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291 Burgstrabe zur Leinstraße verlängert wurde, die, wie alle alten Hauptstraßen der Stadt, der Uferbildung wegen, dem Flusse Parallel lief. — Diese bei der Burg Lauenrode und unter deren Schutze sich ansiedeluden Freien erhielten ihre erste Munizipal verfassung als oivas Im^venrocksnsss. Den Namen Hannover verdankt der Ort, wie seine Ent stehung, jener in der weiten Ebene der unteren Leine-Landschaften so auffallenden Erscheinung eines hohen Ufers; schon Leibniz hat das Wort Hannover als „hohes Ufer" erklärt. Eine sehr alte isländische Uebersetzuug des Namens lautet Habruniburg. Daneben hat man an eine Ableitung von henover! — hinüber! und Hal'over! — hol'über! gedacht, womit die Leute, die an dieser bequemsten Uebersetzestelle den Fluß passiren wollten, den Fährmann angerufen hätten; Albertus Crantzius führt den Na men auf einen alten Sachsenhäuptling Hanefo zurück, Grupen erklärt ihn als entstanden aus „Hogers Over", d. i. das Ufer des Hoger (eines Grafen von Lauenrode). Die Ableitung vom hohen Ufer möchte wohl die Naturgemäßeste und daher die be friedigendste sein. In der Entwickelung der Stadt Hannover können wir füg lich vier Hauptabschnitte unterscheiden, deren jeder einer andern Stufe der Aufschließung der geographischen Lage entspricht. Zuerst sehen wir an jenem zu einer Ansiedelung in mehrfacher Weise geeigneten Punkte des Leineufers, der deshalb wohl fchon in den frühesten Zeiten eine Fischer- und Fährmannswohnstätte bildete, den Keim der später« Stadt entstehen als Wohnort der Vasallen und Burgleute der Grafen von Lauenrode und sich langsam zu einer städtischen Anlage entwickeln; dann bildet sich diese zu einer aufstrebenden Landstadt aus, die dank ihrem Speditionshandel und dank der Leineschiffahrt einen hohen Grad der Selbständigkeit erreicht; die Erhebung der Stadt zur Resi denz bezeichnet den dritten Abschnitt, in welchem Hannover als Mittelpunkt eines stets sich vergrößernden Theiles des alten Sachsenlandes, als Residenz dieser freilich zunächst nur durch eine Art von Personalunion verbundenen altwelfischen Lande in stetigem, aber, besonders seit Uebersiedelung des Hofes nach London, langsamem Wachsthume erscheint, Hannover wird eine der kleineren deutschen Mittelstädte; die letzte Entwickelungs stufe zeigt Hannover als Residenz eines eignen Königs, als wirkliche Hauptstadt eines größern, nun zu Einem Staate ver schmolzenen Landes, Hannover wird Mittelpunkt von ganz Nieder sachsen und erobert sich so, mit Riesenschritten manche ältere Schwester überflügelnd und auf das wesentlichste gefördert durch die Erbauung der Eisenbahnen, den Rang einer Großstadt, eines Hauptsitzes für Handel und Industrie. — Die ersten Schritte der Ansiedelung „auf dem hohen Ufer" zu einer städtischen Gestaltung geschahen unter der wohlwollenden Begünstigung Heinrich's des Löwen, der 1156 den Ort befestigen ließ; die junge Stadt hatte viel von den staufischen Kaisern zu leiden, im Jahre 1182 wurde sie im Streite des Herzogs mit Friedrich Rothbart von dem letzter« in Asche gelegt, 1185 aber von Heinrich zum zweiten Male mit Mauern umgeben. Als später Kaiser Heinrich VI. in seinem Kampfe mit dem Löwen Braunschweig bestürmte und unverrichteter Sache abziehen mußte, war es Wieder das kleine, ohnmächtige, eben erst aufblühende Hannover, an dem der kaiserliche Zorn sich kühlte; auch diesmal ging der Ort in Flammen auf. Bei den Theilungen nach dem Tode Heinrichs des Löwen fiel die Stadt zuerst dem Pfalzgrafen Heinrich zu; dann erhielt sie der Herzog Otto Puer, der vom Kaiser zum Lehnsherzog von Braunschweig-Lüneburg ernannt Wurde. Unter ihm hörte das lehnsrechtliche Untereigenthum auf, welches die Grafen von Lauenrode an dem Orte besaßen, derselbe kehrte 1241 in das volle Eigenthum der Welfen zurück. Bis 1866 blieb nun freilich Hannover, mit geringen Unter brechungen, bei den Nachkommen Heinrichs des Löwen; da indeß die Lande dieses Geschlechts öfter unter dessen Zweige vertheilt wurden, so ging Hannover, das sehr bald Hauptstadt des Landes „zwischen Deister und Leine", des nachmaligen Kalenberg wurde, mit diesem bald auf den einen, bald den andern Zweig über. Schon unter dem Pfalzgrafen begann die Stadt sich zu erholen von den Wirre« der Kriege, rasch nahm sie zu an Größe und An fehn; boo tsmxors sx Hanovers insigns 8nxoniae opxiäurn emerZitur, sagt der