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sehen an mir vorüberziehen ließ: so reichte doch dies alles eben nur hin, um einen Ueberblick über die Fülle der Natur und des Lebens zu gewinnen, an welcher ich in wenigen Stunden vorüberflog. Der Wagen stillte sich, je weiter thalabwärts, immer mehr mit lachenden, schwatzenden, lärmenden Südtirolern und Südtirolerinnen, deren Dialekt selbst einem mitfahrenden ernsten Römer unverständlich war. Immer heißer ward das Klima, die umgebende Natur Prangte in südlicher Ucppigkcit, die in das Hauptthal einmün denden Wildbäche brausten in gewaltigen Wasserfällen herab und die Etsch begann an vielen Stellen ihre Ufer zu überfluten. In Trient stand ein Postwagen aus Levico vor dem Bahn hofe, ich stieg ein, und nach kurzem Aufenthalte in der schönge bauten, schmucken Stadt rollte ich zum östlichen Thore hinaus. Steil windet sich die schöngebaute Straße ani Abhange hinauf, und von jeder Ecke giebt es köstliche Rückblicke auf die muntere, freundliche Stadt, auf die zahlreichen Dörfer und Schlösser und Landhäuser, welche aus den rebenbewachsenen Hängen hcrab- blicken, auf die gigantischen Felskolosse des Monte Corno und Monte Bondone, die drüben im Westen den Thalkessel von Trient einschließen. Wenn die Sonne alle diese kahlen Felsen- ivände erwärmt, dann mag die Luft wie in einem Treibhause sein, und ihre Temperatur wird schwerlich von einer andern Stadt Europa's übertroffen — bisher galt Athen mit einem Maximum von 40" für den Platz, der in Europa den höchsten Wärmegrad erreicht hatte: Trient steht ihm kaum nach. Noch einige Biegungen des Wegs, und der Blick rückwärts ist durch Berg und Felswand geschlossen, unser Weg zum Theil auf starken Strebemauern am Rande der Fersinaschlucht gebaut: tief unten rauscht das Wasser, in mächtigen horizontalen Bänken sind die Kalkschichten über einander gelagert. Nach kurzer Zeit halten wir vor einem kleinen Wirthshause. Der Postillon liebt eine Erquickung, die Pferde ruhen gern kurze Zeit, wir gehen wenige Schritte herüber auf die Brücke. Welch seltsamer An blick! In einem einzigen mäßigen Bogen, dessen Pfeiler auf den beiderseitigen Felsenwänden ruhen, führt eine Seitenstraße zum linken Ufer der Fersina hinüber nach dem in Weingärten versteckten Dörfchen Povo (deutsch Bau). Wir betreten die mit hohen steinernen Schutzmauern eingefaßte Brücke. Wenden wir den Blick thalaufwärts, so liegt ein mehrere hundert Schritte breites Geröllbctt vor uns, in welchem der Fluß sich nach Be lieben, oft in mehreren Armen, seinen Weg sucht; die Felsen rechts und links geben dem großen Bilde einen kräftigen Ab schluß. Wenden wir uns zur andern Brüstung der Brücke, so fällt unser Blick hinunter in finstre, unergründliche Tiefe, aus welcher kühler Wasserstaub heraufwirbelt: in der Felsenspalte gerade unter der Brücke stürzt sich der Fluß in ewige Finsterniß hinab. Es fehlt nicht an einem Invaliden, der uns den selbst verständlichen Weg zeigt, nicht an einem Knaben, der Steine hinabwirft, damit wir nach dem Schall die Tiefe ermessen können — die guten Leute brauchen unsern Geldbeutel nothwendiger als wir ihre Dienstleistungen! Nach wenigen Minuten kehren wir den großartigen Zügen des Naturbildes und der menschlichen Armseligkeit den Rücken. Unsre Straße geht weiter an der rechten Thalwand, an senk rechtem, ja überhängendem Felsen hin. Zweimal stürzen Gieß bäche von oben herab, aber so tief ist der Weg in die Wand eingegraben, daß er trocken bleibt, ja daß das Wasser weit über uns hinaus in die Tiefe fällt. Ehe die Chaussee den Engpaß verläßt; werden wir troglodytenartiger Bauten im Felsen gewahr. Bei näherer Betrachtung finden wir, daß wir es mit Festungs werken zu thun haben, und erkennen die drohenden Schießscharten; einige Wachen, die auf ihrem Posten stehen, vervollständigen das kriegerische Bild. Jenseit des Engpasses angekommen, sehen wir höher oben auf dem Berge, da wo die ältere Straße ihn überschritt, größere Festungswerke. Das Thal, welches heute so friedlich im warmen Sonnenschein vor unseren Blicken sich aus breitet, ist öfters der Tummelplatz feindlicher Scharen gewesen: Zuletzt im Juli 1866, wo an 30,000 Jtaliüncr im Val Sugana heraufmarschirten, Levico stürmten, Pergine besetzten und Trient bedrohten. Schon hatte Oesterreich den bei Custozza und bei Ha zu Lande und zu Wasser geschlagenen Feinden das König lich Venezien abtrcten müssen, jetzt