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. 47. Wöchentlich eine Nummer. -»< Leipzig, 24. August 1870. > - Vierteljährlich 18 Sgr. I. ^ahlgstttg. Familienhlatt für Kndtr- und Mkerkimde. Zu beziehen durch Redigirt von Der Jahrgang alle Buchhandlungen des In-».Auslandes Dr. Otto Delitsch, (52 Nummern oder 12 Monatshesie) sowie Poftäniter. Privat-Doccnt und Nealschnl-Obcrlehrc'r. laust von Oktober zu Oktober. Oie alte Slawcugreim in Uorddeutlchland. . Skizze von Rudolph Mükdcner. ötach den Stürmen der Völkerwanderung, zu welcher die für unsere historische Kenntniß später spurlos verschwundcueu Huuncu deu erste» Austoß gegeben hatten, besetzten im fünften und sechsten Jahrhundert slawisch-lettische Völker das von den Gothen, Bnrgnnden, Herulern, Rugiern, Gepidcn, Markomannen nnd Quaden verlassene Laud östlich der Elbe, Saale und Naab und, im Süden der Donau, die östlichen Ausläufer der Alpen. Der Ursprung der Slawen ist eben so dnukel, als der eines jeden anderen Volkes. Waren sie Nachkommen der alten Skythen und Sarmaten? Waren die alten Venetcn slawischen Stammes, oder die Jazygen, welche wir schon znr Zeit des Markomanncu- kriegcs im Kampfe gegen Rom erblicken? Wir wissen cö nicht; Hypothesen sind eben keine Beweise. Alles, was wir wissen, ist, daß die Slawen der kaukasischen Rasse und zwar dem indo-euro päischen Völkerstamme derselben angehören und daß der Name Slawen nicht ein einzelnes Volk bezeichnet, sondern der Kollcktiv- name einer Anzahl sprach- nnd stammverwandter Völker ist, die als Obotriten in Mecklenburg, als Wilzeu, Kassuben und Pomme raner in Pommern, als Rngianer in Rügen, als Uckern in der Uckermark, als Heveller, Luitizier, Welataben, Briezaner, Dala minzier, Milziener nnd Lusitzer an Elbe, Havel, Saale nnd Mulde, iu Brandenburg, Meißen nnd in der Lausitz, als Czcchcu in Böhme», als Moraven in Mähren, als Leche» i»Pole», als Winde» in Kram, als Karantaner in Kärnthen rc. anflreten. Die Namen Wenden und Sorben werden von deutschen Chronisten oft als mit Slawen synonym gebraucht; im engeren Sinne versteht man unter Sorben die Lusitzer, Milziener, Dala- minzicr, also die Slawen im heutigen Königreich Sachsen und in den Landschaften zwischen Saale und Elbe, unter Wenden vor zugsweise ihre Stammverwandte» i» der heutige» preußischen Provinz Brandenburg. Tie westlich und nördlich der Oder und des Bober wohnenden - Slawen werden auch unter dem Kollektivnamen der Polaben zusammcngefaßt. Eben so wenig wie über den Ursprung der Slawen haben wir sichere Knude über die Art und Weise ihrer Einwanderung in das von ihnen besetzte früher deutsche Laud; einige dürftige Jahreszahlen sind so ziemlich alles, womit der Historiker in dieser Beziehung sich begnügen muß. Sogar die Hauptfrage: Wanderten die Slawenstämme in ein von ihren früheren deutschen Bewohnern gänzlich verlassenes, also menschenleeres Land, oder trafen sie in demselben noch Ueber- reste der früheren deutschen Bevölkerung? ist unentschieden und wird es wohl ewig bleiben. — War dies letztere der Fall, wie stark waren die Ueberreste der gothischen, burgundischen, marko- manuischen Bevölkerung und was machten die cinwanderndcn Slawen mit denselben? Rotteten sie diese Reste aus, drängten sic dieselben über die Grenze zu ihren westlichen Stammverwandte», oder gestatteten sie ihnen, wenn auch im Abhängigkeitsverhältnisse, unter ihnen zu wohnen? Und vermochten, vorausgesetzt daß dies letztere geschah, die Besiegten ihre Nationalität zu erhalten und unterstützten sie, im letzteren Falle, die spätere Wiedergermani- sirnng des Landes, oder vermischten sic sich, sich ihrer Nationalität entäußernd, mit den slawischen Einwanderern und gingen, in folge dessen, in ihnen ans, oder vielmehr unter? Alles das sind Fragen, auf welche die Geschichte keine oder doch nur ungenü gende Antwort ertheilt. Eo weit unsere sichere historische Kenntniß reicht, erblicken wir die Slawen fast immer in feindlicher Berührung mit ihren deutschen Nachbarn, bald mit den Sachsen, bald mit den Thürin gern, bald mit den Bayern, später auch mit den Frauken. Es war ein Glück für die Deutschen, daß die Slawen, in Stämme nnd kleinere Völker aufgelöst, cs eben so wenig zu einer Machteinheit brachten, als die Deutschen selbst. Alle im sechsten, siebenten, achten und neunten Jahrhunderte in unmittelbarer Nachbarschaft der Deutschen sich bildenden größeren slawischen Staatenkomplexc hatten nur eine kurze Dauer und verfielen bald wieder durch Auflösung in ihre ursprünglichen Bestandtheile. Schon zur Zeit des alten thüringischen Königsgeschlcchtes, welches nm das Jahr 450 mit Basinus beginnt nnd 531 mit Hermaufried endigt, waren die Sorben mit den Thüringern häufig in feindliche Berührung gerathcn; nach der Theilung jenes Reiches