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lieber Wald und Klima in Ober-Engadin. Konnten wir schon auf S. 222 den Anfang zu einem er freulichen Umschwung in den Ansichten über Waldkultur in den Alpen berichten, so sind wir heute im Stande, weiteres darüber mitzutheilen. Nachstehender Bericht ging uns unter dem 12. Mai d. I. vom Lehrer Johann Caviezel in Sils-Maria. zu, der — zugleich Verwalter der Gemeindewaldungen und Vorsteher einer meteorologischen Station — längst weiter seben gelernt hat als die Mehrzahl seiner Landsleute. „Auf Seite 222 Ihrer Zeitschrift „aus allen Welttheilen" habe ich: „Ein löbliches Beispiel von Waldschonung", mit der vortrefflichen Bemerkung über den Beschluß der Ge meinde Tomils gelesen und das Ganze mit aller Muße überdacht. Der Beschluß der Gemeinde Tomils war mir bekannt und ich kann Ihnen versichern, daß ich schon seit mehreren Jahren darnach strebe, einen ähnlichen Beschluß von den hiesigen Bürgern zu erhalten, aber immer noch ohne Erfolg. Indessen muß man auch billig bedenken, daß noch vor kaum vierzig Jahren der Wald in Graubünden beinahe gar keinen Werth hatte. Unsere Bauern, die das Bischen Geld für die Haushaltung einzig und allein von der Viehzucht erhalten konnten, hatten den meisten Vortheil von den Weiden und so konnte es vorkommen, daß mau in den vierziger Jahren in einer Gemeinde zum „Gemeinde werke" aufgefordert wurde, um die jungen Lärchen zu vertilgen, die ein großes Stück schlechte Weide in Wald zu verwandeln drohten. Die betreffende Gemeinde hatte freilich sehr viel Wald und eher Mangel an Weide; aber dennoch kam sie bald zur bessern Einsicht und jetzf steht an der mißhandelten Stelle den noch ein schöner, dichter, junger Lärchenwald, der in wenigen Jahren ein ansehnliches Kapital repräsentiren kann. Der Bauer sieht und muß auf seinen Bortheil beinahe ängstlich schauen und daher kommt die Beschränktheit in manchen Beschlüssen. Man wird aber in Graubünden schon auch in dieser Sache klug werden, sobald die alten, an andere Verhältnisse gewöhnten Landwirthe nicht mehr die Mehrheit in den Gemeinden bilden. Die besseren Verkehrsmittel und die Frequenz der Fremden haben gar großartige Veränderungen in den ökonomischen Ver hältnissen hervorgebracht, wenn auch die früher phlegmatische Be völkerung nicht überall sogleich zur Einsicht der neu erwachsenen Bedürfnisse kommen konnte. Die jetzigen Holzpreise werden dem guten Leuten schon die Augen öffnen: dann werden solche Beschlüsse, als reif, ohne Anstand gefaßt werden." „Im Winter hat man überall her von ungeheuren Schnee massen gehört. Wir hier haben in dieser Beziehung einen ge wöhnlichen Winter gehabt. Bergell hatte sehr wenig Schnee, aber schon das Oberengadin von Samaden abwärts hatte mehr als in gewöhnlichen Jahrgängen. Die Kälte war nicht über mäßig groß (hier 21" 0. im November und später nicht kälter); sie war jedoch anhaltend und was sie noch stärker empfinden ließ, waren die ungeheuren Stürme, die lange Zeit beinahe regelmäßig einzutreten pflegten. Der Winter 1874—1875 steht beinahe um — 2" 6. tiefer als das Mittel der ihm vorangehenden zehn Winter. Ich theile Ihnen die Berechnung nach meinen möglichst genauen Beobachtungen mit, woraus Sie ersehen können, daß wir vom November 18*74 bis Ende April 1875 über einen zu milden Winter uns nicht. zu beklagen hatten. Man hat in Graubünden das Vorurtheil, daß der Winter recht rauh sein müsse, wenn ihm ein guter Sommer folgen solle. Das ist mehr tröstlich als angenehm. Am 10. April war die Schneebahn zwischen Sils-Maria und Sils-Baseglia an den ge wöhnlichen Stellen im Mittel 1,«2 w. hoch und ungefähr ebenso hoch lag der Schnee auf den Wiesen; am 1. Mai 75 om. nnd heute noch ungefähr 12 om., die Straßen aber sind schon längst schneefrei und trocken, die