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Ein Paradies des Mittelmeeres. Von Prof. vr. Moritz Willkomm. Am Nachmittage des 26. März 1873 verließ ich am Bord des spanischen Postdampfers „Menorca" die Hauptstadt Cataloniens. Das Wetter war prachtvoll, die See glänzte gleich blauem Atlas, Scharen von Delphinen umspielten das Schiff. Kaum war die Sonne in das Meer hinabgesunken, so erglommen auch bereits die Sterne an dem dunkelblauen Himmel, denn die Dämmerung währt in jenen Breiten nur kurze Zeit; eine laue wonnige Frühlingsnacht senkte sich auf die endlose Wasserfläche hernieder. Und als der Feuer ball von neuem den azurnen Fluten entstieg, da lagen purpurn angehaucht von seinen ersten Strahlen die Gebirge Mallorca's vor uns, oder richtiger rings um uns herum, denn eben dampfte das Schiff in die weite Bai von Alcudia hinein, wo es anderthalb Stunden liegen blieb, bevor es nach Mahon, der Hauptstadt Menor- ea's, weiterfuhr. Auch ich reiste damals nach Mahon, will aber meine Leser jetzt nicht nach Menorca führen, sondern ihnen von der größeren und schöneren Schwesterinsel erzählen, deren Boden ich zwölf Tage später, mit demselben Dampfer von Mahon zurückkehrend, am Strande von Alcudia betrat. Wegen des seichten Wassers muß das Schiff ziem lich weit vom Landungsplätze ankern und da, wie überall, kein Mensch dasselbe verlassen darf, bevor die Sanitätsbehörde an Bord gewesen ist, so hat man Muße, das herrliche Panorama, in dessen Centrum man sich befindet, in seinen Einzelheiten zu studiren. Die weite Bai von Alcudia bildet einen tiefen hufeisenförmigen Ausschnitt an der Nordostküste der Insel und ist fast rings von höchst malerischen, steil ansteigenden Gebirgsmauern umgeben, welche an den untern Hängen bewaldet sind, während sie im obern Theil in nackte, zackige, oft grotesk gestaltete Felsgipfel auslaufen. Nur gegen Südwest erscheint die Küste flach und niedrig und von dunkeler Seekieferwaldung um- säumt. Hinter dem den Nord- und Westrand der Bai umgürtenden Küstengebirge, welches in dem steilen, mit einem Thurm gekrönten Kegel des Puig (sprich Putsch) de la Victoria östlich von Alcudia kulminirt, steigt der östliche Theil der „Sierra", des eigentlichen Hochgebirges von Mallorca, in gewaltigen nackten, aber bei Morgen beleuchtung in ein duftiges Hellblau getauchten Felsenhäuptern empor, unter denen der sattelförmige 1350 in. hohe Puig mayor de Mansanella, der zweithöchste Gipfel der Insel, den Hintergrund der reizenden Gebirgslandschaft, in welche man durch eine weite von der fruchtbaren Ebene von Alcudia ausgefüllte Lücke des Küsten gebirges tief hineinblickt, majestätisch abschließt. Bevor ich meine Leser ins Land führe, dürste es zweckmäß'z sein, sie mit der Natur der Insel einigermaßen bekannt zu machen. Mallorca (in8ula major Laloarium der alten Geographen, von den spanischen daher auch la Oaloar ma^or genannt) ist ein fast vier eckiges Stück Land mit beinahe parallelen Rändern, welche gegen Nordwest, Nordost, Südost und Südwest gekehrt sind, und besitzt nach den neuesten Messungen einen Umfang von 265 Kilom. und einen Flächeninhalt von 3391 Kilom. (60 M.) Die größte Länge — in westöstlicher Richtung — von der Punta de la Rebo- sada, dem westlichsten, bis zum Cabo de Pera, dem östlichsten Punkte, beträgt 99, die größte Breite — in nordsüdlicher Rich tung —, vom Cabo Formentor, dem nördlichsten, bis zum Cabo de Salinas, dem südlichsten Punkte, 79, die geringste — in i der Richtung von Südwest nach Nordost — zwischen den Baien von Palma und Alcudia, 52 Kilom. Die Nordwest- und die Süd ostküste zeigen nur kleine Buchten und Einschnitte, welche der Mehrzahl nach schlechte Ankergründe darbieten; dagegen besitzen die Südwest- und Nordostküste in den mächtigen Baien von Palma, Alcudia und Pollenza gute und sichere Häfen. Längs der Ufer der genannten großen Baien, von denen diejenige von Palma auch den Namen Rada de Mallorca führt, während die nur durch eine Land zunge getrennten Schwesterbaien von Alcudia und Pollenza auch als Puerto mayor und menor bezeichnet zu werden Pflegen, findet sich ein wirklicher Strand entwickelt, jedoch nur mit geringer Dünen bildung; sonst sind die Küsten Mallorca's fast überall von steilen Felsen umgürtet und nur an den Mündungen der Bäche und Flüsse auf kurze Strecken mit einem sandigen Strande versehen. Aus allen WeMheilen. VI. Jahrg. Längs