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Gemüthlichkeit anbelangt, so mußt du solche wohl selbst mit- bringen; der Wirth scheint sie nicht zu haben, wenigstens konnte ich, so oft ich hier einkehrte, von ihm nur barbarisches Schelten mit seinen Dienstboten vernehmen. Daß dies bisweilen noth wendig, stelle ich nicht in Abrede, ein Attribut der Gemüthlich keit scheint's mir aber nicht zu sein. Weiter! Der Schloßpark, den wir, um auf kürzestem Wege uach Leoni zu gelangen, durchschreiten, zeigt sich heute in voller Herbsttoilette: das gelbe, so eigenthümlich duftende Laub bildet eine dichte Decke auf dem Boden, die wenigen Ueberbleibsel auf den Bäumen zeigt die Morgensonne in tiefröthlicher Färbung. Nach einer kleinen halben Stunde stehen wir im Freien. Noch eine kurze Strecke und das Vizinalsträßchen führt uns wieder an menschlichen Ansiedlungen vorbei. Zuerst am Landhäuschen eines Münchener Kaufmanns, daun an der stattlichen Schima'- schen Fremdenpeusion, den Villen eines Notars und des be kannten Kaufmanns Groß in München. Zwischen einigen bäue rischen Ansiedlungen liegt einige Schritte weiter die gastliche Stätte Leoni selbst. Es ist hier einer der schönsten Punkte am ganzen See, besonders an einem Sommermorgen. Der entzückte Fremdling weilt im kühlen Schatten von duftenden Holunderbüschen, während die Sonne drüben am westlichen Ufer schon lange ihre Herrschaft ausübt und die Fenster der unzäh ligen Villen und Schlösser blinken und blitzen. Ein heiliger Friede schwebt über dem See und alle Dissonanzen lösen sich in dir auf beim Anblick dieser Landschaft. Amphitheatralisch und viel großartiger als es ist, erscheint zur Rechten am untern Ende des Sees Starnberg. In gerader Linie über den See weg beträgt die Entfernung nicht mehr wie eine Stunde, der Landweg das doppelte. Leoni ist die erste Dampfschiffstation am östlichen Ufer. In Berg darf auf (sehr begreiflichen) Wunsch des Königs keine solche errichtet werden. Der Leser wird fragen: woher der italiänische Name für ein Gasthaus an einem deutschen See? Die Antwort ist ein fach. Ein hoher Münchener Staatsbeamter vermachte bei sei nen! Tode einem italiänischen Sänger Namens Leoni, der ihn oft in der Oper entzückt hatte und dem er gewogen war, sein Landhaus am Würmsee. Leoni, spekulativ wie alle Jtaliäner, erkanute sofort die günstige Lage für ein feineres Gasthaus. Die Kochkunst betrieb er ohnedies schon früher als Liebhaberei und so hatte des beliebten Sängers reizendes Anwesen bald den verdienten Ruf bei den Münchener Feinschmeckern, denen Natur ohne gute Atzung ein unvollständiger Begriff ist. Nach dem Tode des Wackern Leoni kam das Gasthaus immer mehr herunter und kein ortskundiger Ausflügler betrat wegen des Leibes Nahrung und Nothdurft diese Stätte mehr. Jetzt ist die Wirthschaft wieder in den besten Händen. Wer Zeit hat, Leoni einige Stunden zu widmen, pilgere den schönen Kreuzweg hinan zum Wallfahrtsort Aufkirchen, eine halbe Stunde über Leoni auf der Höhe der Hügelkette, nicht um sich einen Ablaß oder dergleichen zu holen, sondern um im trefflichen Wirthshaus daselbst einen ausgezeichneten Kaffee, unvergleich liche Bratwürste und unbeschreibliches Bier oder was der Ma gen eben wünscht, zu verzehren. Die Aussicht von der rebenumsponnenen Veranda des Garten hauses steht, nebenbei bemerkt, der gerühmten vom nahen Rott mannshöhe nicht viel nach. Im Gegentheil, mich dünkt das weite Berg-Panorama beim schäumenden Maßkrug noch viel schöner als dort vor des berühmten Malers Monument auf der steinernen Bank und bei trockner Kehle. Wenige Schritte südlich vom Gasthaus Leoni stoßen wir^ wieder auf einige größere Villen; zuerst auf Hackländer's „Heide Haus", in dem mancher seiner letzten Romane entstanden ist, dann auf die große prächtige im Alpenstil gebaute Himbsel'sche! Villa, die im Besitze der Witwe eines Augsburger Millionärs ist. Ob die herrlichen Fresken im Innern, Schöpfungen von Kaulbach, C. v. Zimmermann, Rottmann, F. Dürk und L. v. Schorn, auch jetzt noch dem Publikum zugänglich sind, weiß ich nicht. Heute ist alles fest verschlossen, Thüren und Läden — die Sommerfrische ist vorüber! Gegen Allmannshausen zu waten wir wieder tief im Laube. Der „Schauplatz eines Ticck'schen Märchens", wie man die schönen Parkanlagen, den