Post fährt über den Maloja nnd Julier mit dem Wagen und die Wiesen- und Weidenhalden sind grün. Der See ist noch mit Eis bedeckt." Von der meteorologischen Station in Sils. Folgende sind die beobachteten Monats-Mitteltempcraturen: Winter Novbr. Dezbr. Jan. Febr. März April 1864—65 — 2,21 — 7,55 — 7,73 — 9,56 — 8,03 3,47 1865—66 1,07 — 6,20 5,45 3,52 — 3,32 -1- 1,34 1866—67 — 2,24 — 3,84 — 6,10 — 2,18 — 2,17 -4- 1,08 18 6 7— 68 — 2,98 — 7,80 — 8,73 — 4,96 — 4,51 -4- 0,62 1868 — 69 — 4,10 2,66 — 9,19 1,84 — 5,94 -j- 1,67 1869 — 70 — 1,74 — 6,20 — 9,76 — 6,97 — 4,24 -1-0,36 1870 — 71 2,31 8,33 — 10,52 — 5,72 3,00 -1-1,40 1871 72 4,45 — 11,39 6,79 — 6,86 — 2,73 -j- 1,98 1872—73 — 1,01 — 3,69 — 6,22 — 7,18 — 1,15 — 0,14 1873 — 74 — 1,81 — 5,87 — 6,82 — 7,08 — 4,22 -1- 2,38 Mittel 2,395 — 6,359 — 7,731 5,587 — 3,931 -s- 1,416 1874—75 5,37 — 9,45 6,27 9,03 4,64 — 0,45 Während also die zehn vorhergehenden Jahre eine mittlere Wintertemperatur von — 4",»9« 0. hatten, betrug die mittlere Wintertemperatur des letzten Winters — 5",so 6. Wir wieder holen dabei aus Jahrg. I, S. 297 f., daß der Silser See 1796 ur., die meteorologische Station in Sils etwas über 1800 m. hochliegt, daß wir es also hier mit einem ausgezeichneten Hoch- thalklima zu thun haben. Ein Besuch in den deutschen Gemeinden des Ferünathalcs in Südtirol. Von Otto Dckitsch. 1. Von Waidbruck nach Pergine und Fierozzo. Waidbruck lag hinter mir, einer der schönsten Thalwinkel, den ich je in den Alpen gefnnden, dazu so still und friedlich, daß sich der Reisende dort gern für längere Zeit heimisch machen möchte. Im raschen Vorbeifahren nahm ich Abschied von den brausenden Gewässern des Grödner Bachs — ich hatte die Ge witter, von denen seine Fluten heute so mächtig angeschwellt und so trübe gefärbt waren, gestern auf der Seißer Alpe erlebt, — ich begrüßte die Trostburg, die hoch oben über dem Dörfchen und seinem spitzen Kirchthurme thront, ich blickte zurück auf die grünen Thalwände, die an ihrem Fuße in ein reiches Gewand von Weinreben gehüllt sind, die an ihren mittleren Terrassen mit Dörfchen und Weileru und schlanken Kirchthürmen und grauen Schlössern sich schmücken, während hoch über die dunkeln Fichtenwälder die ernsten Felshüupter ragen. Das Prächtige Thal des Eisacks von Waidbruck nach Bozen und das breitere, aber nicht minder schöne Thal der Etsch von Bozen bis Trient bedürfte wohl einer länger» Schilderung, zu welcher es hier au Raume fehlt. Die tief in die Porphyrfelsen einschneidende, langgestreckte und wilde Schlucht, in welcher neben dem schäumenden Strom die Straße und die Eisenbahn nur mit Mühe Platz gefunden haben, der reiche Thalkessel von Bozen mit seinen grünen, weit hinauf angebauten Terrassen, die mächtige Etsch, die mit dem Bahnzug um die Wette hinab nach dem Würmern Süden eilt, die zahlreichen stattlichen Dörfer ain Fuße überhängender Felswände, die wüsten Geröllwasser der Wildbäche mitten zwischen dem reichen Anbau der Weinberge und Obstgärten, der Weizen- nnd Maisfelder — dies nnd so vieles andre müßte man auf langsamer Fußwanderung sehen und im ruhigen Anschaueu genießen, müßte mit Hilfe eines kundigen Führers, wie wir ihn in Schaubach's „Deutschen Alpeu" haben, neben der Gegenwart auch die reiche Vergangen heit dieses Thales durchleben, um dann eine vollständige und der Größe und Schönheit des zu beschreibenden Bildes ent sprechende Schilderung geben zu können — aber mein Beobach tungspunkt war im gefüllten Eisenbahncoupö und wenn auch freundliche Nachbarn mir bald einen Eckplatz im Wagen ein- räumten nnd wenn ich auch auf der Rückreise bei der „Bergfahrt" einen Eckplatz auf der andern Seite der Bahn mir gesichert hatte, und wenn ich auch, mit der Spezialkarte in der Hand nnd nach guter Vorbereitung im „Schanbach" nicht viel nnge-