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365 durch ihre freie Abkunft und ihren anscheinend männlicher« Charakter von den geknechteten Landbauern, den Fellahs, unter scheiden. Aber ich sage doch im allgemeinen Araber, da ja die Aegypter seit dem Einfall der Araber unter Amer 638 mit der Religion Gewohnheiten, Sitten und Anschauungen der Besieger und, sich mit ihnen vermischend, schließlich selbst ihre Sprache und Schrift angenommen haben. Dasselbe ist anch mit den Kopten (der Name ist aus dem griechischen verstümmelt) der Fall. Nur haben sie die alte christliche Religion erhalten, die freilich mit vielem heidnischen Unwesen verunstaltet ist; sie haben so vollständig die alte Koptensprache, die im wesentlichen dieselbe wie die Sprache der alten Aegypter ist, vergessen, das; selbst ihre Priester die koptischen Gebete, die in griechischen Buchstaben aus geschrieben sind, nicht verstehen! Da sie ihrem Glauben treu blieben, haben sie sich wahrscheinlich ziemlich rein von Vermischung erhalten und in der That glaubt man in ihren Gesichtszügen, im Schnitt der mandelförmigen Augen und der etwas breiten, flachen Nase eine große Aehnlichkeit mit ihren Vorfahren, den alten Aegyptern, zu erkennen, deren Profile man ja an vielen Bildern nnd Statuen sehen kann, — Schon von den alten Bewohnern erzählten Herodot und andere griechische Geschichtsschreiber viele unsittliche, unanständige Handlungen. Diesen Zug scheinen die neuen Bewohner ererbt zn haben; wenigstens wuchert die schimpfliche Hetärcnwirthschaft nirgends mehr, als in den Schenkhäusern Kairo's. Dem Euro päer aber werden die Aegypter außer ihrer Bettelsucht durch ihre lügenhafte und betrügerische Gesinnung verächtlich. Be stechlichkeit herrscht bis in die höchsten Kreise hinauf. Wehe dem Fremden, der, unkundig der arabischen Sprache, einem Unter händler bei Einkäufen vertraut! Verkäufer und Unterhändler werden ihn sicherlich zusammen betrügen! Ein Bekannter von mir, der selbst sehr gut Arabisch versieht, nahm einst einen ihm befreundeten Araber zu einem Eselshandel mit, um besser handeln zn können nnd einen billiger» Kauf zu machen. Sofort sagte der Händler, der seine Sprachkenntniß nicht ahnte, zu seinem Landsmann: „Ha, wir wollen dieses Christenschwein recht tüchtig betrügen; du sollst die Hälfte vom Gewinn haben!" Das ist selbstverständlich, daß man von dem Fremden das Doppelte oder mehr als das Doppelte von dem eigentlichen Werthe fordert. Unter vielem Betheuern und Anrufen des Namens Gottes stellen die Kaufleute nach und nach ihre Forderungen immer niedriger und lassen schließlich oft, wenn man das Handeln versteht und sich nicht durch die langwierige arabische Kaufweise zu früh er müden läßt, die Waaren für das Drittel des ursprünglich ver langten Preises. Indem sie sich küssen und die verschiedenen Grade der zärtlichen und so aufrichtig scheinenden arabischen Begrüßung durchmachen, betrügen sie sich selbst untereinander in der freundschaftlichsten Weise und stets das Wort „Allah" im Munde. Ueber die Betrügerei und Schlechtigkeit der Diener und Dragomane ist schon genug geschrieben worden. Wir selbst hatten das Glück, ziemlich gute zu bekommen. Aber die besten Diener sind ja hier die, die nicht «n Zros betrügen; man muß es sich eben bei allen ruhig gefallen lassen, daß, wenn man sie etwas einkaufen läßt, sie später einen weit höhern Preis angeben und einen Theil des Geldes als wohlverdient in die eigne Tasche stecken. Einst war in einem Hotel hier in Kairo ein großer Kuchen bei Seite gestellt worden; da kamen denn die arabischen Diener einer nach dem andern und jeder schnitt sich vorsichtig nur ein kleines Stück ab, aber als man nach einigen Tagen hinsah, war fast nichts übrig geblieben. Die Araber scheinen ein andres Gewissen und einen andern Begriff von „gut" zu haben, als wir: das ist bei ihnen ein ausgezeichneter Mensch, der alle Religionsübungen getreulich macht, aber sonst seinen Vortheil gut versteht und danach lebt und handelt. Aber wie soll bei ihnen eine wahre Sittlichkeit aus einer solchen, in vieler Hinsicht unsittlichen Religion ent stehen? Wie sinnlich und abgeschmackt stellen sie sich einen künf tigen Lohn vor, ein träges, wollüstiges Leben im Jenseits? Nach ihren religiösen Gesetzen fasten sie, werfen sich hin nnd verrenken ihre Glieder beim Beten und brüllen und schreien zu Ehren ihres Gottes! Wohl gebietet ihnen der Koran auch viele wirklich gute Handlungen, aber doch nicht aus einem wahrhaft sittlichen