Naturwald und das gräflich Rambaldi'sche Schloß schon öfter in Schilderungen genannt hat sieht jetzt wenig zauberhaft, sondern ziemlich nüchtern aus. Auch hier ist unseres Bleibens nicht. Der Blick ist beschränkt, kein Stückchen See blinkt herüber, der hohe Springbrunnen hat auch schon seinen Winterschlaf begonnen und die Weiher um das Schloß athmen herbstliche Sumpfluft aus. In einer Stunde erreichen wir, wieder auf einsamen Wald- Pfaden, Ammerland. Das Schloß, das mit seinen gelben Wänden und originellen Zwiebelthürmen von allen Punkten des obern Sees meilenweit erblickt wird, schaut auch uus lange entgegen, ehe wir es erreichen. Auch alles verschlossen! Sein Besitzer ist der geniale und liebenswürdige Graf Pocci, der hohe Hofwürdenträger, Maler, Dichter, Satiriker, der Vater der drol ligen Kasperliaden, die unsere liebe Münchener Jugend in ihrem schönen Marionettentheater in tausendfältiges Entzücken versetzen, der Mann mit dem unverwüstlichsten Humor der Welt, von dein Hunderte von Nummern der „Fliegenden Blätter" zeugen. Sehr wenig bekannt dürfte es sein, welch seltsamen Gast das Lustschlößchen einst beherbergte: den Grafen M. CH. v. La- valette, den vor seiner Vernrtheilung zum Tode hierher geflüch teten General-Postdirektor Napoleon's I. Im abenteuerlichen, romanhaften Leben dieses Mannes bildet der hiesige Aufenthalt eine friedliche Oase, eine Idylle. Rührend schön sind die Briefe, die Lavalette von hier aus an seine Gattin und Tochter ge schrieben hat. Außer seinem herben Schmerze über ihren Ver lust spricht er darin jedesmal die Freude über die Schönheit seines Asyls aus. Eine „entzückende Wildniß", einen „einsamen weltvergessenen Platz" nennt er seinen Aufenthaltsort. Ja „ent zückend" ist Ammerland noch heute; ich weiß mir keiueu schö nem Platz am ganzen See, und keinen, an dem man besser aufgehoben ist. Da ist von der „Wildniß" nichts mehr zu spü ren. Die Vorräthe des Wirthshauses in Küche und Keller lassen uns die Hauptstadt nicht vermissen. Auch die Prädikate „ein sam" und „weltvergessen" sind nicht mehr am Platze. Wer im hohen Sommer etwa um Mittag hier mit dem Dampfer landet, der kann sich auf ein hübsches Häuflein neugieriger sommer- frischelnder Damen gefaßt machen, die die Ankömmlinge musternd am Ufer stehen und auf die Anwesenheit einer erklecklichen An zahl Familien-Häupter und Mütter rc. schließen lassen. Wir dehnen unsre Wanderung nicht weiter gegen den Sü den des Sees aus. Es ist heute nichts zu suchen da. Am- bach's theure und ungenügende Tabcrne lockt uns nicht, auch nicht Seeshaupt, obwohl dessen empfehlenswertstes Gasthaus auf hoher Terrasse liegt, vor der die ganze ungeheure Wasser masse sich wie nirgends deinen Blicken präsentirt: es fehlt hier der Hauptreiz des schönen Sees, die blaue Alpenkette! Du hast sie im Rücken statt als Hintergrund oder Einfassung des Sees. Also hinaus in die blaue Flut! Lassen wir uns im schwan kenden Kahn^ über die breite Fläche setzen. Es ist auf diesem obern Theil des Sees eine Kahnfahrt ein unvergleichlicher Ge nuß. Die Alpen sind näher getreten, und der See hat ganz andere Dimensionen als unten bei Starnberg. Der Besuch des schönen Bernried mit seinem stattlichen Schlosse sparen wir uns für sommerliche Tage. Die Prächtigen Eichen und Buchen, Bernried's größte Zierde, starren kahl zum Himmel. In der schönen Jahreszeit aber da oben unter ihren kühlen Wölbungen zu liegen und über den saftigen grünen Wiesenplan weg das Auge auf See und Gebirge ruhen zu lassen, ist hoher Genuß. Wir steuern Tutzing zu. Was ist aus dem einsamen stillen Tutzing geworden! Vor wenigen Jahren noch einer der ruhigsten und angenehmsten Sommerfrischorte am See, möchte ich jetzt um viel Geld keinen längern Aufenthalt mehr hier nehmen: denn Tutzing ist ein fashionabler Ort geworden. Der Herr Buchhändler Hallberger und die Eisenbahn haben ihn dazu gemacht. Ersterer, der fast die ganze Umgegend in seinen Besitz ge bracht hat, wandelte das altmodische Vieregg'sche Schloß und den L la Dornröschen verwachsenen und überwucherten Schloß garten in einen Sitz um, dessen sich kein König zu schämen braucht. Man sprach ja auch vor einiger Zeit viel davon, daß der deutsche Kroupriuz die Prachtbesitzung für sich erwerben würde; doch scheint nichts daraus geworden zu sein. 21*