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im Lande des Unglaubens! Aber ich lasse euch meinen Fluch zurück! Eure Herden mögen sich verringern, das Wild in den Wäldern möge abnehmen, die Fische mögen fortziehen aus den Gewässern und eure Ehen mögen unfruchtbar sein für immer!" - Wenn nun auch wirklich das Wild in den Wäldern, in denen die Ostjaken Hausen, sich nicht vermindert hat; wenn auch die Fische nicht die Gewässer, an denen die Ostjaken leben, verlassen haben, so ist doch der letzte Theil des schrecklichen Fluches zur Wahrheit geworden: die Frauen der Ostjaken sind un fruchtbar geworden und in einer nicht allznferncn Znknust wird der Stamm von der Erde verschwunden, eine paläonto logische Art des Genus „llomo" geworden sein, von der die Nachwelt nicht mehr wissen wird, als wir von den Bewohnern der Neanderhöhle bei Düsseldorf, den Lakusterbewohnern und anderen Menschen der Urzeit wissen. Wir wollen späteren Geschlechtern das paläontologische Stu dium des Homo o8tjuou8 erleichtern und ihnen einige Anhalts punkte zu demselben bieten. Man erkennt den Ostjaken auf den ersten Blick als einen Finnen; ihn kennzeichnen als solchen der dunkle Teint seines Gesichtes, das pechschwarze, schlichte Haar, die kleine Stumpfnase, der schräge Schnitt der Augen und die etwas hervorstehenden Backenknochen. Individuen mit Heller Gesichtsfarbe und blon dem Haare sind eine Seltenheit und dürften immer auf echt tatarische Blutmischung zurückzuführen sein, deren physische Kon stitution weit biegsamer zu sein scheint, als die Konstitution in der Kultur weit zurückgebliebener Stämme. Intellektuell steht der Ostjake fast auf der denkbar niedrigsten Stufe. Im höchsten Grade leichtgläubig und einfältig, wird er bei jeder Gelegenheit von den russischen Händlern ausgebeutet, welche im Frühlinge auf großen Dampfern den Irtysch, Tour u. a. größere Nebenflüsse des Ob, sowie diesen selbst bereisen, nnd bei dieser Gelegenheit mit den Ostjaken in Handelsverbindung treten. Sie bringen grobes Mehl, häufig auch aus solchem gebackenes und später getrocknetes Brot, das sie „Zwieback" nennen, elenden Formthee, blaues Baumwollenzeug (Dabu), kleine, bunte baumwollene Tücher, schlechten Tabak, Beile u. a. Kleinigkeiten mit, für welche sie reiche Pelzwerke, Daunen, getrocknete Fische und Gespinst aus der sibirischen Nessel einhandeln. Der Ostjake kennt so wenig den Werth der eingetauschten Gegenstände, daß er z. B. Gefangenen, welche per Dampf von Tjumen nach Tomsk transportirt werden, ein Pud der besten Sterlette für einige Pfunde Brot gibt. Sehr häufig tauscht er für einige Edel marder oder Füchse ein altes blaues Baumwollenhemd ein, oder gibt für einige alte Hemden oder Hosen aus Leinwand einen Pelz mit Kapuze, die Haare nach außen (Duell») aus Renthier- fell oder gar aus Hermelin. Für einen Schluck Brantwein, den der Ostjak leidenschaftlich liebt, wäre er fähig, sich und seine Familie in ewige Sklaverei zu geben. Zwar ist nun die Zu fuhr von Spirituosen zu den Ostjaken gesetzlich verboten, trotz dem gelangen recht ansehnliche Quantitäten zu ihnen und der jenige, der es riskirt hat, die verpönte Waare bei ihnen einzu schmuggeln, kehrt gewiß bereichert nach Hause zurück. Den Haupthandel mit den Ostjaken treiben Kaufleute aus Jrbita, Tjnmen und Tobolsk, welche in einigen Individuen, die stetig in Berezowo und Narym wohnen, ihre Helfershelfer haben. Wie jeder Einfältige ist auch der Ostjak gutmüthig, und die ihm nachgerühmte Ehrlichkeit und Dienstfertigkeit möchte ich fast auf Rechnung seiner beispiellosen Feigheit schreiben. Er zittert vor jedem Europäer, wie vor einem höhern Wesen, oder min destens wie vor seinem Gebieter, und diese seine Furchtsamkeit, die beim Ostjaken bis zur Feigheit gesteigert ist, benutzen die aus den Strafanstalten entflohenen Verbrecher „LraäfuAi", um sich von ihm füttern und auf nur ihm bekannten Wegen und Stegen über den Ural nach Europa, zu andern finnischen Stäm men, bringen zu lassen. Nebenbei ist der Ostjak doch auch sehr rachsüchtig und wird, wenn er dermaßen betrogen worden, daß es selbst der Einfäl tigste bemerkt, bis zur Raserei aufgebracht. Mir wurde von einein glaubwürdigen Augenzeugen, einem im Jahre 1864 de- portirten Polen, in dieser Beziehung folgender Fall mitgetheilt. Der Dampfer, auf dem eine Partie Gefangener im Früh linge 1864 nach Tomsk transportirt