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Die Katakomben von Syrakus. Von Oe. Hugen Jäger. Das heutige Syrakus ist eine unschöne Stadt, eng znsam- j mengedrängt auf der Jusel Ortygia, welche in einem weiten Meerbusen liegt und denselben in zwei ungleiche Hälften theilt. , Durch eine Landenge ist diese Insel mit dem Festlande verbun den und gleichzeitig durch ehemals sehr starke, von Karl V. er baute Festungswerke wieder gegen dasselbe abgeschlossen. Das alte Syrakns aber, die größte Stadt des griechischen Alterthums, mit einer ungeheuren Bevölkerung, mächtigem Handel und star ker Kraft im Kriege, dehnte sich rasch von der Insel hinüber auf das Festland ans. Um der Sumpflnst im Thale des Anapus zu entgehen, zog sich die Stadt mehr nach Norden, und baute sich eine dreieckige Hochfläche hinan, welche vom Innern der Insel sich gegen das Meer hinzieht und dort gegen Osten als Felswand von mehr als 50 m. Höhe in die See stürzt. Aufdieser weiten Fläche erheben sich die festländischen Stadt theile des alten Syrakus. Am östlichen Absturz des Plateaus staud die Achradina, an dieselbe reihten sich die Tyche und die Neapolis, während der spitz zulaufende, mit dem bergigen Innern Siziliens zu sammenhängende westliche Theil der Hochfläche Epipolis ge nannt wurde. Letzteres war als Schlüssel des Ganzen stark befestigt und spielt in den wiederholten Belagerungen der Stadt eine bedeutende Rolle. Die Katakomben, die unterirdische Todtenstadt des alt griechischen Syrakus, liegen in der Achradina, also ganz gegen Osten auf der Hochfläche. Diese selbst ist gänzlich verödet, und nur die Steingeleise, die sich in den Felsboden eingeschliffen haben, und hier und da ein viereckig hergerichteter Platz, auf dem ehemals ein Haus stand, erinnern noch an das große, herrliche Syrakus. Der ganze furchtbare Ernst der Weltgeschichte ist in das todesstarre Antlitz dieser weiten schweigenden Einöde mit monumentalen Zügen geschrieben. Hinter dem jetzt aufgehobenen Kloster der Kapuziner liegen die Latomien jenes Klosters. Es sind ungeheure, tief in die felsige Fläche hineingesenkte Steinbrüche mit senkrechten Wän den, au denen man schon Spuren der Katakomben findet. Wir treffen dort Gräber in Nischen und nach Art der römischen loeuli. ! Eine weitere, ganz unzweideutige Hinweisung nach den Kata komben findet man in der Kirche St. Lucia, der Schutzpatronin von Syrakus. Aus der großen Kirche führt ein unterirdischer, mit Lichtöffnungen versehener Gang nach einer tief in die Erde gebauten Rundkirche, welche sich an der Stelle befindet, wo die Heilige den Märtyrertod erlitten haben soll. Höchst Wahrschein- ! lich hat man später den unterirdischen Raum nach oben durch gebrochen und so eine vom Tageslichte beleuchtete Kirche geschaf fen. Von dem vorhin erwähnten Gange zweigt sich ein zweiter ab, der aber ohne Licht und Führer nicht verfolgt werden kann; er gehört bereits den Katakomben an und ist ganz mit Grab- Nischen versehen. Der Eingang in den zugänglich gemachten Theil der Kata komben ist neben der alten gothischen, später gänzlich veränder ten Kirche San Giovanni. Diese Katakomben tragen größtentheils den' altchristlichen Charakter, wie dies schon die oberflächlichste Vergleichung mit den römischen und neapolitanischen Katakomben zeigt; doch springen gleichzeitig einige bedeutende Unterschiede in die Augen, welche uns Schlüsse auf die Entstehung dieser weiten Gänge und Hallen zu ziehen erlauben. Vor allen« ist das Gestein hier ganz verschieden von dem der römischen Katakomben. Dort ist es der tuto grauolaro, eine Ablagerung vulkanischer Asche, durch das Wasser zusammen geschwemmt, in welchen man die Gänge gearbeitet hat, hier aber sind dieselben mit ungeheurer Anstrengung und fast unbe rechenbarem Zeitaufwande mit dem Meißel in den harten Kalk stein gehauen. Dort genügte ein stumpfes Beil oder sogar ein kräftiges Messer, um weite Höhlungen