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Sittenschilderungen aus Südarabieu. Von Heinrich Freiherrn von Maltzan. Die Pariakasten Südarabiens. Kasten, glauben wir gewöhnlich, gebe es nur in Ostin dien. Dort sind sie allerdings am schärfsten ausgeprägt. Racenadel statt Familienadel, Racenplebejerthum statt Fa- milienplebejerthum, endlich Pariathum ganzer Racen, das sind die Merkmale des Kastenwesens, und diese Merkmale finden wir nicht nur in Ostindien, sondern auch in anderen asiatischen Ländern, zum Beispiel in SUdarabien. Es ist in dieser Beziehung grundverschieden von dem beduinischen, social mehr gleichförmigen Centralarabien. In Südarabien, einem alten Culturlande, sind noch die Reste aristokratischer und plebejischer Gliederung, wie sie ein complicirteres Staats wesen in Asien im Alterthum mit sich führte, durch bestimmte Erbclasfen von Menschen vertreten. Drei Elemente, das der Stammestraditionen, das civile oder bürgerlich-städtische und das religiöse wirken hier jedes auf die Eintheilung der Menschen in erbliche Classen, wir können wohl sagen „Kasten", ein. Ein viertes Element wird durch die Abwesenheit der den drei anderen innewoh nenden Bedingungen geschaffen. Dies Element ist so zu sagen die Negirung aller Racen- und Standesvorzüge. In einem Laude, wo diese Vorzüge gelten, werden deshalb die Vertreter jenes vierten socialen Elementes außerhalb der Gesellschaft gestellt. Dies sind die Parias. Das Stammeselement ist das herrschende, das städtische das beherrschte; dem religiösen räumt man nur einen Ehren rang ein. Macht besitzt dieses nicht, aber es berechtigt zu der höchsten Ehrenstellung. Selbst der Sultan nimmt nur die zweite Ehrenstufe ein, wenn er auch die höchste Macht ausübt. Die sociale Gliederung ist in den meisten der süd- arabischen Staaten etwa folgende: I) Die Schcrife*) oder Seid, angebliche Nachkommen des Propheten. Höchste Ehrenstellung ohne Macht. 2) Der Sultan, Schsch oder Akel, kurz das Stam- mesobcrhaupt. Höchste Machtstellung. Das Wort Akel, au das alte „Kail" erinnernd, ist hier der beliebteste Titel für Häuptlinge. 3) Die Meschaich, anderer religiöser Erbrang, durch Abstammung von Heiligen, nicht vom Propheten erworben. Ehrenstellung ohne Macht. 4) Die Kebail oder freien Stämme, die wahren Be herrscher des Landes, die den Sultan meist nur als einen prim r>8 intsr pures gelten lassen, d. h. wenn er von ihrer Race ist. Ist dies nicht der Fall, so nimmt der Sultan mehr eine geduldete Stellung ein und lebt ganz von der Gnade der Kebail**). Diesen letztem Ausdruck müssen wir ') Wrede bemerkt, daß man in Hadhramaut zwischen Scherifen und Seid unterscheide, mit crsterm die Nachkommen Hasan's, mit tetzterm diejenigen Hosain's (die beiden Söhne von Fatma, einziger Tochter Mohammed's) bezeichne. In dem von «mir bereisten und erforschten Thcite Südarabiens kennt man diese Unterschiede nicht. Scherls und Seid ist hier ganz gleichbedeutend. Die peute wissen auch meist gar nicht, ob sie von Hasan oder Hosain stammen. **) Kebail ist ursprünglich der einfache Collcctivplural vonKa- III. in Südarabien stets für das gebrauchen, was man sonst „Beduinen" nennt, denn da dieses „Nomaden" bedeutet und die freien herrschenden Stämme im Süden meist seßhaft sind, so paßt letzteres Wort nicht. Unter den Kebail giebt es freilich auch Beduinen; aber in der Machtstellung unter scheiden sie sich in nichts von den seßhaften Kebail. Sie bilden nur den verwilderten Theil derselben. 5) Die bewaffneten Raye (Unterthanen) und Söldlinge. Diese finden sich nicht überall, sondern nur in solchen Pro vinzen, welche von einem herrschenden, freien Stamme unter jocht wurden. Alle Bewohner werden dann Raye der Ke bail. Diese bedienen sich aber oft eines Theils des unter jochten Volkes zur Knechtung des übrigen, bewaffnen die Leute und machen sie zu ihren Söldlingen. Dadurch erlan gen diese eine höhere Stellung, die sie über ihre unbewaff neten Landsleute erhebt, während sie immer noch tief unter den Kebail stehen. 6) Die unbewaffneten Raye, d. h. die eigentlich civile Bevölkerung, seien es nun Bauern oder Städter. Die Bauern, weil sie den Stammestraditionen oft treuer geblie ben sind, nehmen meist eine bessere Stellung ein, als die Städter. Letztere sind immer verachtet, weil ohnmächtig, unbewaffnet und besonders, weil sie meist die Stammestra ditionen gänzlich verloren haben. 7) Die Achdam, die erste Pariakaste. 8) Die Schumr, die zweite Pariakaste. 9) Die Juden, die einzigen Nichtmoslims im Lande und folglich durch ihre religiöse Vereinzelung auf die tiefste Stufe gestellt. Andere Ungläubige giebt cs heutzutage in Uemen nicht mehr. Die Jmame von Sana, die der tolerantern Secte der Zaidi angehörten, hatten auch die Hindus geduldet. Seit sich aber ihr Reich aufgelöst hat (ihre Nachkommen sind jetzt machtlose Privatleute), hat der fanatische Pöbel sie überall, wo sie sich niedergelassen, entweder umgebracht oder zum Is lam überzutreten genöthigt. Toleranz kann in moslimischen Ländern stets nur eine starke Regierung durchsetzen. Selbst der bigotteste Fürst ist immer noch duldsamer, als das fana tische Volk, nicht aber aus Aufklärung, sondern weil jeder Fürst einsehen muß, daß gerade die Ungläubigen, welche hier her kommen, meist Handwerker oder Kaufleute, sehr zum Wohlstände des Landes beitragen, ja in den meisten Fällen ihm directen Vortheil bringen. Nichts ist deshalb mehr zu bedauern, als der Fall des Jmamats. Das Land ist plötz lich um mehrere Jahrhunderte zurückgeschritten. Ich nannte eben zwei Classen von Parias, die Achdam und die Schumr. Beide stehen so tief, daß jeder Araber, selbst der verachtete Städter, die Berührung mit ihnen scheut. Weder oonnulrinm noch oonsortium findet mit ihnen statt. bila (Stamm), hat aber in Wirklichkeit eine viel ausgedehntere Be deutung angenommen. Es schließt immer den Begriff von beduini- scher Freiheit in sich. Es ist gleichbedeutend mit Kriegern, d. h. nicht Söldlingen, sondern freien Stammeskriegern. Feiner kann es für „Republik", d. h. auch nur von Stämmen gebildete Republik stehen. Endlich braucht man es ost im Sinne von Eidgenossen, republikanisch Verbrüderten.