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bar war, mich mit der größten Freundlichkeit aufnahm, mir mit ausgezeichneter Milch eine gute Schokolade kochte und dazu noch jede Zahlung ablehnte — er freute sich „einen Deutschen" beherbergt zu haben! — Nur kurze Zeit weilte ich bei dem treuherzigen Alten, ging wenig thalaufwärts und umging dann an der gegenüberliegenden Thalwand des Hamand er auf einem schon von fern sichtbaren, leidlich bequemen Wege den steilen Berghang, bis ich das nächste Seitenthal erreichte. Dieses Thal kommt in mehreren Verzweigungen theils aus dem westlich unter dem Schrumm und zwischen diesem und dem Hamander gelegenen wilden Felsenkar, einer mit todtem Ge trümmer eiugestürzter Berge erfüllten grauenvollen Einöde, theils von den milderen und begrasten Abhängen des Hasenbergs; die Gewässer schneiden im untern Theile tief ein und stürzen dann in raschen Fällen zur Fersina hinab. Ich wendete mich ziemlich weit südlich und gelangte so ohne sonderliche Schwierigkeiten hinauf auf das Joch, welches hinüber an den Cornellabach und mit diesem in das Thal der Sieben Seen führt, hielt mich ziemlich hoch an der Wasserscheide und stieg nur einmal ein Stück hinab, um an einem Wasser tümpel nach Pflanzen und Käfern zu fahnden. Dann stieg ich wieder stark aufwärts auf einem Grat, der vom „Sasso rotto" so heißt der Schrumm nach der italiänischen Seite zu, sich nach Osten senkt, um dann in seinen weiteren Verzweigungen als Monte Mendana und Monte Ezzi das Thal der Sieben Seen von dem Thale Ezzi zu scheiden. Jetzt begann für mich die eigentliche Arbeit. Nachdem ich ein Frühstück zu mir genommen, mich mit einem Schlnck Wein gestärkt und die scharfen Felskonturen des Schrnmm gezeichnet hatte, fing ich an, die schroffen Felsgrate zu erklimmen, welche in seltsamen Gezack hinüber zum Massiv des Bergs führten. Aber die Arbeit war vergeblich. Drei, vier Mal versuchte ich den Aufstieg, wendete mich bald an der östlichen, bald an der westlichen Seite jener Felszacken hin, erstieg die eine oder die andre, immer mußte ich wieder hinab, immer wieder von vorn anfangen. Schon war ich dem Hauptberge ganz nahe; nur noch ein paar Schritte an den Absätzen einer Felswand hin, die für einen sichern Tritt ungefährlich waren — aber diese wenigen Schritte ließen die Frage nach dem Rückwege bedenklich erscheinen, und da ich mir diesen für alle Fälle sichern mußte, kehrte ich um. Fast eine Viertelstunde brauchte ich, um hinunter an den östlichen Fuß der schroffen Felsenwände des Schrumm zu ge langen. Unten ein weiter Thalkessel, ein kleiner blau und grün schillernder See, weiterhin eine langgestreckte Alpenhütte, wahr scheinlich zum Aufenthalt für die zahlreichen Schafherden gebaut, die ich unten weiden sah — aber mein Sinn stand nicht so tief hinab, obwohl es vielleicht gerathener gewesen wäre und mich weniger Anstrengung gekostet hätte. Verschiedene Rasten abgerechnet, hatte ich sicher eine Stunde Arbeit, um über das Geröll hinwegznklettern, welches der Schrumm in die Tiefe hinabgesendet hat und welches wie ein Wildbewegtes Meer unten sich ausbreitet. Glücklicher Weise lagen die Steine alle fest, so daß der Fuß sicher von einem auf den andern springen konnte. Wenig Thier- und Pflanzenwelt gibt es in diesen öden Regionen. Nur einmal guckte ein Wiesel zwischen den Felsen hervor, und als ob es nicht recht gesehen habe, kam es nach einer Minute wieder, um nochmals seine neugierig fragenden Blicke auf mich zu richten. Wie selten mag ein fremder Gast in diese Steinwüste sich verirren! Endlich hatte ich das Massiv des Bergs hinter mir und über mir wieder vereinzelte Zacken und mehrere Joche, welche die Verbindung vom Schrumm zum Außenthalkofel und zum Schwarzkofel vermitteln. Ein mit Rasen und Geröll bedeckter schmaler Aufstieg führte in eine der Schluchten; ich gewann glücklich die Höhe und stieg, Hände und Füße gebrauchend, hinan. Plaid, Schirm und Tasche zurücklassend, erreichte ich ohne sonderliche Anstrengung den nördlichen Gipfel des Schrumm — es ist wohl derselbe, deu Masera mit dem Namen Cima Ezzi bezeichnet (2372 m.), während der südliche Gipfel, der Sasso rotto (gebrochener Fels) mit 2377 m. Höhe angegeben wird. "Ein weiter schöner Umblick lohnte die Mühe des Steigens. Ich