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durch aufgefundcne goldene Platten mit uralten Inschriften zu theil geworden waren, die neue Kirche, welche zunächst nur aus sechs Personen bestand. In der Heimat, zu Fayette im Staate Neuyork, fand er wenig Anklang und ging nach Ohio, wo er mehrere Gemeinden unter dem Namen Zion gründete und in Kirtland (von den Mor monen Shinehar genannt) im I. 1836 einen Tempel weihte. Die Predigten der neuen Propheten fanden viele Hörer, die Sekte der Mormonen mehrte sich und breitete sich durch die Staaten der Union aus, wie denn schon im I. 1831 Smith zu Jndepeudence an der Westgrenze des Staats Missouri einen neuen Tempel zu bauen be gann. Von Jndependence im I. 1833, aus Ohio im I. 1838 ver trieben, sammelten sich die Mormonen nördlich vom erstgenannten Orte in der Grasschaft Clay, an Zahl etwa 12,000; es war der vierte Theil der Sekte. Zahlreiche Eigenthumsvergehen, welche sie hier begingen — in der Anschauung, daß den „Heiligen" die Welt gehöre, die „Heiden" kein Anrecht auf Besitz hätten — veranlaßten noch zn Ende des I. 1838 ein Einschreiten der Staatsmiliz und eine leider mit Greuelthaten und Verbrechen verbundene Verfolgung. Die Mormonen wurden für vogelfrei erklärt, von Haus und Hof getrieben, eingekerkert, gemißhandelt, viele getödtet. Die Flüchtigen fanden in Illinois willige Aufnahme und bauten sich in Nauvoo (lies Nowü) am linken Mississippi-Ufer an. Das ungesunde Terrain wurde durch Trockenlegung der Sümpfe verbessert, eine blühende Stadt wuchs empor, und nach fünf Jahren wohnten hier gegen 20,000 Mormonen zusammen, Smith baute einen großen Gasthof, predigte, übte seine Milizen ein und wußte mit Geschick sein Gemeinwesen zu einem kleinen selbständigen Staate auszubilden. Aber die Vielweiberei, die er hier, zuerst in aller Stille, einsührte und die Gewaltmaßregeln, die er gegen die Verräther und Ankläger dieser Einrichtung ergriff, erregten in Amerika allge meinen Unwillen. Smith stellte sich, um sich zu rechtfertigen, mit einigen seiner Genossen dem Gouverneur von Illinois und ging nach Karthago ins Gefängniß; ein Volkshaufe stürmte am 27. Juni 1844 dasselbe und ermordete ihn und seinen Bruder. Die Mörder blieben straflos. Joseph (Joö) Smith war ein Mann von großer Geschästs- gewandthcit, ungeheurer Thätigkeit und Willensstärke gewesen, sein Charakter war, wie ein Geschichtschreiber treffend sagt, nichts weniger ak^ rein, zu gleichen Theilen aus dunkeln und Hellen Elementen gemischt. Aber er hat unleugbar glänzende Erfolge erzielt, eine stattliche Gemeinde von nahe an 150,000 Anhängern gebildet, und sein „Märtyrertod" diente dazu, diese Gemeinde zu festerem Zu sammenhalten zu vereinigen. Die Führung der Mormonen über nahm, wenn auch nicht ohne Widerspruch, der besonnene Brigham Aoung; er entsernte seine Nebenbuhler aus der Gemeinde, baute Stadt und Tempel weiter, konnte aber nicht hindern, daß der steigende Haß der Umwohner öfters in Gewaltthaten ausbrach, und faßte daher den Plan mit seiner ganzen Gemeinde nach dem fernen Westen aus zuwandern. Rasch und doch mit großer Umsicht wurden die Vor bereitungen getroffen, am 6. Februar 1846 brach der erste Zug auf, und noch in demselben Monate hatten 1200 Wagen den gefrorenen Mississippi überschritten, während die Uebrigen in Nauvoo eifrig an ihrem Tempel weiter bauten und denselben am 14. Mai einweihten. Im Sommer waren schon 16,000 Mormonen auf den Prärien jenseit des Flusses, die 1500 in der Stadt Zurückgebliebenen wurden am 12. September 1846 von den Nachbarn angegriffen, wehrten sich mit bewaffneter Hand und zogen nach glücklicher Vertheidigung am 17. September ab — Nauvoo, damals mit 2100 Häusern, zählt heutigen Tages nur 1600 Einwohner, die Ruinen des im I. 1848 abgebrannten, zwei Jahre später durch einen Sturm beschädigten Tempels zeugen noch von dem einstigen Glanze. Unter vielen Mühseligkeiten zogen die Mormonen dem fernen Westen zu. Sie verlebten den harten Winter 1846—47 bei Kanes- ville (jetzt Councilbluffs) am Missouri unter den Indianern; im Sommer 1847 suchte Brigham Aoung einen geeigneten Platz zur Niederlassung und gründete am 31. Juli Neu-Jerusalem, und nach einem zweiten Winter erfolgte der Aufbruch der Gemeinde und die Reise über die Prärien und durch das Felsengebirge nach dem Großen Salzsee. Am 20. September 1848 kamen dort, auf bisher mexika nischem, durch den Vertrag von Guadelupe Hidalgo (2. Febr. 1848) nordamerikanisch gewordenem Boden, die ersten achthundert Wagen an. In der Ebene, wo jetzt die Salzseestadt liegt, war außer dürftigem Grase keine Vegetation zu sehen, der Jordan, der zum Großen Salz see strömende