Ferue und schleppen einen des Mordes Verdächtigen mit sich, mit dem sie übrigens ganz friedlich in einer und derselben Karawane pilgern. Diese Fahrten zum Afifi sind wirklich wie eine Wallfahrt. Gern möchte sich wohl der Verklagte weigern, mitzugehen. Aber die Sitte faßt eine solche Weigerung als ein Schuldgeständniß auf. Wer die Probe scheut, der be weist dadurch, daß er fürchtet, sie nicht zu bestehen, folglich daß er schuldig ist. Allerdings beruht diese Voraussetzung nur auf dem schwärzesten Aberglauben, denn jene Probe ist von der oben beschriebenen Härtern Art, d. h. eine solche, welche als Entlastungsbewcis etwas verlangt, was naturge mäß fast unmöglich ist. Die Feuerprobe besteht in Folgendem: Der Richter macht ein Eisen, einen Stahl, gewöhnlich ein Messer auf dem Feuer glühend und legt cs dann vor vielen Zeugen und-mit großer Feierlichkeit auf die Zunge des Angeklagte». Alles dies ge schieht unter Anrufung Allah's, unter Hersagnng von Ge beten und Koransprüchen. Zuckt der Verklagte unter dem Einfluß des glühenden Eisens nur im Geringsten, zeigt sich auf seiner Zunge eine deutliche Brandwunde, so gilt er für überführt. Hält er aber tapfer aus, verräth er auch mit keiner Miene seinen Schmerz und entdeckt man kein Brand mal auf seiner Zunge, so hat ihn Allah für unschuldig er klärt ; denu man nimmt an, daß bei einem Unschuldigen Gott den glühenden Stahl in süße Himmelsspeisc verwandele. Es soll wirklich öfters vorkommen, daß Leute die Feuer probe siegreich bestehen. Der Feuerrichter gilt natürlich für unbestechlich, und ich glaube wenigstens vom Afifi, daß er es wirklich ist. Aber ich glaube doch auch, daß es sehr gut ist, mit dem Feuerrichter auf freundlichem Fuße zu stehen, 18»