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aufhörlich nagenden Flutwasser. Zwischen den Gräben bilden die Felder in ihrem Ouerdurchschnitt nicht wagerechte Linien, sondern nach oben gewölbte Kreissegmente; von der Mitte senkt sich das Land nach beiden Graben um etwa 2—3 Fuß, um den Abfluß des Wassers zu erleichtern. Schmale, niedrige Wege führen durch diese Fruchtgelände von Hof zu Hof, von Ort zu Ort. Da sie nur um wenige Zoll, selten uni einen Fuß die be gleitenden Wasserspiegel überragen, so ist der weiche, unge- pflasterte Boden von Pferdehufcn zerstampft und bildet nament lich in den feuchtern, kühlern Jahreszeiten eine unsichere Schlammmasse, die beiderseits in die Gräben übergeht und auf denen der Fuß des Wanderers sich nur mühsam fortarbeitet. Nur in ganz trockenen Sommern geben sie eine angenehme Fahr bahn. Nach tüchtigem Winterfroste bedient man sich zum Fort kommen vielfach der Schlittschuhe. Nur eine einzige Chaussee ist in dem letzten Decennium mit einem Aufwande von 450,000 Thlrn. durch das Land Kehdingen gebaut, von Stade bis Freiburg und weiter üb-r Neuhaus und Otterndorf nach er zu unterhalten verpflichtet ist. Eine Wanderung den Deich entlang ist dann mit Hindernissen verknüpft (man könnte es ein Steeplechase-Spazierengehen nennen), aber sie bleibt trotzdem interessant und lehrreich, da die Deiche, als die einzigen Er höhungen in der weiten Fläche, eine freiere Aussicht über das Vorland des Außendeiches nach der Elbe hin und über die be siedelte Marsch bis an die sandigen Höhen der Geest gestatten. Die breiten Kanäle, Abzugsgräben und kleinen Wasserläufe außerhalb des Deiches stehen in unmittelbarer Verbindung mit dem Strom und theilen mit ihm die wechselnden Gezeiten der Ebbe und Flut. So können mit Begünstigung des Hochwassers selbst Seeschiffe auf diesen scheinbar unbedeutenden Gewässern bis an den Deich heranfahren und Frachten cinnehmcn oder ausladen. Kleine Häfen für Flußschiffe und Schiffswerfte setzen sich hier naturgemäß au die Außenseite des Deiches an, nnd der gewundene Lauf der kleinen Gefließe führt mit dem ebbenden Wasser die Fahrzeuge durch die niedrigen Wiesen lang sam dem großen Strome zu. Bei der Schwierigkeit des Land transportes waren und sind die Bewohner von jeher mehr auf die Wasserwege angewiesen. Zu Wasser führen sic die Boden- MWcichafcu bei Lrochlerscn. Nach einer Originalzeichmmg von I)r. S. Ruge. Cuxhaven. In manchen Theilen des Landes dient der höher gelegene Deich als trockene Fahr- und Reitbahn. Doch ist es auch wohl vorgckommeu, daß Roß und Reiter sich vom Deich herab überschlagen, daß auf der eingleisigen Bahn zwei Fuhr werke sich mit größter Mühe einander ausweichen, da sie stets über den abschüssigen Raud hiuausgedrängt werden. Auf der innern Seite des Deiches läuft wohl auch ein mit Saud be strcuter Fußweg hin. Ja es gibt neben den besuchtcrn Fahr wegen auch mit Ziegelsteinen gepflasterte schmale Fußsteige. Sonst geschieht für den Weg herzlich wenig. „Sünd usc Ölen dör den Dreck kamen, kam Ivi ok dör", ist der leidige Trost für solche Mißstände. Au andern Orten sind die Deiche, welche den Strom in bald größerer, bald geringerer Entfernung begleiten und das dahinter liegende Land vor den Hochfluten schützen, durch „Hackelwerke" abgeschlossen und dienen zur Viehweide, nament lich für Schafe, welche das Gras kurz absrcsscn und dadurch eine festere Verfilzung der Graswurzeln herbeiführen. Eine solche dichte Rasendecke leistet den Fluten am besten Widerstand. Jeder Besitzer hält so sein Kleinvieh auf dem Deichantheil, den Produkte, Raps und Weizen, aus, zu Master beziehen sie auch, namentlich von Hamburg, alle ihre Bedürfnisse, die das er giebige Land selbst nicht bietet. Am Deiche endigt aber dieser Wasserverkehr, und darum haben sich die wenigen größeren Ort schaften alle in die Nähe der Deiche gesetzt. Fischer und Schiffer wohnen gleichfalls hier, und so ist die Innenseite der Deiche fast durch das ganze Land mit einer Häuserreihe garnirt. Am Deiche liegen auch die einzigen zahlreichen Fabriken des Landes, die Ziegelhütten, in denen während des Sommers meist hessische Tagelöhner, sogenannte Lipper, Arbeit finden. Sie versorgen nicht blos das umliegende Laud mit dem nöthigen Baumaterial, sondern liefern manche Schiffsladung nach Hamburg. Nach dem schrecklichen Brande, der im Jahre 1842 einen großen Theil jener Wclthaudelsstadt vernichtete, wuchsen in Kehdingen die Ziegelhütten allenthalben aus dem Boden. So entstand in der Nähe von Stade in jenen Jahren eine förmliche Zicgclhütten- stadt, welche nach dem Wiederaufbau Hamburgs spurlos wieder verschwunden ist. Werfen wir zum Schluß noch einen Blick auf die Bauern gehöfte und das Volk. Die mächtigen Wohnhäuser beherbergen