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2?. Wöchentlich eine Nummer. ^4 Leipzig, 6. ÄPkll 1870. d— Vierteljährlich 18 Sgr. I. Familitublatt für Lünder- und Wlkerlumdc Der Jahrgang (52 Nummern oder 12 Monatshefte) läuft von Oktober zu Oktober. Zu beziehen durch »^Buchhandlungen des In- u. Auslandes sowie Postämter. Redigirt von vr. Otto Delitsch, Privat-Docent und Realschul-Oberlehrer. Zustände eines neutralen Ländchens. Von Ariedrich Zuncke. I. Geschichte. Anderthalb Stunden von der ehemaligen Kaiserstadt Aachen, an der Straße nach Lüttich, liegt das soge nannte neutrale Gebiet von Moresnet, ein Theil der vormals französischen Gemeinde Moresnet. Bei der im Jahre 1815 beabsichtigten Grenzregulirung konnten die Kommissare Preußens und der Niederlande hier eine definitive Grenzregn- brung nicht erreichen und begnügten sich mit der Bestimmung, daß der gedachte Landstrich provisorisch gemeinschaftlich ver- kaltet werden sollte. In dem FriedensveLtrage vom 19. Juni 1815 setzte man fest, daß eine den ehemaligen Kanton Aubel durchschneidende, von Süden nach Norden gehende gerade Linie die Grenze zwischen Preußen und den Niederlanden sein solle; "un durchschnitt diese Linie den ehemaligen Kanton Aubel iu der Weise, daß eiu nach Ansicht des niederländischen Gouver- uements zu großer Theil der preußischen Seite zufiel. — Das neutrale Gebiet, in einer Flächengröße von circa 1400 Morgen, zählte in dem Jahre 1815 etwa 200 Einwohner in ungefähr 40 Häusern, nnd man müßte bei der Geringfügigkeit des Ter ritoriums sich wundern, daß zwischen den beiden Gouverne- ">ents eine Einigung nicht erzielt werden konnte, wenn nicht auf demselben ein bedeutendes Galmeibergwerk, „der Alten derg" (vwllo montagno) läge, dessen Besitz von beiden Staaten, ads sehr erheblich für die Fabrikindustrie, in Anspruch ge- uvmmen wurde. Dieses Bergwerk soll im Jahre 1400 vom Kaiser Sigismund der Stadt Aachen überlassen worden sein; aus den Rechnungsbelegen über die Verwaltung des Werkes geht hervor, daß die Einwohner von Aachen ihr Recht als Be sitzer des Bergwerks gegen den Herzog von Limbnrg verthei- digten, und in einem Verwaltungsnachweise wird eines Galmei bergwerks im Lande Limburg Erwähnung gethan, und bereits "n Jahre 1455 figurirt dasselbe in den Rechnungen nnd Ver- lualtungsbelegen unter dem Namen des „Alten Galmeiberg- werks." Infolge staatlicher Umwälzungen wurde um das Eigen- thum der Galmeigrube schon vor 1800 gestritten; einmal wurde dieselbe als Nationalbcrgwerk angesehen und für Rechnung der besitzenden Nation verwaltet bez. ausgebeutet, und ein anderes Mal wurde sie in Pacht gegeben. So war sie im Jahre 1805 ! durch Vertrag an einen gewissen Dony in Lüttich, gegen einen Zins von 40,500 Francs und besondere Abgaben von dem Reingewinne, ans 50 Jahre verpachtet. Als im Jahre 1810 ein neues Bergwerksgesetz erlassen wurde, glaubte der Pächter durch dasselbe seines Pachtverhältnisses enthoben und rechtmä ßiger Besitzer der von dem Kaiser Napoleon im Jahre 1806 zum Betriebe des Bergwerks ertheilten Konzession zu sein. Er zahlte infolge dessen auch uicht mehr die Pachtsumme, sondern nur die gesetzlichen Bergwerkssteuern. Als später dieser Eigenthümer sallirt hatte, wurde das Werk theils von seinen Gläubigern, theils von einem gewissen Mvsselmann in Lüttich übernommen, betrieben und nach Maßgabe der früher ertheilten Konzession ausgebeutet. Preußischer- und niederländischerseits betrachtete man jedoch die Konzessionäre nicht als Eigenthümer des Alten bergs und verlangte die Nachzahlung der seit dem Jahre 1812 rückständigen Pachtsummen, zu deren Erlangung der Rechtsweg eingeschlagen wurde. In der That wurden durch den Spruch der Gerichtshöfe zu Lüttich die Konzessionäre zur Zahlung ver- urtheilt. Da aber die eingetretenen politischen Wirren jener Tage die Vollstreckung des Richterspruchs nicht zuließen, so kam inmittelst ein Vergleich zwischen der preußischen Regierung und Mvsselmann und Konsorten im Jahre 1831 zu Stande, in welchem stipulirt war, daß letztere als Entschädigung eine Summe von 60,000 Thalern zahlen und bis 1856, wo die früher ertheilte Konzession ablief, die Verpflichtung zur Ent richtung einer jährlichen Bergwerkssteuer von 2000 Thalern übernehmen sollten. Später wurde die Steuer von dem neu tralen Theile des Bergwerks auf jährlich 15,000 Thlr. erhöht, ausschließlich der übrigen Bergwerksabgaben. Inzwischen wurde vou Belgien und Preußen die Rechtsbe ständigkeit der Konzession ohne Beschränkung auf eine bestimmte Zeitdauer anerkannt. — Diese Konzession war 1837 einer ano nymen Gesellschaft (meist Franzosen und Belgier) unter der Firma: „Looistä «les minos st lonckeriss clo Nno äs la. Visite montaAns" ertheilt, welche das Bergwerk noch heute ausbeutet und die Erträge desselben in hohem Maße vergrößert hat. Die manigfachen Uebelstände einer gemeinschaftlichen Ver- 27