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vo. S5. Wöchentlich eine Nummer. Leipzig , 23. Mär; 1870^ BierteljährM) l8 l. Jahrgang. FamilitMatt für Kuder- und Wüerkunde. . .. . , Redigirt von Der Jahrgang Zu c;lc)cn ur ) H,- (52 Nummern oder 12 Monatshestr) alle üuchhandlungen des In-u. Auslände» IFr. -Veilllcy, sowie Postämter Prival-Docent und Nealschnl-Oberlehrer. "" Oktober ,u Oktober. Das Künsche Haff, seine Umgebung und deren Kewohner. Skizze von K. Müller in Königsberg. Das größte Wasserbecken unserer vaterländischen Provinz Preußen ist das Kurischc Haff, welches einen Flächeninhalt ^>n circa 29 ÜIMeilen hat nnd ein rechtwinkliges Dreieck bildet. Teine Länge, in der Richtung von Süden nach Norden, beträgt 0) Meilen, und seine größte Breite (zwischen Agilla und Kranz) kird auf 6 Meilen geschätzt; in seinem nördlichen Theile nimmt die Breite schnell ab, so daß es bei Schwarzort vielleicht noch Meilen, und bei dem Ucbergange in's Tief gar nur noch t22m. breit ist. Die Kurische Nehrung, welche es von der Ost- Üe trennt, sowie Samland und Littaucn, bilden seine Grenzen. Das 5 bis 7 in. tiefe Gatt bei Memel stellt die Verbindung fischen ihm und der See her. Dange, Minge, Rnß (300 m. breit), Atmat (333 m. breit), Pokalna, Warus, Skirwith, ^Ye, Jnse, Tawcll, Gilge, Nemonien, Deine, Kranzer und Duhnaucr Beck münden in das Haff. Fort und fort arbeiten die verschiedenen Naturkräfte au Astier Verflachung. Die auf der Nehrung häufigen Nordwest- dnndc stürzen ganze Sandberge hinein, während Memel (in ihren Piundungsarmen von Ruß bis Gilge) und Deine (vom Pregel her) Moor- und Lehmmassen in großer Menge hincinführen. Die Tiefe des Haffs ist sehr verschieden; an den meisten Stellen Elvin man weit hineingehcn, ohne mehr denn knietiefes Wasser ^finden. Im ganzen nimmt die Tiefe nach Norden zu; so beträgt sie bei Memel 6 m., in dem südlichen Theile dagegen E'/s bis 2, höchstens 2^ bis 4 m. Die Lage des Haffs, sowie °ie vielen natürlichen Hindernisse machen die Schiffahrt gcfähr- "ch und deshalb minder lebhaft als auf dem Frischen Haff. Die glücklich in's Meer der Vergessenheit gesunkene Verbindung wischen Königsberg und Memel durch die sogeuanuteu Schaa- Mer Bierboote ist seit circa 15 Jahre« durch die Dampfschiff- f^hrt zwischen Kranz und Memel ersetzt. Königsberg ist da durch Memel näher gerückt, denn die einige zwanzig Meilen Essende Entfernung zwischen diesen beiden Städten legt man letzt bequem in 8 bis 9 Stunden zurück. Es wurde nämlich Veranstaltung der königl. Regierung das kleine bei Kranz Haff fallende Flüßchen Beek von den darin lagernden Lumpen, Wasserpflanzen nnd Untiefen befreit und die Breite, wo es nöthig war, erweitert. Hart an der Chauffeebrücke bei Kranz ist ein kleiner Hafen hergestellt, der groß genug ist, um einige Fahrzeuge aufnehmen zu können. Um die Mittagszeit entwickelt sich hier ans Stunden ein reges Leben und Treiben. Die eleganten Wagen des Dampfschiffeigners bringen die Passa giere und die Ladung nach dem Ladeplatze. Die um ihre Reise effekten besorgten Reisenden belästigen durch wiederholtes Fragen die robusten Arbeiter, welche emsig dem Schiffe die Ladung zu führen. Badegäste aus Kranz finden sich dann meistens zahl reich ein. Hier eine Szene des Wiedersehens lange getrennter Freunde, dort ein Bild des Scheidens — oft für lange! Der Ton der Schiffsglocke mahnt zur Eile; die Ladebrücke wird eingezogen, der Kapitän des Schiffs kommandirt: Vorwärts! Stöhnend arbeitet die Maschine, vorerst langsam, dann schnell und schneller. Hüte und Tücher werden zum Abschiede ge schwenkt, das schmucke Schiff folgt den Windungen des schmalen Wasserfadens, der sich durch üppige Wiesen schlängelt; noch eine Biegung — und vor uns liegt die glatte Fläche des Ku- rischen Haffs, auf dem so mancher bei stürmischem Wetter der Seekrankheit anheimfällt. Schwänen gleich, vom leisen Wind hauch getrieben, schaukeln sich zu Hunderten die Fischerkähne auf dem gekräuselten Wasserspiegel, ein köstliches Bild für einen l Landbewohner. Der Wald zwischen Kranz und Sarkau säumt den westlichen Rand des Haffs, aber auch er entschwindet bald unsern Blicken; der Anblick der weißen Berge überrascht uns, ist's uns doch, als erblickten wir mitten im Sommer ihre Kup pen mit Schnee bedeckt. Dort auf jener Erhebung steht ernst und düster eine alte Fichte, allein in der Wüste — „warte nur, warte nur, balde schläfst auch du!" Das rasengleiche Rossitten, zum Theil mit rothen Dächern, taucht aus dem einförmigen Gelb des Nehrnngssandes ans, und das Helle Grün der Bäume erfreut unser umherspähendes Auge. Vielleicht tausend Schritte seitwärts von dem schnell dahin schießenden Schifflein taucht eine grüne Fläche, wie eine schwimmende Insel aus der Wasserfläche auf. Binsen, Rohr und andere alte Bekannte des heimischen Mühlteichs finden wir wieder. In der Nähe hält ein Boot, dessen Führer sich in 25