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290 des Speditionshandels der Stadt Hannover ein. Der Nieder gang der Schiffahrt und die Entstehung der Eisenbahnen haben das gänzlich geändert, sie haben, für das südwestliche und süd liche Deutschland wenigstens, das Leinethal zu der Hauptstraße vom Süden zum Norden gemacht, von Frankfurt nach Bremen und Hamburg-Lübeck. Hannover blieb auch seit Erbauung der Eisenbahnen der Pnnkt, wo die von Süden kommende Straße nach Bremen nnd Hamburg sich theilt. Braunschweig, das nun durch die Bahnen den Städten Magdeburg und Han nover zu nahe gerückt wurde, verlor einen großen Theil seiner Wirksamkeit an die beiden Rivalinnen. Magdeburg, dem frei lich die Elbschiffahrt zu statten kommt, wird andrerseits da durch in seiner Entwicklung etwas zurückgehalten, daß es eine Festung ist; auch liegt ihm wohl Berlin jetzt zu nahe. Han nover dagegen, gerade die Mitte bildend zwischen Berlin und Köln, ist von beiden genügend weit entfernt; hier schneiden sich die großen Handelswege Leipzig-Bremen-Bremerhaven und Frankfurt-Hamburg-Lübeck. — Alle diese Verhältnisse, die mit der Erhebung Hannovers zur Residenz die ersten Spuren eines Sichgeltendmachens zeigen, gelangten aber erst mit der wirklichen Einigung der welfischen Lande zum Königreiche Hannover, mit der Thronbesteigung eines eignen hannoverschen Königs und der damit verbundenen Trennung von England, endlich mit der Erbauung der Eisenbahnen zur vollkommenen Geltung. Han nover ist daher die jüngste unter den deutschen Großstädten. Die neueste Zeit hat auch erst die Schätze des Bodens gehoben, der Hannovers Umgebung bildet. Diese geognostischen Verhältnisse der Stadt und ihrer nächsten Umgegend sind für die neueste Entwickelung Hannovers von großer Wichtigkeit ge wesen; wir müssen ihnen daher eine kurze Aufmerksamkeit schen ken. — Neben den Diluvialformationen, die nach Norden das weite niedersächsische Flachland bedecken, treten große Räume jüngern Alluviums, Moor- und Marschbildungen auf; den vorherrschend sandigen Boden charakterisiren Kiefern und Roggen. Nach Süden hin erstreckt sich das höchst fruchtbare eichen- und weizenreiche Hügelland, von bunter geognostischer Zusammensetzung. Diese Region hat mancherlei Mineralprodukte, deren wichtigste, industriefördernde wir hier hervorheben wollen. Von großer Bedeutung für Hannover sind die Formationen des Bundsandsteins, da die reichen Soolquellen von Davenstedt und Badenstedt, am Fuße des Lindener Berges, den Steinsalz lagern entspringen, welche in einer Tiefe von 226,s m. dem Buntsandstein eingebettet sind. Zur Kalkbrennerei und zu Fun damentsteinen dient der an mehreren Stellen gefundene Mu schelkalk. Die Juraformation ist besonders in ihren oberen Abtheilungen bei Hannover sehr verbreitet, die nächsten Höhen im Westen und Südwesten der Stadt sind sämtlich aus Jura schichten zusammengesetzt. In zahlreichen Steinbrüchen benutzt man sie für die Kalkbrennerei und zur Gewinnung von Ban- steinen. Die Schichten des obern Jura der Anhöhen westlich von Limmer sind dicht mit Asphalt getränkt, wir finden hier die weltbekannten Asphaltgruben von Limmer und Ahlem. In neuester Zeit hat man auch noch zahlreiche gute Asphaltlager in den dem Osterwalde sich anschließenden Bergzügen des Hils und Ith, südlich von Hannover, entdeckt. Von geringer Be deutung ist eine.Schwefelquelle in dem verfallenden Badeorte Limmerbrunnen, nahe der Stadt. Die Wälderformation, welche die Höhe und die nördlichen Abhänge des Deisters zu sammensetzt, ist durch ihren Reichthum an abbauwürdigen Kohlen schichten für Hannover von der größten Bedeutung; auch am unweit entfernten Kleinen Süntel und am Osterwalde werden Steinkohlen gewonnen. Die untere Abtheilung dieser Forma tion liefert in mächtigen Bänken ein vorzügliches Baumaterial, den sogenannten Deistersandstein; berühmt ist der Sandstein der Steinbrüche von Mehle am Osterwalde. Sehr verbreitet ist in unsrer Gegend auch die obere Kreideformation, deren Mergel theils zum Kalkbrennereibetriebe, theils zu ökonomischen Zwecken, wie besonders der weitversandte Misburger Mergel eine große Verwendung findet. Vor Jahren hat man bei Da venstedt Spuren eines unbedeutenden, daher bis jetzt unbenutzten Braunkohlenflötzes gefunden; im übrigen fehlt die Tertiär formation gänzlich. — Diese kurze Uebersicht zeigt eine nicht geringe Anzahl schätzbarer, zum Theil sehr werthvoller Boden schätze in der Umgebung