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281 Daß die Schulbildung nicht auf besonders hoher Stufe steht, darf nicht Wunder nehmen. Zwar sind im ganzen Thalc die Geistlichen zugleich auch Lehrer — eiuc Einrichtung, die sich schwerlich abstellen lassen wird, da die Gehalte äußerst gering sind, bis jährlich 150 Gulden! —, aber einerseits kann bei der Natur des Alpenlebens nur in den sechs Wintermonaten, wo die Familien im Dorfe anwesend sind, Unterricht ertheilt werden; andererseits haben politische Interessen manches Hinderniß in den Weg gelegt. Namentlich hat in den Zeiten, wo eine Partei in Südtirol, die ultramontancn Geistlichen voran, den Anschluß an Italien begünstigte und verwirklichen helfen wollte, der Unterricht in der deutschen Sprache ganz aufgehört. Hat doch einer der Geistlichen, mit Androhung kirchlicher Strafen, den deutschen Eltern verboten, mit ihren Kindern anders als in italiänischer Zunge zu reden! Und so kommt es, daß in den oberen Gemeinden des Thales die älteren Leute — und jetzt auch wieder die Jugend — deutsch reden, während namentlich die Leute von 20 bis 30 oder 35 Jahren wenig deutsch verstehen. Daß noch viel Aberglauben im Thale ist — wen wollte dies Wunder nehmen? Noch ist das gefährliche Wetterläuten bei Gewittern nicht eingestellt. Noch ist die größere Anzahl der Moccheni überzeugt, daß die Hexen „die Blitze machen" und mein Gastfreund hätte gar zu gern eine Elektrisirmaschine gehabt, um seinen Pfarrkindern zu zeigen, was es für eine Be- wandniß mit den Gewittern hat. Der deutsche Dialekt des Thales ist übrigens leicht ver ständlich, bei weitem nicht so schwerfällig wie das Oberbay rische oder Schwäbische. Die von Deutschland, d. h. zunächst von den deutschreden den Provinzen Oesterreichs, dann aber auch aus dem deut schen Reiche, geleistete Hilfe hat die deutsche Schule wesentlich gefördert. Die Schulstube in San Felice hatte einen guten Vorrath von Lehrmitteln er halten, darunter manche hüb sche Wandkarte aus Gotha. — Und doch fragt sich, ob die Ver- wälschung aufgehalten werden kann! Wenigstens müßte die Landesregierung weit durch greifendere Maßregeln anwen den, um Südtirol dem deutschen Einflüsse zu erhalten. Hätte nicht die italiünische Nachbarbevölkerung mit „wäl- scher List und Falschheit" die Gemüther der Moccheni sich entfremdet, so wäre Südtirol längst eine italiünische Provinz geworden. Als ich in einer Gasse von Palai entlang ging, und ein bissiger Spitz mich ankläffte, rief ein altes Mütterchen ihn ab mit den Worten: „Beiß nicht! 's ist kein Wälscher, 's ist ein Deutscher!" eine Aeußerung, die zu charakteristisch ist, als daß ich sie hier verschweigen dürfte. 0. Hochtouren im Fersinathale. Es war ein klarer, schöner Julimorgen, (27. Juli 1874) als ich in Begleitung des Kuraten Gadler von San Felice aufbrach, um den höchsten Gipfel der östlichen Thalseite, die 2380 m. hohe Cima Lai ton (Laiteuspitz) zu ersteigen. Wir marschirten ziemlich spät aus, da Gadler erst noch seine Früh messe (5 bis 6 Uhr) abzuhalten hatte und rasteten bereits nach einer halben Stunde, nachdem wir die auf einem umbüschtcn Hügel gelegenen Mauerreste der St. Lorenzokapelle passirt hatten, vor einem Bauernhause, um einen dritten Begleiter, den emeri- tirten Kuraten Pompermajer, zu erwarten, der, obwohl älter und schwächlich aussehend, sich noch als guter Bergsteiger erwies. lieber grüne Matten und an reifenden Kornfeldern vorbei sührte der Weg rasch aufwärts. Bald hörten die Kornfelder auf und es gab