der Nordwestküste erhebt sich unmittelbar vom Meere aus , die Sierra, eine gewaltige, vom Cabo de la Mola bis zum Cabo Formentor sich erstreckende Gebirgsmauer, deren zahlreiche Hochgipfel sich 1000 bis 1500 in. über den Spiegel der See erheben und des- ! halb sowohl von der See, als von der Landseite aus einen imposanten 'Anblick darbieten. Parallel mit dieser durch schroffe, aber höchst ' malerische Formen ausgezeichneten Gebirgskette erstreckt sich längs der Südostküste ein zweiter, aus mehr isolirten Bergmassen bestehender > Gebirgszug, welcher aber viel niedriger ist, als die Sierra, indem , sein höchster Gipfel, der Puig de la Consolacion bei Santany nur z 743 in. Scehöhe erreicht. Zwischen diesen beiden parallelen Gebirgs ketten breitet sich ein weites Flachland aus, welches von den zahl- ! reichen in den Gebirgen entspringenden Bächen bewässert wird und j unter dem Namen el Llano de Mallorca bekannt ist. Es wäre sehr !irrig, sich dieses beinahe die Hälfte der Oberfläche der Insel ein- nehmende „Flachland", welches sich von der Bai von Alcudia quer durch die Insel bis zur Bai von Palma ausdehnt, als eine ein förmige Ebene vorzustellen, als welche es häufig genug von flüchtig reisenden Touristen und in geographischen Handbüchern bezeichnet worden ist. Im Gegentheil, nur wenige Strecken sind wirkliche Ebenen, denn der größte Theil des Llano besteht aus Höhenzügen und Hügelgeländen; ja, an mehreren Punkten, besonders in der südwestlichen Hälfte, erheben sich isolirte Berge, unter denen der 595 w. hohe Puig de Randa bei Lluchmayor der höchste ist. Dieser weithin sichtbare und den von Süden und Südwesten ansegelnden Schiffen als Marke dienende Berg, welcher drei Wallfahrtskirchen an seinen Hängen und auf seinem Scheitel trägt und deshalb der ' gläubigen Landbevölkerung Mallorca's für besonders heilig gilt, ist ; der kulminirende Punkt einer niedrigen aber sehr felsigen Bergkette, ' welche sich ziemlich parallel mit der Südwestküste von Südost nach Nordwest erstreckt und durch Hügelreihen und Höhenkämme eine Verbindung zwischen der Sierra und dem südlichen Gebirgs zuge vermittelt. Der Llano ist daher, ganz abgesehen von den Reizen, die ihm seine zahlreichen Ortschaften und die sorgsame Arbeit des Bodens verleihen, mit Ausnahme weniger einförmiger Strecken ein sehr anmuthiges und malerisches Gelände. An den Baien von Alcudia und Palma, sowie an der Südwestküste breiten sich Niederungen aus, die früher gänzlich aus salzigen Morästen bestanden und Lagunen mit gesalzenem Wasser enthielten. Die beiden bedeutendsten dieser sumpfigen Niederungen, welche im Som mer das ganze umliegende Land verpesteten und bösartige Wechsel fieber veranlaßten, waren die Niederung von Alcudia mit den großen Strandseen der Albufera und Albufereta (erstere an der Bai von Alcudia, letztere an der Bai von Pollenza gelegen) und die ebenfalls große Lagunen beherbergende Niederung el Prat südöstlich von Palma. Beide sind gegenwärtig großentheils entwässert (diejenige von Alcudia auf Kosten einer englischen Gesellschaft) und in fruchtbares Acker land und grasreiche Viehtriften umgewandelt. Kleinere Lagunen und Salzmoräste, welche zur Gewinnung von Seesalz benutzt werden, bestehen noch im Südwesten der Insel nahe an der Küste, sowie am südlichsten Ufer der Bai von Alcudia. Alle diese Lagunen sind durch sandige Strecken oder niedrige Dünenketten vom Meere geschieden. Was die geologischen Verhältnisse der Insel betrifft, so bestehen die Gebirge, wie auch die meisten isolirten Berge des Llano in der Hauptsache aus Kalk, und zwar vorzüglich aus Kalken der Kreide periode; nur das die höchsten Gipfel umfassende Centrum der Sierra ist bis an die Gestade des Meeres hinab aus Jurakalk zusammen gesetzt. Innerhalb der Sierra treten zahlreiche Gänge von Eruptiv gesteinen, namentlich von schwarzen, grünen und rothen Porphyren, von Diorit, Serpentin, Euphotid u. s. w. auf, welche die Kalk schichten durchbrochen, manigfach aufgerichtet und zerrissen, und nach der Meinung der Geologen die Erhebung Mallorca's aus den Fluten des Meeres veranlaßt haben. Dem Kreidekalk iuselartig aufgelagert erscheint in den Hügelgeländen längs des Fußes der Sierra und im Centrum des Flachlandes eine Nummulitenkalk- formation; der größte Theil des Llano ist aber aus jüngeren tertiären Sandstein-, Mergel- und Süßwasserkalkschichteu, aus