in den Tnff zu machen. Aus allen Welttheilen. ll. Jayrg. Mau sollte also erwarten, daß in Rom die Gänge regel mäßig verliefen, da dort das Gestein der Befolgung eines sicheren Planes kein Hinderniß in den Weg legte. Und doch sehen wir das Gegentheil. Unregelmäßig und eng gewunden, kreuzen sich die Gänge manchmal ganz spitz, laufen über und neben einander her und stören sich auf die manigfaltigste Weise. In Syrakus aber wandert man, obgleich der harte Stein die Arbeit sehr mühsam machte, in regelmäßigen, schön und sorg fältig ausgeführten Gängen. Allerdings kommt es manchmal vor, daß man von einem Gang in ein oberes oder unteres Stockwerk hineinsehen kann, indem dessen Verlaufstellenweise durch Unachtsamkeit und infolge der sehr schwierigen Orientirung angeschnitten wurde. Die Gänge in den römischen Katakomben sind sehr schmal und haben oft nur für eine Person Raum. Hier aber sind sie meist etwa 15ckm. breit und ihre Höhe ist derart, daß man noch gerade aufrecht stehen kann. Eine besonders große Person aller dings müßte sich bücken. In Rom trifft man in de» unregelmäßigen Gewirren der Gänge nur sehr selten größere Räume, welche zu Grabkapellen ausgearbeitet sind. Dagegen findet man in Syrakus mit über raschender Regelmäßigkeit, daß stets mehrere der breiten schönen Gänge in eine große runde Kammer münden, welche oben mit einem sogenannten Lxiraglio, einem Athmungs- und Luftloch, versehen ist. Die Kammer ist nämlich trichterförmig erhöht und verengert sich oben in einen Ring, der durchgebrochen ist, um die Tagesbeleuchtung einzulasien. Diese Einrichtung entspricht den Luminarien der römischen Katakomben, die aber dort nur mit äußerster Vorsicht angebracht werden konnten, weil sie die Gefahr der Entdeckung dieser unterirdischen Gänge sehr nahe legten; auch sind die römischen Luminarien lange nicht so sorgfältig gearbeitet, wie diese schön ausgeführten Oeffnungen, welche den Kapellen ein fast elegantes Ansehen geben. Außer diesen Grabkapellen sind auch die Gänge, welche sie verbinden, in kurzen Zwischenräumen mit solchen Lichtöffnungen versehen. Einen weiteren, nicht geringen Unterschied zwischen den römischen und syrakusanischen Katakomben finden wir in der Weise, wie man die Todten beerdigte. In den Katakomben Roms herrschte das System der loeuli vor; allerdings kommen auch Sarkophage und nischenartige Gräber vor; meist aber arbeitete man auf die einfachste Weise in die Seitenwände der Gänge eine niedrige rechtwinklige Höh lung, welche gerade hinreichenden Raum bot für die Aufnahme einer Leiche. Dabei überwiegen natürlich die kleinen loeuli, da die meisten Menschen im Kindesalter sterben und dies damals vielleicht in »och höherem Grade der Fall war, als gegenwärtig. So sind die beiden Seitenwände der unterirdischen Gänge neben und über einander mit solchen Vertiefungen bedeckt; nachdem die Leiche hineingelegt war, wurde ein Marmorstein oder eine Backsteinplatte davor gesetzt und auf diesen Verschluß der Name und Todestag des Verstorbenen geschrieben; vielfach sehen wir auch einen Spruch oder christliche Symbole. Anders dagegen in Syrakus. Hier hat man, meist rechtwinklig zum Hauptgang, in die Seitenwände große und hohe Gänge, wie ein halbes Tonnengewölbe ausgemeißelt und auf dem Fuß boden dieser Gänge sarkophagartige Vertiefungen hinter einander gebildet. Jede derselben hat einen Falz zur Aufnahme der Deckplatte, um das Grab zu verschließen. Hier lagen also die Todten neben einander auf dem Boden der Katakomben, während sie in Rom in den Seitenwänden über einander ruhten. Diese Seitengänge, in denen die eigentliche Leichenbestattung vor sich ging, erstrecken sich meist tief in den Felsen hinein, und manchmal muß man über 20 bis 40 solcher Sarkophage hin wegsteigen, um an das Ende zu gelangen. Auch die bereits erwähnten runden Kuppelräume sind an den Wänden, so weit nicht Gänge hier einmünden, mit solchen 37