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Wöchentlich eine Nummer. —-1 Leipzig, 27. Oktober 186!). Vierteljährlich 18 Sgr. I. ZllstrglUlfl. Faiuilienblatt für Milder- und Sölktrllimdt. Zn beziehen durch alle Buchhandlungen des In- ». Auslandes sowie Postämter. Redigirt von vr. ,^!tto Delitsch, Privat-Doecnt und Nealschnl-Oberlchrer. Der Jahrgang (52 Nummern oder 12 Monatshefte) läuft von Oktober zu Oktober. Die Volksstämme Arabiens und das Sultanat OmLn. Von Dr. Sophus Auge. Es gibt kaum ein Land in Asien, über welches in unsern geographischen Lehrbüchern und Leitfäden mehr Unklarheit herrschte, als über Arabien. Das klassische Werk von Gifford Palgrave ist noch wenig benutzt, die Resultate seiner For schungen sind selbst in den größern Handbüchern noch nicht ver- werthet. Ich glaube darum den Lesern einen Dienst zu er weisen, wenn ich aus dem genannten Werke die wichtigsten Momente hier kurz zusammenstelle. Arabien bildet ein Hochland, dessen innerer Kern aus einem Complexe fruchtbarer Oasen, dem Nedsched, besteht. Hier liegt der mächtigste Staat der ganzen Halbinsel, der Wahha- biteustaat. Derselbe ist von einem Wüstenringe umgeben und dieser wieder durch niedrige Berge eingefaßt, die an der SO.- und SW.-Küste, in Oman und Jemen, zu fruchtbaren Terrassen abfallen. Die größte Sandwüste liegt südlich von Nedsched; aber das culturfähige Land nimmt zwei Drittel der ganzen Bodenfläche ein. Quer durch die Halbinsel von O. nach W. zieht sich der Djebel Toweik (d. h. kleines Halsband), eigentlich ein Plateau von 600—1000 m. Höhe, ein Labyrinth von Thä- lern, Schluchten und Gründen. In einem nach NW. geöffneten Bogen streicht es halbmondförmig durch Nedsched. Es bildet, so zu sagen, den Kaukasus von Arabien und ist die Scheide der ganzen Halbinsel (oder wenigstens des größten Theils derselben), in politischer und nationaler Hinsicht. Auf dieses Gebirge paßt im engern Sinne allein der Name Nedsched, wiewohl diese Be zeichnung sehr oft von Arabern selbst dem ganzen Binnenlande beigelegt wird. Zieht man eine Linie quer durch von der Nordspitze des Rothen Meeres nach der Spitze des Persischen Meerbusens, so ist nur das, was südlich liegt, arabisch; und auch davon muß man noch die halbtürkische Pilgerstraße, das kosmopoli tische Medinah, die indisch-abessinische Seeküste von Jemen abziehen, vor allem aber Mekka, den Kloak der moham medanischen *) Welt aller Nationen und Länder, wo jede Spur *) Die Schreibweise des Namens Mohammed schwankt im Deutschen sehr, Mahomet und Muhamed sind gleich falsch; jedenfalls verlangt der Name in der Mitte ein doppeltes m, also Mohammed oder Muhammed. arabischer Identität längst durch ein Gemenge von Immora lität und Verderbtheit aller Völker und Zeiten verwischt sind. Auch Maskat und Katif, nebst Mocha und Aden stehen auf der Liste der Ausnahmen. Das innere Land hat also vor allem die nationale Eigenthümlichkeit bewahrt. Der Djebel Toweik bildet die Völkerscheide zwischen den nördlichen reinen Semiten und der südlichen kachtanitischen *) Rasse, die ein Mittelglied zwischen den arabischen und abessi nischen Stämmen bildet, also den Uebcrgang von den Semiten zu den Äthiopiern darstellt. Man findet Beduinen, deren Haut farbe fast schwarz ist. Aber auch die Semiten zeigen verschie dene Charaktere. Die Differenz der Rassen in Hedschas und Nedsched kann nicht größer gedacht werden als sie ist. Der Be wohner von Nedsched ist geduldig, kalt, bedächtig im Handeln und hängt mit außerordentlicher Zähigkeit an den von seinen Vätern ererbten Gebräuchen. Von einer im Orient seltenen Vaterlandsliebe beseelt, ist ihm jede Fremdherrschaft verhaßt. Dabei ist er in seiner Lebensweise nüchtern bis zur Strenge. Er sympathisirtdaher wenig mit dem flüchtigen und leichtsinnigen Hedschaser, der kräftig anfängt, aber bald ermüdet, Putz und Pracht liebt, gern die Sitten und Laster seiner Nachbarn an nimmt und ebenso prahlerisch als geschwätzig und unüberlegt ist. Die beiden Stämme verhalten sich zu einander, wie die Deutschen zn den Franzosen. Dreiviertel aller Bewohner Arabiens bestehen aus Städtern und Bauern, die über das ganze Land verbreitet sind, enthu siastische Anhänger ihrer lokalen Oberhäupter und Herren, denen die arabische Freiheit über alles geht; — kurz, Patrioten, die aber den beduinischcn Räubern ebenso feindlich gesinnt sind, wie der wahhabitischen Gewaltherrschaft. Sie halten an einem nationalen Ruhm und alten patriotischen Erinnerungen fest und sind Freunde der Ordnung und des Handels. Dagegen bilden die Beduinen und Wahhabiten zusammen ein Viertel der Ein- *) Die Kachtaniden oder Joktanidcn, d. h. die Südaraber, leiten ihren Stammbaum auf Joktan, den Nachkommen Sem's, zurück (vergl. 1. Buch Atos. 10. 26, 29), während die nördlicheren Araber sich als Söhne JSmael's Jsmacliter nennen. 4