Prinzip heraus! Die berühmte mohammedanische Wohl- thätigkeit besteht ja eigentlich auch nur darin, daß man gedanken los eben dem gibt, der einen grade anbettelt, gleichviel, ob er es verdient oder in der That nöthig hat, so daß dies grade die schändlichste Bettelei befördert. Gleich einem kurzen Rausche verging so bald die glänzende Zeit einer fanatischen Erregtheit und feurigen religiösen Be geisterung, die das arabische Volk die neue Lehre mit blutigem Schwert weithin verbreiten, aber auch große, blühende Reiche gründen ließ und es in Bildung und Civilisation weit über die abendländischen Völker erhob! Allmählich aber ist es in einen Zustand stumpfsinniger Apathie gesunken, die es nicht mehr nach Höherem, Edlerem streben läßt. Die Ursache jener plötzlichen Erhebung ist in der von Wüstenluft und Einsamkeit genährten Einbildungskraft zu suchen, mit der der bewegliche, leicht ent zündbare Geist dieses Volkes grade das Neue aufnimmt und dann schnell aus der tiefsten Ruhe unvermittelt in die regste Thätigkeit und Begeisterung versetzt werden kann. Die todes- verachtendc Tapferkeit, mit der die Araber einst die Länder durchstürmten, kommt ebenso von dem schrecklichen Fatalismus her, dem sie sich so gern hingeben und der der wahre Grund ihrer ganzen Religion ist, wie ihr allmähliches Erschlaffen und Versinken in die znm gewissen Untergang führende, todesschlaf ähnliche Ruhe. Alles was geschieht, geschieht nach dem Willen Gottes; der Mensch darf nichts dabei thun und es ist Sünde, irgend welche Anstrengung zn machen nnd sich so ein besseres Loos zu crrin gen. Daher die Faulheit und Trägheit der jetzigen Orientalen, daher ihre schreckliche Anlage, sich unter jeden Tyrannen, und sei er der gemeinste und grausamste, zu beugen, aber ihn auch sofort im Stich zu lassen, wenn er im Unglück ist, und sich einem neuen, mächtiger» Gebieter zu unterwerfen! Die Treue ist hier nur ein leerer Wahn! Lamartine beschreibt unbegreif licher Weise in seiner „Reise im Orient" diesen Fatalismus als im Gründe genommen dasselbe, wie die ächt christliche Tugend der Geduld und Demuth, mit der der wahre Christ sich zu jeder Zeit unter dem Willen Gottes beugt und so das härteste Miß geschick mit leichter Mühe ertragen kann. Ist es dem Christen verboten, gegen das Schicksal und die Gefahren mit Muth und Standhaftigkeit anznkämpfen? In seinem lethargischen Zustand hat der Orient längst auf gehört, große Dichter, Gelehrte und solche Architekten hervor zubringen, wie sie einst die schönen, herrlichen Moscheen baueten. Dies konnte er nur so lange, als er noch, von einem glühen den Glaubensfeuer entflammt, in geistiger Erregung und Be wegung war! Das erschlaffende Prinzip des Mohammedanismus übte bald seine Wirkung aus und der Orient sank in seine alte, träge Stille zurück. Seine Bildung und Gelehrsamkeit ist nicht bloß stehen geblieben, sie hat Rückschritte gemacht, indem sie in bloßem Formelwesen erstarrte! Die Glanzperiode der arabischen Kunst und Wissenschaft hat längst ausgeblüht und auf dem dürren Baum, der übrig geblieben ist und noch fort vegetirt, sprießen keine grünen Blätter, keine lebensfrischen Früchte mehr. Ihr Wissen ist nur noch ein todtes! Von einer Verschmelzung der alten, arabischen Kultur mit der europäischen kann nicht die Rede sein; was man an neuen Werkzeugen, Maschinen, Arbeitsmethoden aufnimmt, nimmt man einfach an und setzt es gedankenlos an Stelle des Alten. Die Regierung hat sich bemüht, frisches Leben und neuen Bildnngs- stoff in die ägyptische Gesellschaft zu bringen. Sie läßt viele Kinder auf Staatskosten erst hier und später in Europa aus bilden; dies sind die sogenannten enlants cku Aouvornvniont, die freilich, wenn sie zurückkehren und ihre Lehrerthätigkeit be ginnen, in völlig sklavischer Abhängigkeit und in den dürftigsten Verhältnissen leben. Schon unter Mehmed-Ali wurden öffent liche Schulen nach europäischem Muster gegründet. Es gibt hier Schulen mit Primär- und Sekundar-Kursus, wo man Arabisch, fremde Sprachen, Mathematik und Geographie nnd Geschichte treibt, es gibt auch höhere Schulen, eine juristische, polytechnische, medizinische, Kunst-, Handels- und militärische Schule. Außerdem kenne ich noch eine große Freischule, „l'öoolo Krutuits et universelle sous tv protsotorut ckn prinoe börscki- tnire", von der ich aber nicht das Günstigste gehört habe. Sicherlich ist schon manches geleistet worden. Aber wie bei so vielem in Aegypten, verbirgt sich auch hier das Schlechte und