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ll0. 34. Wöchentlich eine Nummer. 2eip'M, 25. Äklli 1870. Vierteljährlich 18 Sgr. l. IllhryaNY. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- u. Auslandes sowie Postämter. Redigirt von vr. ^)tto Delitsch, Privat Docent und Realschul Oberlehrer. Der Jahrgang (52 Nummern oder 12 Monatshefte) länft von Oktober zu Oktober. Acht Monate in Zitka. (Schluß.) Die übrigen Gebäude und Wohnungen des Städtchens Älka waren zwar ebenfalls aus Baumstämmen erbaut, aber kleiner und ohne Anstrich und lagen unregelmäßig zerstreut längs dekeinzigen Straße oder Durchfahrt. Zwischen diese hinein hatte wan, seit die bevorstehende Abtretung bekannt geworden war, eine Anzahl roher Baracken für jüdischen Handel, Speiscsalons und andere Gebäude zu ähnlichen Zwecken errichtet, wodnrch die ursprüngliche Unregelmäßigkeit noch vermehrt wurde. Mit len in der Stadt oder in der erweiterten Straße steht die rus- fifch-griechische Kathedrale St. Michael, ebenfalls aus Baum- flämmen erbaut, weiß angestrichen, mit glänzendgrüner Be dachung ; Kirche und Thurm überragt vom dreifache» Kreuze. Der Thurm trägt ein Glockengeläute; au der nördlichen Haupt- Wand der Kirche hängt ein großes, vom Wetter beschädigtes Bild des heiligen Michael mit dem Drachen. Au deu Palli- faden liegt eine Kapelle für die Indianer und ein lutherischer Betsal dient zugleich zu allgemeinen Versammlungen. Eine viereckige Einfriedigung umschließt Weiden und Tannen und >u der Mitte aus einem hohen Felsen eine Art von Pagode — das ist der Prinzessinnen-Gartcn. Noch ein paar Gebände seit wärts der Straße und einige alte auf den Strand gezogene Schiffskörper vervollständigen das Bild der Ansiedelung. Auf dem Gouverneursgebäude befindet sich ein Leuchtfeuer, zahl reiche Werkstätten liegen zwischen den Wohnungen zerstreut und ein starker Landungsdamm mit Steintreppen schützt die Stadt vor der Flut, die oft mehr als 5 m. hoch steigt. Russisch-Amerika, von dem Mutterlande so entlegen, war fast wie ein besonderes Reich regiert worden. Sein eigentlicher Beherrscher war die Pelzkompagnie, die in Sitka residirte. Ihr galt als Vcrrath, was nicht mit ihren Interessen zusammen- Rmmte. Jede Einwanderung, jede Unternehmung, die andere ! Zwecke verfolgte als die ihrigen, wurde gehindert. Der kaiser- ! Uche Gouverneur war in ihrem Solde, seine Verwaltung von der Billigung der Kompagnie abhängig. Wnt und Stellung, »ur nicht das Leben war in ihrer Gewalt. Gleichwohl hingen die Bewohner wie es schien an dem alten Regiment und waren von dem Regierungswechsel wenig erbant. Gouverneur Prinz Maksoutoff besaß das Vertrauen und die Liebe aller Klassen. Unter den Beamten und unter dem geistlichen Personal gab es Leute vou Stand nnd von Bildung. Ziemlich viele von ihnen sprachen Englisch, fast alle Französisch oder Deutsch; eine gut gewählte Bibliothek war für alle zugänglich. Ihre häusliche Einrichtung zeigte gesellige Eleganz, Komfort nnd Luxns im Ueberflnß. Einige Eigentümlichkeiten derselben theile ich mit, überzeugt, daß sie diese Indiskretion nicht als einen Verrath an der von ihnen mit aller Herzlichkeit ausgeübten Gastfreund schaft betrachten werden. Die Wohnzimmer sind durch eiu oder mehrere Vorzimmer vor der Berührung mit der gefürchteten äußeren Luft geschützt; jeder der Wohnräume wird durch einen oder mehrere große chlinderförmige Oefeu ans Backsteinen ge heizt. Matten, dicke Teppiche oder Pelzdecken sind über deu Fußboden gebreitet, ohne ihn jedoch gänzlich zn bedecken; das Mobiliar ist reich, wenn auch ein wenig schwerfällig; ein Piano fehlt nie; zahlreiche Spiegel und Gemälde zieren die Wände. Oben in irgend einer der Ecken jedes Zimmers hängt ein kleines Bild des Erlösers oder der Jungfrau Maria oder irgend ein Heiligenkopf, in Filigran von Gold oder Silber eingerahmt; in keiner russischen Wohnung fehlt dieses Zeugniß ihres Glau bens. In dem Hause des Gouverneurs ist die obere Etage als Theater eingerichtet. Hier kommen sie häufig zusammen und vertreiben durch Schauspiel, Musik, Tanz, Karten und Billard die Eintönigkeit der hyperboräischen Nächte. Die bei solchen Gelegenheiten gebotene Manigfaltigkeit und Menge substan tieller Erfrischungen, die ausgewählten Weine und Liqueure vermögen wohl einen nüchteren Amerikaner in Erstaunen zu versetzen. Thee von köstlichem Gerüche scheint fortwährend be reitet zn werden; derselbe wird in Gläsern, die auf Unterschalen stehen, dem Wirth und den Gästen wiederholt dargeboten. Die ihm folgenden ostindischen Cigarren werden von beiden Ge schlechtern mit gleichem G^nnsse geraucht. — Eine weite Kluft trennt diese Gesellschaft von der Klasse der niederen Bediensteten. Diese Employcks bestanden aus Russen, Kreolen und einer großen Zahl Mischlingen der verschiedensten Art. Ihr Gehalt war schwach, ihre Ansprüche gering. Man verwilligte ihnen freie, 84