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aufnehmen konnte — denn F... behauptete, allein schlittenfahren bereite kein Vergnügen — sondern sein ganzes Gestell war sehr schwächlich im Vergleich zu der sausenden Geschwindigkeit, die man ihm zumuthete. Mehr denn einmal war unser beherztes Ehepaar auch nahe daran das Genick zu brechen, so daß Lady Barker bekennt, sie habe später nicht zu begreifen vermocht, wie sie sich dergleichen Tollkühnheit überhaupt habe schuldig machen können. „Einmal", schreibt sie, „saß ich in der Veranda und sonnte mich, als mein Mann, der den ganzen Morgen über drüben im Schuppen ge hämmert hatte, zu mir kam, um mir zu eröffnen, daß er jetzt endlich ein Fahrzeug gebaut habe, welches Schnelligkeit und Sicherheit in sich vereinige. Unerschreckt durch unsere bisherigen Unfälle sprang ich auf und klomm mit unserm „Kadetten" müh selig die steile Höhe hinauf, welche zum Schauplatz unsrer Lust barkeit auserkoren war; ohne die mittlerweile in das Eis ge hauenen Stufen hätte ich es nicht bewerkstelligen können. Ein etwa zwei Meter langes und drei Dezimeter breites Bret, auf seiner untern Flüche mit Eisenblech benagelt und vorn aufwärts gebogen; auf seiner obern Seite mit zwei dünnen Latten als Leithölzern versehen, die eine ganz vorn, die an dere ungefähr in der Mitte —- das war meines Gatten neuer Patentschlitten, der, so betheuerte er, den Abhang mit größerer Geschwindigkeit hinablaufen sollte als jedwedes andere Transport mittel dieser Erde. Und ich mußte zu verschiedenen Malen den unglückseligen ,Passagier' dieses gebrechlichen Gefährtes abgeben! „Ja aber, warum hast du's denn gethan?" werdet ihr fragen. Ich gestehe, in jenen köstlichen, freien, wilden Tagen, die ich um keinen Preis aus meinem Leben missen möchte, erschien mir kein Unternehmen zu kühn oder zu gefährlich, das ich nicht mit ganzer Seele ergriffen hätte. F... setzte sich hinten ans sein kostbares Bauwerk, so fest wie möglich auf die Leithölzer drückend, der Kadett stützte sich mit der einen Hand verzweiflungsvoll auf seinen Bergstock, wäh rend er mit der andern mir auf das Bret half, und Nettle, mein getreues kleines Dachshündchen, stand zitternd auf drei Beinen und beschnüffelte mißtrauisch den Schlitten. Schon ein fach Platz zu nehmen auf dieser schmalen Planke war eine Art Kunststück. Meine Röcke mußten dicht um mich herum festge bunden werden, auch nicht das allerkleinste Fältchen derselben durfte über den Schlitten hinaushängen, sonst wäre ich unfehl bar Von meinem schwanken Sitze herabgerissen worden. Mit aller Kraft stemme ich meine Füße gegen das Richtscheit. „Bist Du fertig?" ruft F... von seinem Hinterplatze aus. „Ach, noch nicht!" bringe ich heraus, die Hand unsers Begleiters fo fest umklammernd, als wollte ich sie im Leben nicht wieder loslassen. „Halte dich nur gehörig an!" kvmmandirt F... wiederum hinten. Doch Gott im Himmel! woran sollte ich mich denn anhalten? Ich hatte ja nichts zum Anhalten als allenfalls meine Knie, und diese packte ich in der That krampfhaft. „Jetzt sind Sie fertig, nicht wahr?" fragt der Kadett, und ehe ich's noch weiß, hat er meine Hand losgelassen, und wir sausen ab. Anfangs legt sich F... nach aller Möglichkeit auf die Leit hölzer, um den Lauf einigermaßen zu zügeln, denn gerade zu erst müssen wir am Rande eines Abgrunds hin. Dann aber lockert er den Griff, und wie ein Meteor fliegt unser Schlitten den glatten, steilen Hügel hinunter. Kaum kann ich Athem holen, so rasch geht es durch die schneidende Winterluft. — Un weit des Bergfußes kommen wir an eine andere tiefe Schlucht, der Schlitten bewegt sich plötzlich im Zickzack, bäumt sich bald auf, senkt sich bald nieder, und, wunderbar ist's! — wir halten uns auf dem Schlitten und werfen erst nm, nachdem der Fuß des Berges wirklich erreicht ist. Könnt Jhr's wohl glauben, daß ich nach einem so gefahr vollen Wagniß mich zu neuen derartigen Versuchen überreden ließ? Und doch ist bloß eine einzige unserer manigfaltigen Rutsch bergpartien ganz normal, ohne jedweden Zwischen- und Unfall abgelaufen. Als aber der all die Zeit andauernde Nordwest wind die scharfen Felskanten bloß zu legen begann, da verwei gerte ich entschieden jede weitere Mitwirkung an diesen ver wegenen Ergötzlichkeiten. Ueberdies war es inzwischen fast un möglich geworden, bis auf die Höhe zu gelangen, denn das Thauwetter