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Voll hier an schien die schneidige Kälte des Nebels sich zu mildern, als ob die ersten Boten wärmerer Thallüfte zu uns heraufgeführt wären. Auch innerhalb der obern Busch- regivn zog sich der Weg noch zwei Stunden langsam am Ge hänge hin. Endlich lichteten sich die Nebel und wir sahen uns gegen über das dunkle Gebirge von Popiglio, über dessen Höhen noch die grauen Schleier niederhingen; die fernen Felspyramiden von Lucca tauchten auf, eine grandiose Gebirgswelt. Weiter giugs auf schmalen Pfaden durch Schluchten und Gebüsch, nur noch zeitweilig in lichte Wolkenfetzen gehüllt. Da stand am obern Ausgange eines Schluchtcnpfades über uns, als wollte er den Engpaß in sein Bereich vertheidigen, ein Köhler mit der Axt in der Faust, das Gesicht geschwärzt. Schäfer und Köhler sind die einzigen Herren dieses obern Reviers. Ebenso freund lich wie am See zeigte man uns den Weg nach Spignana, das wir endlich nach einer Stunde erreichten, auf Wegen so schlecht als nur denkbar. Spignana liegt bereits im Gebiet der Kastanie. Hier kehrten wir bei einem Gastfreunde unsres Führers ein und tranken in knrzer Zeit eine jener großen strvhumflochtenen Flaschen von „viao uaro". Schinken und Brot, das wir mit genommen, labte uns; aber der Wein hatte unsern lustigen Filippo noch mehr belebt. Trotz des schlechten Wetters hatte er selten seine gute Laune verloren und auch im Gebirge oben oft ein Lied ertönen lassen. Eine interessante Figur! um den Kopf ein rothes Tuch geschlungen, das ihm den entrissenen Hut ersetzen mußte, ein braunes Gesicht mit großen sprechenden Augen, unter der Adlernase ein kräftiger schwarzer Schuurbart. In Spignana gab ihm der Gastfreund ein OsUsUo. Uebrigens hatte er schon vorher bei jedem Gehöft, an dem wir vorüber zogen, nicht ohne Anspielung auf unsre Mildthätigkeit, mit lebendiger Gestikulation erzählt, wie ihm sein Hut davonge- flvgen sei. Wie anders war nun der Weg ins Thal hinab! Wir befanden uns wieder in Italien. Es war nach 8 Uhr, die Sonne untergegangen. Die Tochter des Wirths, die schöne Giuglia, mit verbundenem Gesichte, meinte zwar, wir hätten noch einen schlechten Weg ins Limathal hinunter. Aber der Mond leuchtete zwischen einzelnen Wolkenmassen freundlich auf die Schlangenwindungen des Bergpfades, den wir zwischen mächtigen Kastanien abwärts schritten. Wetterleuchten und Mondlicht hellten die Schatten der Bergwaldung auf und im Dunkel der Gebüsche glimmten wie wechselnde Leuchtfeuer die italiänischen Johanniskäfer. Durch den Wein erheitert begann der Führer mit lebhaftem gutem Ausdruck italiänische Weisen anzustimmen und wir machten, in schlechtestem Jtaliänisch, wozu wir fähig waren, auf italiänische Weisen, Knittelverse, gereimt und ungereimt und verkürzten uns, unter 4 facher magischer Beleuchtung von Mondlicht, Wetterleuchten, Johanniskäfer und eigner Illumination den schönen Weg auf das angenehmste, bis wir die große Fahrstraße wieder erreichten, welche langsam ansteigend nns durch Mammiano nach S. Marcello leitete, wo wir ahends 10 Uhr eintrafen. Äm Nil. Von Adolf Uamveau. 2. Aegyptische Zustände und der Auszug der Pilgrime aus Kairo am 25. Schowäl. In der ersten Zeit seines Aufenthaltes in Aegypten ist der Fremde tvie verzückt und verzaubert von dem vielen Neuen und Wunderbaren. Selbst wenn man eben aus dem lieblichen Italien kam, trat man doch jetzt in ein ganz fremdartiges Land, in ein ganz eigenartiges Klima und man glaubte sich fast in eine märchenhafte Traumwelt versetzt. Der blaue Himmel strahlte und schimmerte so wolkenlos rein und doch wie von einem dünnen, mystischen Schleier verhüllt. Die Luft war so mild und balsamisch und, wenn auch die Sonne noch mächtig zu Mittag brannte, so war es um so lauer und linder am Abend. Dann funkelte und glänzte der Helle Sternenhimmel Aegyptens in zauberhaftem