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ilo. 14. Wöchentlich eine Nummer. -< Lcipziff, 5. Januar 1870. >- Vierteljährlich 18 Sgr. I. Jahrgang. chllmiiinMlitt für Länder- und Oölkerltuildc. Zu beziehen durch allc üuchhandtunflrn des In- u. Anslandcv sowie Postämter. Nedigirt von vr. Otto Delitsch, Privat-Docent und Nealschul-Oberlehrer. Der Jahrgang (52 Nummern oder 12 Monatshefte) läuft von Oktober zu Oktober. Ein rheinisches Wiiyerdorf. *) Von vr. ^h. Mrlgcn. Weinstock, du wonniger Heilquell, du gnädige Gabe deS Himmels, Du der Sonne Gebild, Preis sei und Lob dir gebracht! Die lotharingische Jungfrau Mosel (dlosslla, die kleine Maas) entspringt auf der Westseite des Wasgaugebirgcs und strömt in langem Laufe, von Trier an in den wunderlichsten Krümmungen, dem Rheine zu. Wer hat nicht schon von dem Moselwein, dem Sorgen brecher, gehört und gelesen? Wer hat nicht schon den köstlichen Geruch und Geschmack empfunden und genossen, den der Mosel wein guter Jahre darbietet? Keine Rebsorte ersetzt den Rieß- ling, der auf den Thonschieferfelsen des Moselthals sein kost bares Aroma entwickelt! Welche glänzenden Namen, Braune berg und Zellingen, Piesport und Graach! Wo wären sie in weitester Ferne nicht bekannt! Auch noch viele andere Orte würden solche glänzende Namen darbieten — und wahrlich, es ist ihre Schuld nicht! — wenn die guten Weine weniger be kannter Orte im Handel nicht in allgemeine Rubriken und unter bekanntere Namen gestellt würden. Aber nicht allein der Wein ist es, welcher uns im Mosel- thale anspricht, — denn es gibt auch traurige Jahre, in welchen wan dem Säuerling gern aus dem Wege geht — die Reize des Thales sind es, die ewig jung und neu bleiben, die, hundertmal gesehen, unveränderlich ergreifend und belebend auf unser Ge- wüth wirken. Welche landschaftlichen Reize entfalten sich um die beiden Moselstädte Trier und Koblenz! Wie überraschend sind die An sichten von Bernkastel, Trarbach, Cochem und Covern! Wer hat nicht mit Entzücken die vielfach gekrümmte und immer zu unseren Füßen wicderkehrendc Mosel an der Marienburg gesehen! Das Moselth al ist das würdigste Seitenstück zu dem herr- Thale des Vater Rhein, von Bingen bis Bonn. Die Ichroffcn, bald mit Reben, bald mit Gebüschen begrünten Thon- tws hoffe nicht, daß man mich einer absichtlichen Herabsetzung s ansehnlichen, alten Marktfleckens Winningen beschuldigen wird, un ich ich, hier ein Dorf nenne. Abgesehen von anderen Motiven, M.wlch zu dieser Ueberschrift veranlaßten, würde die Bczeichuuug "«wzerfleckcn" doch zu komisch sein. Der Bcrf. ' schieferfelsen, die mächtigen Burgruinen auf deu steilen Höhen, die bald freundlichen bald ernsten und düstern Dörfer und Städtchen an den Ufern des Stromes: alles erinnert an den Rhein. Aber das Moselthal ist enger, die Felsen sind schroffer, alles ist näher zusammengcdrängt und das Ansehen der Ge gend daher weit gemüthlicher und oft überraschender als im Rheinthale. So gemüthlich ist auch der Bewohner. Der Reisende, welcher bei ihm einkehrt, ist sür die Zeit seines Aufenthaltes ein Glied der Familie. Der Bewohner des- Ortes, wenn er am Abend im Wirthshause erscheint, bittet ihn auf den anderen Tag ohne alle weiteren Umstände, die Kellerprobe bei ihm zu nehmen. Wenn er abreist, so besinnt sich der Wirth noch einige Zeit, ob er für die Zeche halb so viel fordern soll als der Wirth am Rheine seinem Gaste ohne Bedenken abnimmt. So ist eine Moselreise mit den manigfaltigsten Genüssen begabt. Wem aber nun noch die Zeit vergönnt ist, in die lieb lichen Seitenthäler einzudringen, die Burgruinen, die schroffen Felsenwände, die üppige Vegetation zu bewundern, im Erleu- schatten am rieselnden Bache dem Gesänge der Nachtigall und der Amsel zu lauschen, der wird gestehen müssen, daß wenige Gegenden Deutschlands so reichen und reinen Naturgenuß bieten. Es sei uns vergönnt, unsern Lesern einen interessanten Punkt dieses lieblichen Thales in einem treuen Bilde vorzuführen. I. Eine Meile oberhalb Koblenz liegt in einer Erwei terung des Moselthales, ringsum von Rebenbergen umkränzt, der Marktflecken Winningen, auf einer Seite dicht an die Mosel gedrängt. Der nächste Weg von Koblenz führt über die Karthause, wo, wie Goethe sagt, der MjckMUduL-Schiuffte.sich_ eröffnet. Der Weg durch das MosÄthaNst etwas länger, führt aber durch die reichen Gemarkungen der freundlichen Dörfer Moselweiß und Güls. Einem schroffen Felsen gegenüber und darnach benannt, liegt, eine kleine Strecke unterhalb Win ningen, das Dorf Ley. Es heißt nämlich am Rhein und an der Mosel jeder hervor springende Fels eine Ley, gleichviel, welcher Gebirgsformation er angehört (so auch Lurelei oder Lorelei: Fels der Lure 14