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Das DtlltWhum in Ungarn. Eine ethnographische Skizze von Reinhard Zöllner. Der Dualismus des österreichische» Staatswesens hat das ungarische Volk zu einer so bedeutenden politischen Machtstellung erhoben, daß der Einfluß des Deutschthums iu den transleitha- nischen Ländern sich von Jahr zu Jahr vermindert, nud der Schwerpunkt des österreichischen Staates mehr in Pest als iu Wien zu liegen scheint. Durch die Zweitheilung des Reiches sollte im Westen der Leitha den Deutschen das Uebcrgewicht über die Slaven, im Osten den Ungarn die Herrschaft über Slaven und Rumänen gewährt werden, und letztere üben nun auch dieses Regiment in einer Weise aus, welche den Deutschen fremd ist, die, mit größerer Achtung für die Rechte anderer Na tionalitäten erfüllt, mehr abwehren als angreifcn und von dem nationalen Selbstbewußtsein und der Rücksichtslosigkeit der Magyaren gleich weit entfernt sind. Während unser Volk in Teutsch-Oesterreich nicht nur nicht an Boden gewinnt, sondern zufrieden sein muß, wenn es dem vordringenden Nord- und Südslaventhnm Halt gebieten kann, verliert es in den Ländern der ungarischen Krone immer mehr an Terrain. Die deutschen Kolonien Ungarns gehen der vollständigen Magyarisirung ent gegen, mit Ausnahme der Ansiedelungen in den Karpaten, Welche in nicht allzulanger Zeit ihre deutsche Sprache mit der slavischen vertauscht haben werden. Nur der westliche Theil, welcher sich an das deutsche Mutterland anlehnt, wird seine Nationalität sich länger erhalten, da die dortige deutsche Be völkerung sich nicht allein durch neuen Zuzug ergänzen kann, sondern auch infolge der engen Verbindung mit Deutsch-Oester- reich deu nationalen Uebergriffen der Magyaren eine größere Widerstandskraft cntgegenzustellen vermag. Tas Königreich Ungarn ist der in ethnographischer Be ziehung bei weiten, interessanteste Theil Gesammt-Oesterreichs; Und doch in den Thälern der Karpaten und in deu Niederungen der Donau und der Theiß alle Völker des großen Staates in so wunderbarer Mischung vertreten, daß keines derselben An spruch auf die absolute Majorität machen kann. Nach den neuesten Zählungen sind von den 11 Millionen Bewohnern der ungarischen Kronlande 1,820,000 Magyaren, 2,800,000 Slaven, 1,500,000 Deutsche und 1,300,000 Rumänen. Schon oin flüchtiger Blick ans eine ethnographische Karte der unteren Touanländer kann zeigen, mit welchen Schwierigkeiten die Um wandlung dieses Völkcrkonglomerates in einen einheitlichen Staat verbanden sein muß, daß aber auch bei der Durchführung des dualistischen Prinzipes in Oesterreich die Herrschaft über den östlichen Theil naturgemäß nur in die Hände der Magyaren sollen konnte, jener Nation, welche nicht blos das historische Necht für sich hatte, sondern anch an Kopfzahl die anderen ^ölkerstämme überragt und in großer geschlossener Masse das Zentrum des Landes innehat. Das Deutschthum hat sich iu de» Ländern der ungarischen Krone der politischen Macht be iden, ohne sich aber bis jetzt des geistigen Einflusses entäußert haben. Das können wir wohl mit gerechtem Stolze aus- ^rechen: wenn auch das magyarische Volk Ansätze zu einer uationalen Kultnrentwickelung aufzuwcisen hat, so wurzelt "och der größte und beste Theil dessen, was Ungarn u» Bildung und Literatur, Kuust und Wissenschaft dksitzt, im Dentschthum, und alle jene großen nud kleinen ü»siedluugen der Deutschen, welche über die weiten Ebenen dos Banates verstreut sind und in den Thälern der Karpaten och vorfinden, sind hellere Sterne auf dunklem, magyarisch- uovischem Grunde. Tie bedeutendsten deutschen Kolonien liegen westlich von kr Donau, in demjenigen Theile des Landes, welcher unter kv Herrschaft der Römer Pannonia hieß. Mehr als die Hälfte, ^ud zwar der fruchtbarere Theil jenes Distriktes, welcher von ^onau, Raab, Niederösterrcich und Steiermark begrenzt wird, deutsche Bewohner; nordwestlich des Bakvnywaldes zieht uch eine Anzahl deutscher Ansiedlungen bis Gran; im Umkreis d°» drei Meilen ist Ösen auf dem rechten Dvnanufer