Volltext Seite (XML)
1166 auf einem Borsprunge des Mokattam im Südosten die" Modelle, el Kal-ch, nm die Stadt zu schützen nnd zugleich zu beherrschen. — Im Jahre 1517 drang Sultan Selim mit den Türken in Aegypten ein, machte hier der Monarchie ein Ende, so daß Kairo die Hauptstadt der türkischen Provinz Aegypten wurde, ließ aber gegen Tribut und Anerkennung der Oberhoheit des Sultanats in Konstantinopel der Aristokratie der Mame luken ihre Gewalt und ihren Einfluß im Lande. 1798 brachen die Franzosen ihre Macht durch die Schlacht bei den Pyramiden, besetzten die Stadt, mußten aber 1801 vor dem vereinigten Heer der Türken und Engländer weichen. Am 1. März 1811 ließ Mohammed (Mehmed) Ali aus Kavala in Rumelien, der 1806 von der Pforte zum Vizekönig von Aegypten ernannt worden war, die aufrührerischen Mameluken in der Citadelle nieder metzeln und war von nun an in Wirklichkeit der absolute Herr von Aegypten. Unter seiner Regierung und mehr noch unter dem jetzigen Vizekönig Ismail Pascha, der seit 1863 herrscht und 1868 den Titel Khedive erhielt, hat die Stadt viele Ver änderungen und Verschönerungen erfahren. Nene Straßen, neue Stadttheile sind entstanden! Drei „Viertel" (d. h. Abtheilnngen) der Stadt, das nord westliche Esbekia, Jsmailia im Westen und Abdin im Süden davon, bilden den „fashionablen" europäischen Theil Kairo's., Hier sind die Straßen abends mit Gas erleuchtet. Sie sind breit, macadamisirt und an den Seiten mit gepflasterten Fuß wegen versehn. Freilich, da die Luft in Aegypten fast immer mit einem feinen Staub erfüllt ist, der von der Wüste hergeweht wird, sind sie doch sehr staubig oder starren von Schmuz, wenn sie, was man täglich thnt, mit Wasser besprengt sind. Der schönste freie Platz ist die Esbekia. Vor Mehmed Ali war er zur Zeit der Ueberschwemmung immer eine weite Wasserfläche. Er legte ringsum einen Kanal an, um das Wasser von der Mitte fern zu halten, und ließ Bäume an den Seiten des Ka nals Pflanzen. Ismail Pascha ließ den ganzen Raum mit Erde bedecken, so daß er jetzt ebenso hoch liegt als die übrige Stadt. Ein Theil wurde nun mit Gebäuden ausgefüllt, der andre in einen großen Garten mit Kaffeehäusern, Grotten und Theatern umgewandelt. Leider fehlt es hier noch an dichtem Gebüsch und schattigen Bäumen, die in diesem Klima, wo die Sonne so furchtbar heiß breunt, durchaus nothwendig sind, um den Aufent halt im Garten zur Mittagszeit erträglich zu machen. Man begießt fortwährend die Rasenflecke mit Wasser aus den Kanälen, die sich hier befinden, und erhält so das Gras ziemlich grün. Am Nachmittage finden hier oft Konzerte statt. An dem Süd- und Nordende sind große, schöne Spring brunnen. Auf der Südseite sieht man das Opernhaus und das Theater. Im Opernhause spielt eine italiänische Operntruppe vom November bis zum März; da die Einnahmen nicht die Kosten decken, muß der Vizekönig das Nöthige aus seinem eignen Beutel beisteuern. Im Theater spielt eine französische Truppe vom Oktober bis April, einen Abend um deu andern mit der Operngesellschaft abwechselnd. Auf der Ostseite sind die Paläste des Ministeriums des Aeußern und der Ministerien des Innern und der Finanzen. Auf dieser und der nördlichen Seite liegen viele prachtvolle Läden. Auf der Westseite befinden sich „She- pheard's^ Hotel" und das schöne „Neue HMl", das der Khembe TMOcher^orientcklischen Hotelcompagine' gekaW hat und für seine Rechnung durch einen Jtaliäner verwalten läßt. Besonders gegen Abend, wenn die Sonne niedriger steht und es anfängt etwas kühler zu werden, herrscht ein reges Treiben und buntes Leben in diesen reichen und glänzenden Vierteln. Durch die Straßen wälzt sich dann lärmend eine dichte Volksmenge, aus Vertretern aller möglichen Völker be stehend. Vor den Kaffeehäusern, deren Schilder in den ver schiedensten europäischen Sprachen einladen, sitzt der geräusch volle Südländer nnd schlürft seinen Kaffee; der ernste, ruhige Deutsche trinkt auch hier sein gewohntes, heimatliches Bier, die meisten sind mit dem rothen, langguastigen Käppi bedeckt. Man hört in europäischen, asiatischen und afrikanischen Sprachen spre chen, singen und schreien; es ist ein wahres babylonisches Sprach- gewirre. Kairo zählt ja zusammen mit Bulük und Altkairo 260,000 eingeborene Muselmänner, 25,000 Kopten, 25,000 Nu bier, Abessinier und Neger, 10,000 Türken, 30,000 Juden, Le vantiner u. dgl. und 20,000 Europäer; dazu kommen noch viele Fremde, die