nur noch Wiesen mit hohem Grase und Alpen ¬ kräutern, hin und wieder von niedrigem Walde unterbrochen. Der Germer (Voratrum Ubnm) mit seinen großen Blättern und seinen grünen steifen Blüten- und Fruchtstengeln trat als Charakterpflanze auf, ^ocmitiiio, OiAitUis, Impers-toria, Ostrutbiuio (Meisterwurz) thaten sich hervor, neben ihnen Alpenglockenblumen (OamxgEtL Upina, xusitlo,), die Schwarz orchis mit ihrem Banillenduft (MArttsUu suuvooloim, Arten von UscUvot^iüs und Luptsurlliu/ Mehrere 8säuiL-, KaxitrÄK-n- und Oarox-Arten an quelligen Stellen boten einen mir hier uner warteten botanischen Reichthum. Noch einen steilen Hang über ungemähte Wiesen hinauf, und wir kamen an die letzte bewohnte Alpenhütte, wo uns — es mochte bereits gegen 9 Uhr morgens fein — ein Täßchen schwarzer Kaffee bereitet wurde. Ueberall herrschte Gastfreund schaft in diesen Hütten; ich bezog dieselbe zunächst auf den in hohem Ansehen stehenden und in seiner Gemeinde allgemein geliebten Geistlichen, hatte aber später Gelegenheit, anch für mich selbst ähnliches zu erfahren. Der Weg aufwärts verließ bald die Region der mähbaren ^Wiesen. Oedes steiniges Weideland, niedrige Büsche von ^Wacholder und Fichten, offenbar von Schafen und Ziegen fleißig befressen, (welche Thiere die schonungslosen Vernichter I des Hochwaldes in den Alpenhöhen sind) waren über die weiten Gehänge zerstreut. Die Bauer frau und ihre Tochter erleich terten unsern Weg, indem sie, auf ihre Arbeit in der Höhe ausgehend, unser Gepäck in ihre Tragkörbe nahmen; auch Pom- permajer's Büchse schaute fried lich aus dem Tragkorbe des Mädchens heraus. Nach einer geraumen Strecke gelangten wir über steilern Berghang au die oberste Quelle — die Berghöhen selbst sind bei dem Porphyr- wie bei dem Kalkgebirge wasserarm — und hielten eine kurze Rast. Das Mädchen hatte bald aus der Rinde von Wacholderstämmchen Röhren zum Trinken fabrizirt, die kleine Quelle war einst weilen soweit vertieft worden, daß wir trinken konnten, und so labten wir uns zum letzten Male an dem frischen kühlen Born. Von Bergkopf zu Bergkopf ging es nun aufwärts, bis wir an den Rand einer Seitenschlucht des Valcava kamen, in welche die Frauen Hinabstiegen, während wir die letzten felsigen und steilen, oft durch lockeres Geröll schwierigen Abhänge der Cima Laiton erkletterten. Manch seltenes Hochalpenpslänzchen erschien hier auf dem Gipfel. Mit 2000 ro. bleibt ein großer Theil der subalpinen und alpinen Flora zurück, und der zwergartige Flor der Silenen, Arenarien, Eritrichien, Cardamiuen, Veroniken, Alpenphyteumen Gentianen u. a. m. lagert sich in Rasen um die Steine, auch Gletscherweiden erscheinen. Ein weites prächtiges Panorama bot sich uns dar. Nach Süden ging der Blick hinunter in das kahle weidereiche Val Portella und weiter hinab auf das Val Sugana, welches bei Borgo, Castelnuovo, Strigno eine fruchtbare von zahlreichen Ortschaften erfüllte Thalweitung bildet, tiefer abwärts aber zu einer von hohen Felswänden eingesäumten Schlucht sich verengt, in welcher die Chaussee wie ein weißer Faden neben dem breiten Geröllbette der Brenta hinläuft. Nach Westen über schauen wir das tiefliegende Fersinathal, zu welchem die Molino- schlucht hinabführt: in dieses Thal senken sich die Geröllbetten von der langgestreckten Kette des Cima Laiton. Unser nächster Nachbar im Norden, der scharfgezeichnete 2346 m. hohe Frawort ist nur 2 Kilometer von uns entfernt, aber durch einen niedrigern Ächze des Fcrsum-Thales. Aus alle» Welttheilen. VI. Jahrg. 36