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162 altbayerische „Halbi" als Frühstück zu aeceptiren, denn Kaffee gibts, wie die Kellnerin hohnlächelnd mittheilt, nicht mehr und auf ein substantiöses Frühstück müssen wir ein paar Stun den warten. Der Aufenthalt in einer Wirthsstube, in der die halbe Nacht gezecht wurde, ist aber am Morgen bekanntlich ein so unangenehmer, daß wir den schalen, übernächtigen Gersten saft dem Warten auf etwas Besseres vorziehen. Der Marsch, den wir Vorhaben, wird bald unser Blut in Bewegung setzen und die niedrige Temperatur unseres Körpers erhöhen. Wir beginnen die Wanderung am östlichen Ufer. Draußen gegen Norden liegen lange Nebelstreifen über den feuchten Wiesen. Die Flut rauscht sanft an's Ufer und die duftigen Alpen schauen frühklar in unbeschreiblichem Violett über den Spiegel her, daß wir vor Entzücken laut aufjauchzen möchten — wenn uns das Schnattern und Zähneklappern dazu kommen ließe. Es ist trotz dem ein herrlicher Morgen. Die reine Luft, die über die See fläche her weht, erfrischt unser Gehirn wunderbar und wir fühlen eine Spannkraft in uns, die uns lange fremd war. Nasses Gras, Schlamm und Röhricht geniren uns, die wir gut besohlt sind, nicht, deshalb schlagen wir bald den von der Straße rechtsab führenden Fußweg ein, der um ein Beträcht liches näher ist, als die Straße, die in ziemlichen Bogen in der Höhe um den See führt. Das solide Schloß, das nichts vom Zierath der modernen Villen zeigt, dafür aber mehr Bequem lichkeiten und bei kühlem Wetter bessern Schutz bietet als man cher herrschaftlicher aussehende Landsitz am See, ist Kempfen hausen, der Witwe des königlich bayerischen Hofraths und Rechts-Konsulenten des Herzogs Maximilian in Bayern vr. F. v. Schauß-Kempfenhausen gehörig. Dabei ist die Ansiedlung wohl eine der ältesten am See, denn sie soll schon im elften Jahrhnndert von Herzog Arnulf dem Kloster Tegernsee genom men worden sein. Nicht weit hinter Kempfenhausen liegt von Wald umgeben gar idyllisch das Dörfchen Haarkirchen, das seiner Zeit, vor etwa zehn Jahren, ein Wirthshaus besaß, das seines gleichen suchte; wie die Atzung jetzt dort ist, weiß ich nicht, da mich leider seitdem der Weg nicht mehr hinführte. Das große vielfenstrige, aber reizlose Landhaus, an dem wir zunächst vor- beikommeu, ist die Pellet'sche Villa, eine unglückliche Speku lation des kürzlich verstorbenen tüchtigsten Starnberger Gasthof besitzers Pellet, im Sumpf und Röhricht an der schlechtesten Stelle des Sees ohne Schatten gelegen. Unbegreiflicher Weise hat der brave früher wohlhabende Mann einen großen Theil seines Vermögens in diese trostlose Besitzung gesteckt. Der Dichterkomponist Richard Wagner hat hier vor mehreren Jähren auf Wunsch des Königs von Bayern, der ihn in der Nähe seines fast das ganze Jahr von ihm bewohnten Schlosses Berg haben wollte, einen Sommer zugebracht. Die bösen Zungen der Geg ner des berühmten Tonsetzers wollen behaupten, daß in seiner bald nach dieser Villeggiatur in die Welt gegangenen Oper: „Tristan und Isolde" die Responsorien der Frösche und das Schwirren des Röhrichts sich unverkennbar wiederfinden. — In einer guten halben Stunde stehen wir vor dem könig lichen Lustschloß Berg, dem Lieblingssitze des jungen Königs Ludwig II. Uebrigens hatten auch schon in alter Zeit bayerische Fürsten Vorliebe für diesen Uferort; die Kurfürsten Ferdinand Maria (f 1679) und Karl Albert (der nachmalige deutsche Kaiser Karl VII.), auch Maximilian Josef III-, hielten sich oft in Berg auf. König Maximilian I. ließ im Jahre 1807 den herrlichen an das Schloß anstoßenden Park aulegen, der sich vom Seeufer an der Bergwand bis zur Anhöhe des Berges erhebt. Auch König Ludwig I. besuchte Berg gern, die schöne Zeit für das Schloß und seine Umgebung brach aber erst unter der Aegide seines Sohnes, König Max II., an. Dieser ließ in den Jahren 1849—1851 das Schloß ganz restauriren, mit Thürmen und Altanen schmücken u. s. w. So oft es möglich war, eilte Max auf sei» geliebtes Berg. Sein Sohn erbte, wie es scheint, diese Neigung in noch höherem Grade und man kann wohl sagen, daß Berg unter ihm seinen Glanzpunkt erreicht habe. Ludwig II. weilt wohl die Hälfte des Jahres hier. Die Nähe der Residenz nnd die treffliche Verbindung mit derselben ermög licht dies. Der Telegraphendraht läuft unmittelbar in das Lust schloß, wo