sich nnr vorübergehend hier aufhalten, sei es vom Wissenstrieb nach Aegypten geführt oder, um Heilung von Krankheiten zu suchen. Die Gesichter, die man hier sieht, zeigen die verschiedensten Farbenschattirungen, von der Hellen, weißen Gesichtsfarbe des Nordländers an bis zu dem glänzenden Eben holzschwarz des Zentralafrikaners. Mit steifer Grazie stolziert ein Negerstutzer in eleganter, schwarzer Kleidung, mit strahlend weißer Wäsche, aus der Tasche heraushängendem Taschentuch und einem feinen Stöckchen daher und bläst wohlgefällig den Rauch einer Cigarette in die Luft. Das alles kontrastirt gar seltsam mit seinem wolligen Haar und seinen wulstigen Lippen, zwischen denen die weißen Zähne hervorglünzen. Beys oder irgend welche vornehme Würdenträger, an denen man von der orientalischen Tracht nur den Turban bemerkt, jagen in offner Equipage an uns vorüber, voran eilt der schwarze Vorläufer mit hohem, lanzenartigem Stabe und schreit gellend von Zeit zu Zeit sein „OvL" (vorgesehn!). In der Müski^ dem alten Frankenviertel, wo zuerst die Franken — und zwar unter Saladin — die Erlaubniß erhiel ten, zu wohnen, das sich im Südosten gleich au die Esbekia anschließt, sind die meisten und größten europäischen Läden, hier ist der Verkehr am regsten, das Gedränge am dichtesten. Die Straße ist freilich ziemlich dumpfig und eng: aber es war vor dem Regierungsantritt des jetzigen Vizekönigs die einzige erträglich breite Straße in ganz Kairo! Hier, wo Laden auf Laden in ununterbrochener Reihe folgt, wo eine dichte Volks menge hin und her wogt und oft fast undurchdringlich scheint, drängen sich doch immerfort Wagen und Reiter zu Roß oder Esel in schnellem Trabe hindurch. In diesen 4 Vierteln, wo nur die flacheu Dächer und hier und da einige arabische Häuser, der ächt ägyptische Schmuz und „Trümmer- und Wüstengeruch" an den Orient erinnern, sind — das sieht man bald — die Leute mit den rothen Wangen in der Ueberzahl und im Uebergewicht und der Glanz und Luxus, der hier entfaltet ist, ist mehr oder weniger abendländisch. Will man den wahren Orient sehen, muß man sich in Kairo's ara bische Viertel begeben. Man braucht nicht lange zu gehen, man hat nur in eine dunkle, enge Nebengasse abzubiegen. Dann sieht man sich in das bunte, reiche Leben des Orients hinein versetzt, wie man es sich ansmalt, wenn man Tausendundeine Nacht gelesen hat. Hier sitzt auf dem Erdboden ein Mann, um geben von einer athemlos und wie bezaubert lauschenden Menge, und erzählt mit geheimnißvoller Stimme seine wunderbaren Mührchen. Dort machen zwei arabische Gaukler mit kreischen der Stimme und fratzenhaften Geberden ihre Späße und Kunst stücke. Daneben tanzt ein Negerjunge auf anderthalb Meter hohen Stelzen, die an seine Füße gebunden sind, einen hüpfen den Tanz nach den quakenden Tönen eines Instrumentes, das wie eine Flöte aussieht. Was ist das da für ein merkwürdiges Gerüst? Es gleicht fast einer Windmühle mit seinen vier Flü geln. Am Ende jedes Flügels befindet sich ein Kasten; drin sitzen braune, zerlumpte Kinder, vor Lust jauchzend, wenn das Gestell sich ächzend herumdreht. Mit rauher, tief aus der Kehle kommender Stimme singt ein weißbärtiger Araber, gegen eine verfallene Maner gelehnt, eine melancholische Weise nnd erntet reichlichen Lohn. Dort vor dem Kafseehause bläst ein kraus haariger Neger eine sonderbare, gell klingende Melodie auf einer quikenden Pfeife und eine Negerin schlägt auf einen dumpf tönenden, trommelartigen Kasten. Von all' diesem Lärm un berührt und ungestört, sitzt an der Wand niedergekauert ein ehr würdiger Greis: still, in sich zusammengesunken und wie ver zückt, die Hand an der Perlschnur, murmelt er unhörbar seine Gebete. Nur die dürren Lippen sieht man sich bewegen. In weitem, weißem Kaftan, mit breitem Turban um das Haupt, reitet auf hohem Reitkamel ein finster und stolz blickender Pascha daher, begleitet von seinem zahlreichen Gefolge. Dort zieht sich ein langer Zug von schleierverhüllten Haremsfrauen, auf Eseln reitend, langsam durch die Straßen hin. Die glänzenden, schwarzen Augen funkeln unter dem Schleier hervor und geheim nißvoll strahlt die zarte Haut der Hellen, weißen Stirn. Sie sind in Gelb gekleidet und der weiße Mantel flattert, weit auf- gebauscht, im Winde. Voran schreitet ihr Hüter, ein langer Eunuch. Häßlich gebaute Lastkamele bewegen sich schwerfällig, hoch beladen, durch die Straße. Hier sucht ein Treiber noch