drohte auch der Verlust Südtirols — das Trentino aber wurde durch die Tapferkeit der Tiroler gerettet, und heutzutage wollen die Südtiroler (eine kleine, wenn anch einflußreiche ultramontane Partei abgerechnet) nichts von einem Uebertritt unter den Schutz der italischen Krone wissen. Auf ebenem Wege, zwischen Alleen von Wallnuß- und Maulbeerbäumen, rollt der Wagen rasch dahin, und so erreichen wir Pergine (l. kSrAlus, das Z wird nicht italiänisch ausge sprochen, der deutsche Name lautet Perscn), ein freundliches Städtchen mit ziemlich italiänischer Bauart, theils engen, theils breiten und von den Verzweigungen des Fersinabaches durch flossenen Straßen; im Osten überragt eine stattliche Burg, auf i isolirtem Felsen sich erhebend, die Thürme und Häuser der Stadt. Bald war das Gepäck auf der Post in Empfang genommen; ein Schuhmacher, der in offener Werkstelle arbeitete und gut deutsch redete, brachte den zersprungenen Riemen meiner Reise- fasche wieder ins Geschick und nach einer halben Stunde war ich in Zivignano, einem unweit der Stadt gelegenen Dörfchen, fvo die Eltern des Kuraten Gadler von San Felice, meines künftigen Gastfreundes, wohnten. Ich suchte mich zu verständigen ! so gilt es ging, denn die Familie redete durchgängig italiänisch I und zwar im südtiroler Dialekt, der mit seinem sebi! selli! und Kolinsollonia statt si! 8Ü nnd Kassonin einen recht schwäbischen Anstrich -hat; Mutter Gadler holte meinen Koffer aus der Stadt, j einer ihrer Neffen nahm ihn und trug ihn die drei Stunden I Wegs auf dem Rücken hinauf nach Fierozzo, trotz der steilen, steinigen Wege ohne Beschwer. Im Pfarrhause von San Felice ! fand ich freundliche Aufnahme, und so war ein an Abwechselungen ^reiches Stück Reise von Waidbruck bis in den Hintergrund des Fersinathales an Einem Tage zurückgelegt. 2. Im Hochalpcnthale. Du hast vielleicht schon manchmal davon gehört, verehrter Leser, daß es den Hochalpenthälcrn an der und jener Bequem lichkeit mangelt, an die du daheim gewöhnt bist; daß das, was die große Welt Komfort nennt, nicht in diese stillen Thäler ein- I gedrungen ist. Du bist recht berichtet; aber deine kühnsten ^Erwartungen — oder soll ich sagen Befürchtungen? — wirst dn übertroffen finden. Die Eisenbahn hat dich rasch an die beabsichtigte Station ! gebracht; der Stellwagen dich auf bequemer schöner Straße noch ein gutes Stück seitwärts in die Berge geführt. Nun bist du aufs Trockne gesetzt und wanderst fürbaß. Hast du Gepäck? es ist recht gut, wenn du es selbst zu tragen verstehst; ein Träger ist in diesen entlegenen Thälern zwar billiger als anderswo, aber schwerer zu erlangen. Auf Tragen und Führen im Dienste der Reisenden ist hier niemand eingerichtet: es war ein glück liches Ungefähr, daß ich jemanden fand, der mir beides leistete j und dies auch gern und willig that. Weißt du den Weg? Es ist gut wenn du eine recht spezielle Karte mit dir hast und seinen Kompas dazu. Aber auch auf der ausführlichen Karte ^findest du nicht dieses Netz von schmalen Stegen, die auf und ab an den Thalhängen die einzelnen Häuser mit einander ver- ! binden, und leicht kannst dn (mit dem Füher dazu) ein hundert Meter am Abhange zu hoch oder zu tief kommen — und hundert Meter Höhe wieder einzuholen kostet dich viel Zeit und Kraft. Du bist doch fest auf den Füßen? Der Weg, der bald die letzte Strecke, welche befahren werden kann, überschritten hat, führt dich oft an Abhängen hin, auf Geröll, welches unter dem Fuße nachgibt, oder über unregelmäßig gelegte und auch recht unregelmäßig gestaltete Steine durch Sumpf und fließendes ^Wasser — das macht dir doch kein Bedenken? Ich setze voraus, daß du die Lackstiefel, die auf dem Trottoir der großen Stadt und auf der Promenade an regenfreien Tagen deinen Fuß zierten, daheim gelassen und mit massiverem Schuhwerk vertauscht hast, so daß es dir gleichgiltig ist, ob du deinen Fuß aufs Trockene oder ins Wasser setzest, denn hier quillt und rieselt ^und murmelt und rauscht von allen Seiten das Wasser herab, und der schmale Fußweg, den du gehen mußt, bildet oft zugleich ^den einzigen Weg für das nasse Element. Vielleicht bist du bedenklich über das schmale Bret zu gehen, welches dich über den reißenden, tobenden Wildbach tragen soll. I Du hast Recht besorgt zu sein. Du würdest dich schwerlich aus diesem Gewässer lebend wieder herausfinden! Zwar ist das Bret doppelt, aber recht elastisch ist es doch. Auf beiden Seiten