hatte die mühsam eingehauenen Stufen längst hin weggespült. Fortan vergnügte ich mich bloß damit, meines, Gatten und seines Kadetten fortgesetzten Expeditionen zuzu schauen. Denn die beiden Herren wurden der Sache nicht müde, so lange noch ein Streifen Schnee auf dem Berghange lag. Manche ihrer Abenteuer waren wirklich in hohem Grade beängstigend, alle zweifelsohne lebensgefährlich. So hatte ich eines Nach mittags ihre Bestrebungen wohl eine Stunde schon verfolgt; sie waren dabei von allem nur möglichen Mißgefchicke heimgesucht worden und zu keinem andern Ziele gelangt als zu dem Ver langen nach immer neuen Versuchen. Auf der Schattenseite des Berges, welche im Winter kaum von einem Sonnenstrahle be strichen wird, bildete der Schnee noch eine glatte Fläche, die eine durch vor Jahren geschehenen Erdrutsch ausgehöhlte Schlucht erfüllte. Dahin schleppten die beiden unermüdlichen Wagehälfe ihren Schlitten, und wieder und wiederum ging es mit rasender Schnelligkeit die steile Bahn hinab. Allmählich begann mich das Schauspiel des in Blitzesschnelle über die weiße Strecke gleitenden Schlittens doch zu langweilen; ich wanderte deshalb um den Hügelrücken herum, zu sehen, ob im ,Hinterlande' der Schneefall nachgerade wohl etwas nachließ. Als ich nach etwa einer halben Stunde auf die Stelle zn- rückkehrte, wo ich Schlitten und Schlittenfahrer vielleicht eben beim Beginn eines „neuen Versuchs" wieder zu finden hoffte, war zu meinem Erstaunen und Schrecken weder von dem Ge fährt noch von den beiden Herren das geringste zu erblicken, einige Schritte von ihrem gewöhnlichen Auslaufpunkte aber sah ich, daß der Schnee ringsum aufgewühlt und von breiten Blutflecken geröthet war. Da mußte ein ernstlicher Unfall geschehen sein! Bald entdeckte ich den Schlitten; verlassen nnd zerbrochen lag er ziemlich am nntern Ende der Rutsch bahn — von seinen Passagieren jedoch zeigte sich weit und breit keine Spur. Ihr könnt Euch wohl vorstellen, welche Angst sich bei diesem Anblick meiner bemächtigte; zu schreien oder gar in Ohnmacht zu fallen, das hat auf Neuseeland aber keinen Zweck. Das einzige, was man in solchem Falle thun kann, ist ein herzhaftes Coo—ä auszustoßen (der dort übliche Ruf, wenn man sich Je mandem aus der Entfernung bemerklich machen will), und hierzu nahm auch ich meine Zuflucht, wie wohl mir das Herz hörbar pochte und ich Anfangs keinen Ton aus der Kehle bringen konnte. Bald hörte ich eine kräftige Antwort aus der Niederung herauf, wo unser Haus stand. So schnell mich meine Füße tragen wollten, eilte ich hinab, und als ich um die Kante des Hanges bog, der bis dahin unsere Wohnstatt meinen Blicken verborgen hatte, sah ich zu meiner Freude meinen Mann und seinen Begleiter leibhaftig auf und nieder wandeln. Selbst ans dieser Entfernung jedoch erkannte ich, daß der Kopf unsers ar men Kadetten verbunden war, nnd wie ich näher heran kam, schrie mir F.... zu: „Ich habe den Hals gebrochen!" setzte in- deß alsbald hinzu: „Ich habe einen Wolfshunger, laß uns Abendbrot essen." Unter den obwaltenden Umständen war das ein sehr trost- Voller Zusatz. Nun erfuhr ich auch, wie sich das Unglück be geben hatte. Der Schnee war sehr dünn geworden und bedeckte eben nur noch den Felsen. Da wo es am jähesten hinabgiug, stieß das Vordertheil des rasch hinabgleitenden Schlittens gegen eine Steinzacke: der Kadett stürzte mit aller Gewalt von seinem Sitze und siel in scharfes, dorniges Gestrüpp, welches ihm das Gesicht jämmerlich zurichtete. Mein Gatte schoß über ihn hinab, überschlug sich in der Luft und kam glücklich wieder auf seine Füße zu stehen. Das scheint ein sehr harmloses Kunststück zu sein, allein es gehört eben lange Uebung dazu, und nicht immer geht es ohne Halsbrechen ab. Als es wieder Frühling wurde, alles im herrlichsten Grün prangte und jeder Berg sich von dem andern scharf und klar abhob, da konnte man sich kanm mehr denken, daß es eine Zeit gegeben hatte, wo niemand von uns eine Höhe von der andern zu unterscheiden vermochte und wo das ganze Land rundum eine einzige endlose weiße Ebene bildete. Aber eine Gruppe von drei Bieter hohen jnngen Palmen in der Nähe unsrer Wohnung legte Zeugniß davon ab, daß wir von jener Winter zeit nicht etwa bloß geträumt hatten. Sahen wir doch die obersten Blätter der Bäume von den hungernden Schafen ab genagt! Nnd kein Bach floß im Bereiche nnsers „Run", dessen