der Stadt Hannover; seit Erbauung der Eisenbahnen hat die Bedeutung derselben für die Entwicke lung der Stadt selbstverständlich ungemein zugenommen. Nachdem Hannover durch seine Erhebung zur Residenz den Charakter einer Landstadt verloren hatte, nachdem in unserm Jahrhunderte die Etablirung der Centralregierung der sämt lichen hannoverschen Lande in Hannover erfolgt war, beginnt die Stadt, durch jene Vorgänge zu einer größern Bedeutung, Einwohnerzahl und Wohlhabenheit gelangt, sich die Vortheile ihrer Lage zu den Nachbarstädten, zum niedersächsischen Lande, an den großen Handelswegen dienstbarer zu machen; die Eisen bahnen erscheinen dann in den letzten Jahrzehnten als die kräf tigsten Förderer auf der so beschrittenen Bahn des Wachs thums — in überraschend kurzer Zeit sehen wir die neue Groß stadt entstehn, ein neues Handels- und Jndustriecentrum im deutschen Norden! Um zu zeige», wie lange man die geographische Lage Han novers, ihre überaus großen und wirksamen Vortheile verkannte oder verkennen mußte, sei es erlaubt eine Bemerkung des Geographen Sonne hier anzuführen. Derselbe sagt in seinem in den dreißiger Jahren erschienenen Handbuche der Geographie des Königreichs Hannover wie folgt: „Durch Handel nnd In dustrie kann Hannover, seiner Lage und seinen Verhältnissen nach, sich nicht auszeichnen, wohl durch Blüte und Lebhaftigkeit der städtischen Gewerbe". Daß der Hannoveraner mit nieder sächsischer Zähigkeit an diesem nur zu oft wiederholten Dogma festhielt, mag nicht unwesentlich dazu beigetragen haben, die großstädtische Entwickelung seiner Stadt so sehr zu verspäten. Die erste Entstehung Hannovers verliert sich im Dunkel weit entfernter Jahrhunderte. Vielleicht Ivar der Platz schon zu oder vor Karl des Großen Zeiten bebaut und bewohnt, wenigstens scheinen verschiedene hier aufgenommene heidnische Funde darauf hinzuweisen. Das in dem „Berge" ansgegra bene hohe Ufer mag, vor Ueberschwemmungen gesichert, früh schon Ansiedler, vielleicht zuerst Fischer und Fährleute an sich gelockt haben. Auf dem wasserumgebenen „Berge", jenem durch seine Lage trefflich geschützten Punkte, entstand frühzeitig eine Burg, welche dem Geschlechte der schon zu der Karolinger Zeiten bekannten von Roden gehörte. Wann diese Burg „Lanen- rode" gestiftet wurde, ist unsicher, im I. 1215 wird sie zuerst erwähnt; man glaubt, daß sie im Anfänge des 12. Jahrh. er baut sei. Dieser mit der Burg besetzte „Berg" bezeichnete zu gleich seit den ältesten Zeiten einen Grenzpunkt der Gaue; das dort sich entwickelnde Hannover gehörte in den ersten historischen Zeiten zu dem engernschen Gau Marsteme. Das Land der Engern, der mittlere Theil von Sachsen, grenzte an diesem hohen Ufer mit dem der Ostfalen. — Als unter dem Schutze der Besitzer von Lauenrode, welche vermuthlich diese Gegend von den sächsischen Herzögen als eine Grafschaft zu Lehen trugen, die Zahl der Ansiedler neben der Burg, also auf dem linken hohen Ufer, mehr und mehr anwuchs, besiedelte man auch das gegenüberliegende rechte Flußufer. Auf demselben bauten sich großentheils Burg- und Dienstleute der Grafen von Lauenrode an, welche auf der erhöhten Uferstrecke am Flusse ! entlang die Burgstraße gründeten, die älteste Straße der jetzigen Stadt, wohl so genannt nach der gegenüberliegenden Burg. Wie seit alters die Gaue, so berührten sich an dieser Stelle auch die Bisthümer Minden und Hildesheim; das entstehende ! Hannover fiel dem Archidiakonate Pattensen zu, das einen Theil der Diözese Minden bildete; eine vor dem östlichen Thore der Stadt, dem Aegidienthore, erbaute Kapelle gehörte schon zu ^Hildesheim. Die Ausbildung der ersten Anbauereien zn einer ^Ortschaft ist indeß nur langsam vor sich gegangen. In einer Urkunde des Kaisers Heinrich ^ll. vom Jahre 1013, in welcher Hannover, falls schon existirend, wohl hätte genannt werde» ^können, wird es noch nicht erwähnt. Der Name Hannover er scheint zum ersten Male in Urkunden aus dem beginnenden 12. Jahrhundert, in den iniraoula »»»oti Uornwaräi; der Ort wird darin als vious Honovvrs, Dorf H., bezeichnet. Heinrich ^der Löwe wandte dem Orte seine Gunst zu und ließ ihn be- festigen; 1163 hielt er daselbst eine glänzende Versammlung geistlicher und weltlicher Würdenträger ab. Die seinem Tode folgenden Unruhen steigerten den Werth eines Schutzes, wie ih» die Burg Lauenrode bieten konnte und führten daher bald eine größere Anzahl Kolonisten herbei, sodaß sehr früh schon die