ein eigener Beamter den Depeschendienst versieht. Sehen wir uns das Tusculum des jungen Königs etwas näher an. Dasselbe enthält in zwei Stockwerken zwölf Zimmer und einen Speisesaal. Einige dieser Gemächer bergen jene Kunstschätze, die sich der Monarch privatim von den ersten Künst lern erwarb, jene herrlichen Cartons, Modelle u. s. w., die nach des Königs eigenen Angaben und Intentionen gefertigt wurden, die aber noch niemand außer Hofe gesehen hat, da sie noch nie und nirgends öffentlich ausgestellt wurden. Das Erdgeschoß des Schlosses enthält die Räumlichkeiten für das. Dienstpersonal, ein Seitenhaus die Bureaux des Ka- binets re. Der Eintritt in das Schloß ist nie, der in den Park nur dann gestattet, wenn die Hofhaltung nicht in Berg ist. Das ist heute der Fall und es bleibt uns also der unangenehme Um weg über den ganzen Berg um den Park herum erspart. Nicht weniger still als heute ist es im Schloßhof und Garten auch bei der Anwesenheit des Königs. Nur die ernsten Gestalten der wachehabenden Gensdarmen und hier und da ein dienstbarer Geist, der geräuschlos vorüberhuscht, beleben ihn dann. Der König will absolute Ruhe haben, wenn er hier weilt; kein Hof staat, kein Prunk und keinerlei Lärm darf dieselbe unterbrechen. Nur die Fahne des bayerischen Königshauses flattert lustig über den Hellen Mauern auf dem Giebel des verzauberten Schlosses und verkündet den Bewohnern der Uferorte meilenweit die An wesenheit ihres Landesvaters. Das Plätschern der Fontäne, die neben dem Schlosse ihren Wasserstrahl hoch in die Luft wirft, ist das einzige Geräusch, das inan vernimmt. Ein reizender Laubengang führt vom Schlosse an den See hinab zum königlichen Schwimmbad. Ludwig, bekanntlich ein Freund körperlicher Bewegungen, ist auch ein trefflicher Schwim mer. Er badet meist abends und schwimmt oft bei Monden schein weit hinaus in die spiegelnde Fläche des herrlichen Sees. Unvergleichlich ist der Park. Mag draußen die glühende Julisonne sengend auf deinen Scheitel fallen, hier hast du ewige waldduftende Kühle, wie in keinem der Naturwälder am See. Kein Wunder, die Laubbäume stehen so dicht, daß nicht ein Stückchen Himmel Hereinschauen kann; dabei rieseln von allen Seiten Quellen den Berg herab. In einem Zwinger mit Felsen, See u. s. w. ist zahmes Wild. In einem türkischen Kiosk, den sich der König im Park bauen und prächtig einrichten ließ, weilt er besonders gern, oft halbe Tage lang mit seinen Büchern und Schriften allein. Einen reizenden Anblick gewährt es auch, wenn der kleine niedliche königliche Dampfer vor dem Schlosse anlegt. Der schlank und leicht gebaute nur etwa zwölf Bieter lange Miniatur dampfer mit schmalem Kiel zeigt auf dem halbrunden Bogett des Radkastens in gothischer Schrift den Namen des Schiffest „Tristan". Die Außenseite des Dampfers ist in der ober« Hälfte grün, in der untern weiß; die Spitze des Schnabels trägt das bayerische Wappen mit Krone vergoldet. Die Einrichtung ist prunklos. Quer über das Deck des Vordertheils, in der Nähe der Maschine, steht ein Sopha mit grünem Lederüberzug, zu beiden Seiten des Deckgeländers ziehen sich rohrgeflochtenc Bänke hin. Die kleine Kajüte im Hintertheil, welche kein Deck hat, ist mit ein paar rothsammtenen Divans und einem des engen Raumes wegen nur schmalen polirten Tische versehen- Auf diesem Dampfschiffchen macht der König seine Spazier fahrten auf dem See; besonders dient dasselbe zur Verbindung mit der schräg gegenüber liegenden Roseninsel. Wer all das gesehen hat, kann sich kaum mehr wundern, daß der junge naturbegeisterte König mit Vorliebe in Berg Villeggiatur hält. Das märchenhafte Schloß, der Park, der See, die blaue Alpenkette im Hintergründe, die träumerische Ruhe uud der beseligende Friede, der über diese Landschaft ausge gossen ist — es ist ein reizender Aufenthalt! Aber auch für simple Menschenkinder ist in Berg ein Aufenthalt. Hinter dem Schlosse an der Anhöhe steht ein propres Gasthaus, das die originelle Aufschrift trägt: „Gasthaus ganz gemächlich zum Wismayer". Was du erhältst, ist gut, die Aussicht auf den See vom schattigen kühlen Garten eine angc nehme Beigabe für natursüchtige Ausflügler, eine überflüssige für das Bedientenvolk des Schlosses, das hier zu allen Tages stunden vertreten ist, aber bei Leibe.nicht um „Natur zu kneipen". Was aber die im Wirthsschilde angekündigte Tugend der