Chronist Albertus Crantzius von dieser Zeit. Damals drohte der jungen Stadt die Gefahr, in Verhält nisse einzutreten, welche sie Wohl für lange, wenn nicht für immer auf der Stufe einer unbedeutenden Landstadt niederge halten hätten. Wie nämlich mehrfach die Städte jener Zeit sich gern an eine bischöfliche Regierung anschlossen, so war hier in Hannover die benachbarte Bischofsstadt Hildesheim zu großem Einflüsse gelangt, und im Jahre 1283 schien wenig daran zu fehlen, daß Hannover in den gänzlichen Besitz des Bischofs überging. Die Stadt wäre dann natürlich wohl nie eine welt liche Residenz geworden und hätte somit nicht die Kraft erhalten, die theils älteren, theils für die damaligen Verhältnisse besser gelegenen Nachbarstädte zu überflügeln. Einen wichtigen Schritt in der Entwickelung that die Stadt bei Gelegenheit des lüne- burgische« Erbfolgestreites; die Askanier Wenzel und Albrecht hatten im Kampfe mit dem braunschweig-lüneburgischen Herzoge Magnus Torquatus 1371 die Burg Lauenrode genommen und schenkten sie den Bürgern von Hannover, die nun schleunigst den verhaßten Sitz der Fürstenmacht zerstörten und dann ihre Stadt mit Wall und Mauer umgaben und einen Kreis von theilweis noch erhaltenen Landwehren aufführten. Fortan trachtete Han nover nach Unabhängigkeit. Der öftere Wechsel der Herrschaft war diesen Bestrebungen nicht ungünstig; wir sehen die Stadt in den ersten Jahrhunderten bei Lüneburg, 1409 wurde sie davon getrennt und mit Braunschweig vereinigt; als sie dann 1491 auch von Braunschweig getrennt ward, entstand eine eigne kalenberg'sche Linie des Welfenhauses, sehr bald mit der Residenz in Münden, da das Fürstenthum Göttingen sich schon 7 Jahre später mit Kalenberg vereinigte. 1584 sehen wir Hannover wieder bei Braunschweig, um 1635 wiederum davon getrennt zu werden; im letztern Jahre fiel Kalenberg mit Göttingen an die lüneburger Linie, die aus drei Brüdern be stand, deren einer, Georg, bei einer Theilung des lüneburgischen Gesamtbesitzes Kalenberg und Göttingen erhielt. Dieser Fürst verlegte 1636 seine Residenz nach Hannover. Hiermit hebt eine neue, die dritte Periode in der Entwicke lung der Stadt an. Zugleich beginnt um diese Zeit ein schnelleres Wiederzusammenfügen mancher der nach dem Tode Heinrich des Löwen zerrissenen Theile des alten Sachsenlandes. So be sonders bei dem Tode des Herzogs Georg Wilhelm, 1665; da mals erhob sich ein Erbstreit, nach dessen gütlicher Beilegung man den lüneburg'schen Gesamtbesitz in zwei Theile zerlegte, deren einer Celle, Hoya, Diepholz umfaßte, während in dem andern Kalenberg, Göttingen und Grubenhagen vereinigt wurden; zugleich bestimmte «ran, daß das unheilvolle Optionsrecht der Glieder des welfischen Stammes, und damit also der ewige Ländertausch in Zukunft wegfallen sollte. Kalenberg, Göttingen und Grubenhagen bilden demnach seit 1665 ein untrennbares, einiges Ganze, das nun nach der Hauptstadt genannte Fürsten thum Hannover. Eine auch für die Stadt wichtige Vergrößerung erfuhr das neue Fürstenthum unter der überaus segensreichen Regierung des zweiten „Fürsten von Hannover" Ernst August, der 1692 den Kurhut erhielt; dieser neue Kurfürst traf nämlich mit seinem Bruder Georg Wilhelm von Lüneburg, der keinen Sohn hinterließ, das Uebereinkommen, daß ihre Fürstenthümer fortan ungetheilt der hannover'schen Linie verbleiben sollten; worauf dann 1705 die Vereinigung Lüneburgs mit Hannover erfolgte, welches dadurch die erste Macht im niedersächsischen Kreise wurde, 1714 bestieg der Kurfürst Georg Ludwig als Georgi, den englischen Königsthron. Hannover wurde somit mit Englaud vereint. — Die französischen Kriege brachten für Hannover im Jahre 1801 die Besetzung des Landes durch Preußen, 1803 durch Frankreich und 1806 wieder durch Preußen; der Friede von Tilsit warf einen Theil des Landes samt der Stadt Han nover an das neugeschaffene Reich des Königs Hieronymus von Westfalen, welcher Hannover zum Sitz einer Präfektur machte. Im Jahre 1814 wurde das Kurfürstenthum Hannover zu einem Königreiche erhoben, und bald der Herzog Adolphus Frederick von Cambridge zum Generalstatthalter, und später zum Vizekönig von Hannover ernannt; 1837 erfolgte die Trennung Hannovers von England, und der Herzog Ernst August von Cumberland bestieg als selbständiger König den Thron von Hannover. Damit beginnt dann die neueste, glänzende Entwickelung der Stadt. — (Schluß folgt.)