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Ncdigirt von vr. ^tto Delitsch, Privat Doccnt und Nealschul'Oberlehrc'r. Nach unseren heutigen Begriffen ist eine solche Völker- kmnderung und die mit ihr nothwendig verbundene, wenn auch nur Periodische Besitzergreifung von Wald, Feld und Wiese un denkbar. In unseren Zeiten, wo in den kultivirten Gegenden Guropa's jedes Stückchen Land seinen Herrn hat, wo jeder traben, jedes Wassertümpelchen verbrieft nnd vermessen ist, wo die Grenzpfahle und Grcnzjäger eine so bedeutende Rolle spielen, würde ein solches nomadisirendes Vordringen fremder Völker unmöglich sein. In jenen Zeiten aber, wo der Menschen jwch sehr wenige, wo oft Tansende von Morgen, wo noch grö- me Wald- und Wiesenflächen, wie noch heute iu der Türkei u»d in den ungarischen und russischen Steppen, fast herrenlos ^aren, vollzogen sich derartige Einwanderungen fast ohne Stö ßig. Hierzu kam noch, daß die Zigeuner, die als „christliche Pilger" schon hoch geachtet waren, beliebte Künste und Kuren ^us dem wunder- und sagenreichen Orient mitbrachten, wo- wirch sie sich mit schlauer Verschmitztheit dem Adel uud dem Volke, Dinger der mißtrauischen Geistlichkeit, empfahlen. Die Zi- 8euiier, gegen ihre Wohlthäter meist tren gesinnt, verstanden Pserde nnd Hunde zu drcssiren und von etwaigen Krankheiten ^ heilen. Durch diese im Mittelalter besonders hochgeschätzten Künste wurden sie bei dem Adel nnd dem Landmann sehr be- ^sbt. Denselben Männern aber, denen sie mit der einen Hand ^"ten, stähle,, sie ,„jt der andern ein Pferd nnd wußten dieses »rchSchere, Feile und Farbe, durch die Furcht vor der Peitsche ° Zu verändern und einzuschüchtern, daß der eigene Herr es "euige Tage später nicht wieder erkennen konnte. In nachfol- öknden Zeiten verfertigten sic Schmiede-, Schlosser- und Holz- ^ite„ mit vielem Geschick. Sie erschlossen in Minuten mit Nagel, mit einer Weidenruthe ciu Schloß, au dessen Öffnung sich nnsere Meister mit Dietrichen stundenlang Mlen. Ihre Arbeiten als Kesselflicker, die sie nur iu wohl ^hüllten Zelten und ohne Zeugen vollenden, werden sehr ge ahmt. Die Herzen des Volkes gewannen sich die Zigeuner urch ihr sinniges und sanftes, durch ihr hinreißendes nnd tolles ^usiziren. In Ungarn spielen sie noch heute Nationales in Der Jahrgang (52 Nummern oder 12 Monatshefte) läuft von Oktober zu Oktober. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen de» In- u. Auslandes sowie Postämter. Zigeunerleben. Von C. Wüller in Fürstenwalde. (Schluß.) hohen und niedern Kreisen in den mildesten Weisen mit wildem Feuer unübertrefflich zum Tanze auf. Als Tänzer, Gaukler und Kunstreiter erfreuen sie die Menge. Durch den Verkauf von Geheimmitteln gegen Seuche, Mißwachs und Feuersgefahr, durch Wahrsagen aus der flachen Hand nnd durch Traumdeuten wußten sie sich überall, trotz der Gegenwirknng der Geistlich keit, in deren Klöstern sie es zeitweise so arg trieben, daß schließ lich jedem Zigeuner der Eintritt untersagt war, und trotz der Unzuverlässigkeit ihres Charakters, in Respekt zu setzen. Im Banat und in Siebenbürgen haben sie sich ausnahmsweise und vorübergehend vom Goldwäschen redlich genährt und deshalb den Namen Aurari, „Goldwäscher" geführt. In neuerer Zeit aber haben sie sich in jenen wilden Gegenden sogar als Gast- wirthe, Scherenschleiser, Pferdehändler nnd Abdecker das täg liche Brot erworben. Nur in Geschäften, die ein ewiges Kom men und Gehen, ein stetes Wirren und Wogen, eine fortwäh rende Abwechselung und Erneuerung der Personen bieten, ge fallen sich die beweglichen Zigeuner wohl. Natürlich zersplitterten sich bald nach der Einwanderung die großen Zigeunerhorden in viele kleine Häuflein. Unter einem von den Seinen frei erwählten Häuptling, der mit un umschränkter Gewalt über Beute, Leben und Tod gebietet, zogen sie in Trupps von 30 bis 300 Häuptern durch Feld und Wald, dnrch Stadt und Land, überall bettelnd und wahrsagend, kurirend und raubend, nirgend lange verweilend. Neben dem Hauptmann steht die Zi-Mut, die Aeltermutter, die Großahne, bei der Horde in hohen Ehren. Ohne ihren Rath, ohne ihre Erlaubniß darf Wichtiges nicht unternommen werden. Gewöhnlich ist die Zi-Mut der Weissagung, mit welcher Gabe übrigens nicht alle Zigeuner begnadigt sind, die sie aber in geldgieriger Absicht alle ausüben, besonders kundig. DieZi-Mnt ist von der Wahrheit und dem Erfolge ihrer Prophe zeiungen unbedingt überzeugt. Hauptmann und Aeltermutter überwachen das Vermögen und die Sittlichkeit der Bande, die letztere vornehmlich nach außen hin. Die Ehe ist Monogamie und wird bei der Eifersucht der Männer und bei dem entschie- Awstrirtes 4mmlmll>1ntt für Milder- und MüelAnndt Vierteljährlich 18 Sgr. I. Uli. 31. Wöchentlich eine Nummer, , 4. Mlll 1870