wurde, war eines Tages, als er nicht mehr fern von Berezowo war, von vielen Ostjaken in ihren leichten Kähnen umschwärmt, welche den Gefangenen und den mitfahrenden Tjumener Kaufleuten Tauschgeschäfte an boten. Einige Ostjaken hatten eben eine bedeutende Masse Ster lette aus dem Wasser gezogen und näherten sich der im Schlepp tau gehenden Barsche, auf welcher sich die Gefangenen befanden, denen sie die Fische für einige Pfunde Brot, für ein altes ab getragenes Hemde Hingaben. Einer der Ostjaken legte am Dampfer an, sprang behend wie eine Katze auf denselben und bot eiuekü dort befindlichen Kaufmanns verschiedene Bälge zum Tausche an. Man wurde bald handelseins, der Kaufmann nahm seine Bälge in Empfang, ohne sie erst zu besichtigen, da er sicher war, daß ihn der Halbwilde nicht betrogen hat, und der Ostjak nahm das ausbedungene Ob jekt ebenfalls ans Treu und Glauben an, sprang mit demselben in seinen Kahn und mit dem Strome hinter dem Dampfer her treibend, begann er die für sein theures Pelzwerk erhandelten Herrlichkeiten zu besichtigen. Er war augenscheinlich betrogen worden, denn das sonst ausdruckslose Auge blitzte plötzlich wie ein Wetterstrahl, die Brauen zogen sich zusammen, ein Wuth geschrei entriß sich dem Munde des nun ganz Wilden, der mit allen Kräften arbeitete, nm wieder an den Dampfer zu kommen, was ihm auch nach einigen Minuten gelang. Wie ein Tiger sprang der wüthende Ostjak auf's Deck des Dampfers und ehe es sich irgend jemand versah, hatte er dem Betrüger sein langes, plumpes Messer in die Brust gestochen, und schnell, wie er auf's Deck gekommen, war er von demselben verschwunden. Ehe der schwerfällige Räderdampfer die nöthigen Manöver machte, um den Mörder zu verfolgen, war er stromaufwärts in verschiedenen Zickzacklinien zwischen einige Inseln gekommen und verschwunden. Der schwerverletzte Kaufmann starb, ohne auch nur für einen Augenblick zur Besinnung zu kommen. Die Kleidung des Ostjaken besteht für den Winter aus einer „Mawlitza", das heißt, aus einem engen, vorn und hinten geschlossenen, fest anliegenden Pelze, der bis an die Hälfte der Schenkel reicht und mit den Haaren nach innen gekehrt ist; aus eng anschließenden, bis an die Kniee reichenden Beinkleidern, wozu je nach dem Grade der draußen herrschenden Kälte noch ein oder zwei weite Pelze, die ebenfalls vorn und hinten ge schlossen und mit einer Kapuze ausgestattet sind, kommen. Zur Fußbekleidung dienen ungeschickte nnd roh gearbeitete Pelzstiefel. Im Sommer trägt der Ostjak eine leichte einfache Kleidung aus von Russen erhandelten Baumwollenstoffen, oder aus einem Gewebe, das aus dem Baste einer in der Obgegend wachsenden Nessel*) besteht, die ein feines, von den Russen gesuchtes Ge spinst liefert. Die Nessel wächst in der von mir besprochenen Gegend wild, aber der Russe scheut sich sie zu sammeln und zum Spinnen zuzubereiten, da sie weit stärker brennt, als" die bekannte Drtioa. ursu8. Er überläßt daher gern die ganze Arbeit dem armen Ostjaken, der ihm das feine Gespinst für eine Lappalie hingibt. Das Gespinst aus dem Baste dieser Nessel ist, trotz seiner Feinheit, so fest, daß der Ostjake aus ihm seine Netze und Leinen macht, welche die aus Hanfbast gefertigten an Dauerhaftig keit übertreffen. Die Ostjaken haben besondere Wohnungen für den Som mer und für den Winter. Die Sommerwohnung, welche der Ostjake schon nach dem russischen Worte „ollutu" (Hütte) „ollat" nennt, besteht gewöhnlich aus einem kegelförmig ausgestellte» Gestelle aus Stangen, das der Aermere mit Birkenrinde, der Reichere mit Matten aus Lindenbast, welche er auch von den Russen eintauscht, bedeckt. Für den Winter hat der Ostjake sei nen „Tjujmoll", seine Winterhütte, welche ein zur Hälfte in, zur Hälfte über der Erde angelegtes Blockhaus aus dickem Rund holze bildet. In einem solchen Tjujmoll wohnen gewöhnlich einige Familien, welche aller Wahrscheinlichkeit nach nahe mit einander verwandt sind. Im Sommer, wenn der Ostjak in seinem luftigen Chat lebt, genießt er die Luft, und, man möchte sagen, daß er sich dann häutet vom Schmuze, der sich während des langen Winters auf seiner Haut augesammclt und wie eine Rinde festgesetzt hat, denn nicht im Chat, sondern vor demselben brennt ein lustiges *) Diesen Gegenstand habe ich weitläufiger besprochen im „Land- wirthschaftlichen Centralblatte für die Provinz Posen" Nr. 14., Jahr gang 1873.