war wieder einmal oben auf einer Höhe, welche nach allem Teilen freie Aussicht gewährt! Leider blieben auch heute Orteles, und Großglockner in ihren Wolkenhüllen, nur Presanella und die weiter südlich liegenden Schneeriesen zeigten ihre vollen schönen Umrisse. Von Venezieu her zogen Tausende kleiner Haufenwolken, die sich über einander thürmten und regenreiche Tage verhießen, wenn auch ihre Bewegung eine so langsame war, daß ich nicht fürchten mußte, bald in Wolken und Nebel eingewickelt zu werden. Aber nun der Abstieg! Die „Feueresse", durch die ich heraufgeklettert war, führte nach Val Ezzi hinüber — dorthin wollte ich nicht wieder hinabklettern, ich hätte in der nächsten Schlucht wieder heraufsteigen müssen. Nach Westen hin gab sie keinen Abstieg, auf dem Kamm war jede Verbindung nach dem Joch hin abgeschnitten. Ich mußte mir also anderweit helfen. Und siehe es ging! Bald rechts, bald links über Felsstufen hinab, immer noch diese und jene Blume pflückend, einen oder den andern Schmetterling mitnehmend, kam ich herab in eine Schlucht, die auf der Seite nach Fersina zu abfiel. Aber die Schlucht war steil, voll grober Geröllbrocken, alles Geröll locker. Da war Vorsicht nöthig und langsames Steigen. Nirgends war das Geröll so frisch als hier, nirgends sah ich die Felszacken über mir so drohend Überhängen! Endlich ver wandelte sich die Schlucht in eine Gerölllähne, auf der freilich das Fortkommen auch kein bequemeres war. Ich befand mich im obersten Kar von Jnnerthalen. Noch hätte ich Zeit gehabt, einen weitern Gipfel zu ersteigen, doch sind die folgenden Gipfel niedriger und überdies drohte naher Regen. — Ein düsterer, wildernster Anblick! Moränenwälle, seit Jahrhunderten überschüttet mit den jährlich losgesprengten und von den Höhen herabdonnernden, unter hundertfach zer splitterten Felsblöcken, hin und wieder Schneereste vom letzten Winter, aber nirgends fließendes Wassert Eine Thalstufe mit hausgroßen Blöcken mußte ich hinab steigen, den Weg mühsam suchend. Der Paß ist einer der un gangbarsten in diesem Gebirge. Endlich kam ein fließendes frisches Wasser, von der Seite herabrinneud, für mich mit dem Reste des Weins in meiner Flasche gemischt eine willkommene Labnng, — auch dann noch als nun ein starker Regenguß rauschend über das Kar niederging. Eine weitere Thalniederung, mit Blöcken bedeckt, folgte der ersten, Wacholder, Alpenrosen und andres Kraut dazwischen deckten den Plan, Lärchen standen hier und da, das nun starke Wasser des Thals blieb immer versteckt in der Tiefe, rauschend, plätschernd, murmelnd, nirgends sichtbar — bis nach einer Viertelstunde mühsamen Wegs es endlich auf einer offenen grünen Wiese als starker, klarer Bach hervorbrach. Der Wiese folgt eine neue Thalstufe mit Geröll, wieder die Endmoräne eines alten Gletschers und unter derselben die Hütten, an denen ich früh vorübergekommen war. Jetzt waren sie leer, Hirten und Herden an den Bergen. Lange Zeit rastete ich in Jürger (Palai) und langsam, wenn auch nicht müde, wanderte ich gegen Abend wieder ab wärts nach Fierozzo. Die härteste Bergpartie meines Aufent halts im Fersinathale war glücklich und ohne allen Unfall überwunden. 7. Der Caldonazzo-See. Ehe ich von dem abgelegenen Thale Abschied nehme, in welchem ich unter freundlichen Menschen und in frischer klarer Alpenluft ebensoviel Arbeit für den Körper als Ruhe und Er holung für den Geist fand, muß ich noch des letzten im Trentino verbrachten Tages gedenken, der mich mit einer wenigbekannten Perle von Tirol, dem Caldonazzo-See, bekannt machte. Pergine ist ein freundliches Städtchen. Die große Kirche mit ihrem neuen Frontispiz und einem hohen Thurme ist weit hin sichtbar. Die Stadt trägt italiänischen Charakter, auf mehreren breiten Straßen fließen im raschen Laufe die Arme der Fersina, von Steinen oder Holz eingefaßt und Wäscherinnen treiben an ihnen ihr Gewerbe. In den Vorstädten sieht man verfallene Häuser und jene geniale Liederlichkeit in Bau und Haltung, welche oft den längst bewohnten Bau unfertig läßt. Ringsum breitet sich reiches, angebautes Land aus. Die Zahl der Wege ist eine sehr beschränkte. Ich wanderte am 8. August auf der schönen Chaussee nach Levico zwischen Wein bergsmauern, öfters mit schöner Aussicht, bergan, bog auf der 36*