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4853) wurde auch der Beschluß gefaßt, Sträflinge hieher zu deportiren (1854) und zehn Jahre später war die Zahl der Sträflinge auf 286 angcwachsen. Die größere Entfernung von der Heimat, die Jsolirung der Strafkolonie nach außen wie nach dem Innern der Insel, wo feindselige Menschenfresser jeden Flüchtling bedrohten, dazu das im Vergleich mit Cayenne un gleich gesündere Klima ließen diese Wahl als gelungen erscheinen. Allein wie haben binnen zwei Jahrzehnten sich die Ver hältnisse geändert! Die Erweiterung der Dampfschiffahrtskurse bis in die ferne Südsee, die wachsende Zahl der durch den Neichthum des Ackerlandes wie des Bergbaues herbeigezogenen freien Ansiedler haben die Strafkolonie als ein Hemmniß für die gesunde Entwickelung des Landes erscheinen lassen. Und dies war sie um so mehr, als die Zahl der De- portirten namentlich in den Jahren 1871 und 1872 durch eine Menge pariser Kom munisten ansehnlich ge wachsen war. Die Flucht des bedeutend sten unter diesen De- portirten, des kom munistisch berüchtigten Journalisten Henri Rochefort, hat der Insel Neu-Caledonien neuerdings einige Be rühmtheit verschafft. Schon am 30. März 1874 waren in Paris Gerüchte verbreitet, er sei aus Neu-Caledo- nien, wohin er trotz seiner Reklamationen transportirt worden war, entwichen und mit mehreren (5) sei ner Genossen auch glücklich entkommen, obgleich die Fluchtnach allen menschlichen Be rechnungen in Anbe tracht der zahlreichen Wachen so wie der Schwierigkeit der Pas sagen für unmöglich gelten mußte. Der Herzog von Broglie sollte, als man ihm die Nachricht gebracht hatte, geäußert haben, unter der Regierung des Herrn Thiers sei die Sache wohl mög lich gewesen, gegen wärtig sei sie aber geradezu undenkbar. Bald darauf bestätigte sich nicht bloß die Sache, sondern man erfuhr auch, daß ein englisches Schiff, auf der Rückreise nach Australien begriffen, die Flüchtigen ausgenommen habe; gewisse Blätter wollten schon wissen, daß die Versailler Regierung die englische verantwortlich machen werde. Im Mi nisterium ging man von der ganz richtigen Ansicht ans, daß die Flucht jener „Banditen" nur durch Beihilfe und unter Mit wissen von Beamten und Agenten, die in Neu-Caledonien an gestellt sind, bewerkstelligt werden konnte. Der Gouverneur von Numea war nach amtlichen Angaben während dieser Zeit auf einer Inspektionsreise im Innern von Baladea begriffen; die Deserteure hatten Erlaubniß erhalten, am Ufer des Meeres Fische zu fangen, am Ziele ihrer Exkursion angekommen fanden sie eine vor Anker liegende Barke, die sie aufnahm und auf hohe See führte. Wesentlich anders berichtet Rochefort selbst fein Entkommen in dem „New-Aork-Herald". Die Regierung von Neu-Cale donien, unter Gouverneur Gauthier de la Richerie, habe ein Entkommen der Deportirten für unmöglich gehalten und gerade deswegen fei Rochefort auf den Gedanken gekommen, die Flncht vorzubereiten. Mit zwei Mitgefangenen, Olivier Pain und Pascal Grousset, übte er sich täglich im Schwimmen. Dann wurde mit Hilfe dreier anderer, in Numea wohnender und mit mehr Freiheit der Bewegung versehener Deportirter, Jourde, Bailliöre und Bastien-Granthille, der englische Kapitän Law, der mit dem Dreimaster „Peace Comfort Ease" vor Numea lag, um Beistand angegangen und — ließ sich für die Summe von 10,000 Franken bereitwillig finden, einer Anzahl von de portirten Verbrechern, deren Namen er noch nicht kannte, zur Flucht zu verhelfen. Der Kapitän konnte, der strengen Wachen wegen, weder mit Schiff, noch mit Boot sich der Halbinsel Du- cos nähern, auf wel cher Rochefort wohnte. Das Schiff lag auf der Rhede, wohl 6 Ki lometer vom Lande entfernt. Den Flücht lingen blieb nichts übrig als sich in dunk ler Nacht, nach glück licher Umgehung von orei Wachtposten, ins Wasser zu werfen und durch die Korallen felsen zu schwimmen, weiter draußen nahm ein von ihren Freun den bereit gehaltener kleiner Kahn sie auf und brachte sie an das Schiff. Dort mußten sie, im heißen, dumpfen Schiffsräume versteckt, noch während der Stacht sich verborgen halten, bis das Schiff nach der gewöhnlichen Visitation die Anker gelichtet hatte. Auch draußen ans offener See angekvm- men mußten sie erst noch vor den Matrosen eine mit dem Kapitän verabredete Komödie aufführen, und sich stel len, als seien sie über Nacht ohne Vorwissen des Kapitäns an Bord gekommen. Nach kur ¬ zer, nur siebentägigen Fahrt landeten sie in Newcastle, von wo das Schiff Kohlen nach Neu-Caledonien überzuführen pflegte, und schon am 5. April traf die telegraphische Nachricht von Rochcfvrt's Entkommen in Paris ein. Am 11. April (und später) schifften sich die Flüchtlinge auf verschiedenen Wegen nach Europa ein. Aus Paris schrieb ein Journalist nach Deutschland unterm 2. April: „Die Flucht Rocheforts und seiner Cumpane aus Nu mea kann nunmehr kaum angezweifelt werden; es bildet dies das große Sensationsereigniß, mit welchem sich Paris noch im mer beschäftigt. Es ist unglaublich mit welchem Cynismus die hiesigen Journale den Vorfall besprechen. Sie betrachten die ganze Sache wie ein Vaudeville und klatschen Beifall, daß die Familie von Lanakcn aus lleu-Calcdonicn. 8av kein hier