von ^schein Lande umgeben, und südlich davon erstreckt sich eine Au» allen WcNtyeilen. II. Jahr,,. etwa 13 Meilen lange und 4—6 Meilen breite Sprachinsel ! fast bis an die Mündung der Drau, im Westen umgeben von zahlreichen kleineren deutschen Siedelungen. Abgesehen von Pest und Ofen bewohnen den Kreis westlich der Donau, nach Böckh's Angaben („Der Deutschen Vvlkszahl",S.277) unter einer einheimische» Bevölkerung von 2,174,707 Seelen 507,213 Deutsche; das Komitat Wieselburg hat mehr als zwei Drittel, das Komitat Oedenburg fast die Hälfte, das Komitat Eisenburg mehr als die Hälfte deutsche Bewohner. Eine zweite Gruppe deutscher Kolonien weist die Woiwo- , dina auf. In dem zwischen Theiß und Donau gelegenen Komitate Bacs-Bodrogh sind unter derGesammtbevölkerung von 528,345 Seelen 134,380 Deutsche, das Komitat Teures hat unter 314,180 Bewohnern 01,220 Deutsche und von den 386,055 Bewohnern des Komitates Torontäl sind nicht weniger als 120,170 deutscher Abkunft. Dazu kommen noch etwa 15,< >< ><> Deutsche im Komitate Krasso. Die deutsche» Ortschaften zwischen Theiß und Donau sind umgeben von Serben und Magyaren, die östlich der Theiß von Rumänen und Serben. Blinder bedeutend an Zahl der Qnadratmeilen, nm so größer aber in ihrer geschichtlichen Bedeutung sind drittens die Gebiete, welche das Deutschthum innerhalb der mittelungarischen Städte und in deren Umgebung einnimmt. Preßburg, Raab, Gran, Waitzen und Ofen tragen vollständig deirtschen Charakter, die Bildung und Sprache des Bürgerstandes sind vorherrschend deutsch, wenn auch nicht verkannt werden kann, daß infolge der in den letzten Jahren vollzogenen politischen Umgestaltung des Staates die magyarische Sprache in den höheren Ständen, besonders unter den Beamten, an Ausbreitung gewonnen hat. Pest verliert unter diesen Einflüssen mehr und mehr von seinen deutschen Elementen. Als vierte Gruppe stehen den nebengenannten, säst sämmt- lich im magyarischen Sprachgebiete gelegenen Kolonien die von slavischer Bevölkerung umgebenen deutschen Ansiedlungen in den Karpaten gegenüber. Von diesen sind die Sprachinseln von Tyrnau im Waagthale und von Bösing in den Ausläufern der Kleinen Karpaten am weitesten nach der Donau zu vorgeschoben; westlich von der Tatra liegen deutsche Enklaven nm die Städte Proben, Hochwiesen nnd Kremnitz; östlich die Sprachinseln der Zips und Schmölnitz und die Städte Eperies und Kaschau niit ihrer Umgegend. Unter den Rntheucn wohnen die Deutschen von Mnnkacz nnd zwischen Magyaren und Rumänen die Deutschen in der Nähe der Stadt Nagy Karoly im Komitat Szathmar. Im Norden hat das Zipser Komitat die stärkste deutsche Bevölkerung: von seinen 186,nno Bewohnern ist gerade der dritte Theil deutsch. Hierbei muß aber in Betracht gezogen werde», daß in den Städten das deutsche Element entschiedenes Uebcrgewicht hat. Von den 33,223 Bewohnern der 16 Zipser Städte sprechen nicht weniger als 27,373 deutsch als Muttersprache. Dieselbe Erscheinung tritt uns auch bei den übrigen deutschen Kolonien Ungarns entgegen: das Land zeigt bei weitem mehr fremde Elemente als die Städte, welche fast durchaus deutsch sind. Selbstverständlich ist es, daß auch über die übrigen Theile Deutsche sporadisch verstreut sind; als Handwerker und Kaufleute finden wir sie fast in allen Städten der ungarischen Monarchie. Für den Sprachforscher ist eine Wanderung durch diese deutsche Kolonie» von außerordentlichem Interesse, nicht bloß deshalb, weil er oft auf wenigen Quadratmeilen Vertreter der verschiedenen Stämme unserer Nation vorfinden wird, sondern auch, weil viele dieser Ansiedelungen, besonders diejenigen, welche fern von großen Verkehrsstraßen in abgeschiedenen Ge- birgsthäler» liegen, in ihrer Sprache Worte, Redensarten, Flexionen aus der Zeit ihrer Gründung »och erhalten haben. Der Dialekt ist gleichsam erstarrt; unbeeinflußt vom Mutter- laude hat er seine Flüssigkeit verloren und die Kraft der Ent wickelung ist geschwunden. Eine Veränderung hat aber diese Kolonistensprache erfahren und zwar nicht zn ihrem Vortheile: 33