Glanze. Sanfte Winde weheten aus den prachtvollen Gärten süße Wohlgerüche, die herrlichsten Blumen blühten und des Südens Poetische Bäume prangten im Schmucke der von den heißen Sonnenstrahlen schön gefärbten Früchte. Des Sommers dörrende Gluthitze war vorüber und alle Pflanzen, wenn auch noch mit dichtem Staube bedeckt, wuchsen in üppiger Kraft, erfrischt und getränkt dnrch jene ewig jahraus, jahrein seit Anfang der Weltgeschichte regelmäßig wiederkehrende Ueber- schwcmmung. Der Nil stand noch hoch, höher als je seit Jahren um diese Zeit; aber fast zusehends wichen die Wasser in ihre schlammigen Ufer zurück. Noch waren die befruchtenden Kanäle voll und die Felder, noch naß und aufgeweicht, leuchteten in Hellem, frischem Grün. Ueberall sproßte und keimte es, überall regte sich die schöpferische Kraft der mächtigen Natur. Und welch ein Kontrast! Nicht weit von dem fruchtbaren Thale, im Osten und Westen sah man die kahlen, ranhen Hügel und den blinkenden, weißen Sand der weiten, öden Wüsten. Wie trunken war man und dem staunenden Blick erschien alles in seinem schönsten Lichte. Selbst das wüste Geschrei und das possenhafte Gebühren des Volkes, das einem zuletzt fast zu wider wird, war zuerst nur der Ausdruck eines heitern, fröh lichen Volkscharakters. Die Dragomane, die man später viel leicht als die größten und ärgsten Gauner erkennt, sprechen und gehaben sich so bieder und ehrlich. Mit immer neuem Behagen schaut man das bunte Treiben des orientalischen Lebens, von dem man als Kind die zauberhaften Märchen las und so gern träumte. Man bewundert den würdevollen, majestätischen Gang des langbärtigen Scheiks, die geräuschvollen Aufzüge des arabischen Volkes und besonders die langen Reihen der lasttragenden Kamele, wie sie, scheinbar unbeholfen und schwerfällig, doch sicher ihre gewaltigen Beine heben und setzen und mit ihren hohen, häß lichen Gestalten besonders im magischen Mondlichte gleich riesen haften Gespenstern emporragend einherziehen. Mit Andacht be tritt man die stillen, einfach-erhabenen, von lustigen Säulen getragenen Hallen der Moscheen. Erst nach und nach läßt die trunkene Begeisterung etwas nach und man beginnt mit klareren Augen die Verhältnisse des orientalischen Lebens zu betrachten. Da merkt man denn freilich die Altersschwäche und Morschheit dieser in eiteln Sinnestaumel und träge Geistesfaulheit versunkenen Gesellschaft und man schaudert vor der sittlichen Verkommenheit und gemeinen Bettelhaftigkeit, die, wie die Flicken und Löcher bei einem abgetragenen, einst schönen, seidnen Gewände, aus all der prunkenden Pracht von allen Seiten hervorgrinsen. Allerdings, wenn man mit dem Luxus und Komfort der heutigen „traveUers" Aegypten wie im Fluge durchreist und so nur seine schönsten und besten Seiten kennen lernt, ohne sich an einem Orte länger aufzuhalten und dieses Leben genauer und gründlicher zu studiren, da wird man wohl die glänzendsten Schilderungen von dem herrlichen Wun derlands geben und mit Bewunderung und Liebe von der liebens würdigen Naivität und Natürlichkeit seiner wenn auch schmuzigen Bewohner sprechen! Vergleicht man Aegypten mit den übrigen mohammedanischen Ländern, so zeichnet es sich vor diesen allen dadurch aus, daß hier offenbar europäische Civilisation und Bildung am schnellsten und leichtesten Eingang findet. Und in der That scheint es, als sei seit Mehemet Äli, dem ersten Vizekönig, der sich vom ge wöhnlichen TabLkskrüme.r durch seinen entschlossenen Muth zu dieser hohen Stelle emporschwang und die tyrannischen Bedrücker des Landes, die Mameluken,, mit rücksichtsloser Grausamkeit ver nichtete, eine neue Aera in Aegypten angebrochen. Durch ihn, diesen blutigen, aber klugen und wohl redlichen Herrscher, wurde der Grund zu allen späteren Verbesserungen und Fortschritten gelegt. Nachdem schon König Necho, dann der Perserkönig Darius 44*