breite, oft getheilte Abfluß des Utahsees, führt an der Westseite seine klaren Gewässer vorbei, kleinere Bäche kommen aus den Gebirgen herab. Mit Umsicht und mit Berechnung auf künftige Größe wurde die neue Stadt am günstigsten Platze angelegt — günstig ist hier im allgemeinen jedes Stück Land, welches sich ohne große Mühe bewässern läßt —; der Boden wurde auf das fleißigste angebaut, und bei knapper, sorgfältiger Eintheilung der Lebensmittel kam man über die ersten schweren Jahre des Mangels hinweg. Es zeugt von Brigham's Talent, daß weder auf der Reise, noch in diesen ersten zwei oder drei Nothjahren einer seiner zahlreichen Angehörigen vor Hunger umgekommen ist. Für die Entwickelung der Vereinigten Staaten wurde die ab gelegene Mormonen-Niederlassung bald unentbehrlich. Sobald die Goldschätze Kaliforniens sich aufthaten, wurde der Landweg nach dem Westen eine besuchte Straße und die Salzseestadt eine willkommne Station zum Ausruhen, zur Versorgung mit Lebensmitteln und alle dem, was sonst zu weiten Reisen erforderlich ist. Ja wer weiß, ob es möglich gewesen wäre die Pacificbahn durch das Gebirgsland zu führen, wenn nicht die Niederlassungen am Salzsee die Tausende von Arbeitern mit den nöthigen Lebensmitteln hätten versorgen können. Wie ein großer von Alleen durchschnittener Park breitet sich jetzt die Salzseestadt (ehemals führte sie den Namen Große Salzsee stadt, bei den Mormonen heißt sie Zion oder Neu-Jerusalem) auf der sanft geneigten Ebene aus. Die schnurgeraden, in rechten Winkeln sich kreuzenden, 40 m. breiten Straßen mit ihren Baum reihen und Fußwegen, die von Gärten und Bäumen umgebenen, meist niedrigen Häuser geben ihr das parkartige Ansehen. Auf jeder Straße fließt klares, frisches Wasser. Pferdeeisenbahnen führen bereits durch die Stadt, nach dem Utah Central-Bahnhof und nach den 2 km. von den östlich an der Stadt gelegenen warmen Schwefel quellen. Reichausgestattete Läden und Magazine, die stattlichen Gebäude der Gasthäuser, der Bank, der mormonischen Handels genossenschaft, des Rathhauses (City Hall), des Gerichtshofes, des Theaters verleihen den Hauptstraßen einen großstädtischen Anstrich. Ueber alle Gebäude aber ragt das eigenthümlich geformte Taber nakel empor. War schon das alte, von 1847 bis 1852 erbaute 38 ! m. lange und 20 m. breite Bethaus mit einem großen Schindeldache ! ein seltsam von den Häusern der Stadt abstechendes Gebäude, so hat das jetzige am 6. Oktober 1867 eingeweihte Tabernakel viel größere Maße. Das Dach, welches nicht mit Unrecht mit einem umgestürzten kiellosen Kahn oder einer umgekehrten Schüssel verglichen wird, reicht tief herab und ruht auf 46 dicken, niedrigen, rothen Sandstein fäulen, über welche es wie bei einer Veranda vorfpringt. Das Innere ist 75 m. lang, 45 m. breit, 25 m. hoch, Wände und Decken sind vollkommen leer, die den Mittelraum wie die ringsumlaufenden Gallerten füllenden einfachen Holzbänke fassen gegen zwölftausend Menschen. Eine große, freistehende, mit einem Aufwande von 100,000 Thalern erbaute Orgel ist der einzige Schmuck des durch seine nüchterne Leere wie durch seine ungewöhnlichen Raumverhältnisse befremdend einwirkenden Saales. Schon am 6. April 1853 ist der Grundstein zu einem neuen ! großartigen Tempel gelegt worden, welcher eine Länge von 56 m. uüd eine Breite von 30 m. erhalten und mit sechs bis 60 in. hohen Thürmen verziert werden soll. Nur langsam steigen die aus Granit- ' quadern aufgeführten Mauern empor. Ob der Prachtbau je vollendet ! werden wird? Oder ob die „Heiligen der letzten Tage" ihn wie einst ' ihren Tempel in Nauvoo, den „Heiden" werden überlassen müssen? Wer vermag dies zu sagen, zumal jetzt, wo voraussichtlich eine Aenderung in der Stellung des Mormonenthums vor sich gehen wird! Thatsache ist, daß das Gemeinwesen der Mormonen, von Brigham Doung's sicherer Hand geleitet, sich mit wunderbarer Sicherheit und Schnelligkeit aufgebaut hat. Fleiß, Mäßigkeit, gegen seitiges Zusammenhalten, Eintracht herrschen unter den Tausenden, welche durch den Bekehrungseifer mormonischer Missionäre aus Amerika, Großbritannien, Skandinavien, Deutschland, Frankreich, den Sandwichinseln und anderen Ländern zusammengeführt worden sind und noch jährlich um Tausende vermehrt werden. *) Der Acker bau ist in hohem Flor, Gewerbe aller Art werden betrieben, Bettler *) Am 3. September 1874 verließ wieder ein Schiff mit 400 neubekehrten Mormonen, Engländern, Walisern, Schotten, Schweden, Norwegern den Hasen von Liverpool; — häufig gehen derartige Scharen von den europäischen Häfen ab, und auf das beste ist stets für ihr Fortkommen zu Wasser und zu Lande nach dem sernen Utah gesorgt.