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Lin Ünmncu in der Wallach«. stoß erregen. Tic Grundlage aller gesellschaftlichen Verhältnisse, die Familie, die Ehe ist hier wenig geachtet. Wenn wir die Fülle der hier unvermittelt neben einander liegenden Gegensätze und alles das betrachten, was täglich durch den Welthandel, den beständigen Fremdenzufluß und durch die Bojaren selbst, die wie Zugvögel alle Sommer den europäischen Kontinent dnrch- schwärmcn, von West und Ost hier zusammcngetragen wird — wenn wir dazu die seit jeher im Laude aufgespeicherteu oben spezifizirten Elemente und das ans so verschiedenen längst über wundenen Standpunkten stehen gebliebene Bewußtsein als mit zählende Faktoren gebrauchen nnd dabei die fieberhafte Hast, die Leichtigkeit und Sonderbarkeit, womit alles betrieben wird, sowie den Mangel allen Lebcnsernstcs in Anschlag bringen: so müssen wir bekennen, daß kaum irgend ein Land so große Hindernisse einer gesunden Entwickelung in sich trägt. Schroff stehen die politischen Parteien sich gegenüber. Die Partei der liberalen Patrioten hält der noch immer allmächtigen Bojaren- wclt den emanzipirten aber noch lange nicht verlebendigten Bauernstand als ein Gegengewicht entgegen, sic hat wohl jetzt das Ruder iu Hüudeu, doch lange nicht anch die Macht, die in diesen Ländern sich spinnenden politischen Fäden nnd die davon getragenen nnd bewegten Kräfte zu meistern nnd zn bewäl tigen. Aber was nützen alle noch so heilsamen Ordonnanzen, wenn schon die Organe, die sic vollführen sollen, fehlen? Aus der selben Ursache sind ja die türkischen Hats bis jetzt wirkungslos geblieben. Wie die Türkei, so wird Rumänien, so lange es ist, wie es eben ist, auch nie taugliche Organe zu Wege bringen, und schon daran muß jedes Unternehmen scheitern. Der Re gierung gegenüber steht die Bojarenwclt. Jeder Bojar ist ein geborener Diplomat; die Interessen dieses Standes liegen nicht sowohl in der Heimat als im Auslande. Rumänien wird des halb gewiß zu keiner Provinz eines fremden Staates werden, ober cs wird sich auch nicht zu eincm cinheitlichcn, in sich fcst verwachsenen Ganzen gestalten, es wird als ein nothwendiges Hebel, wie die Türkei, fortbestehen; — ein Resultat, welches freilich unmöglich befriedigen kann. Möge die Zukunft dem von der Natur reichbegabten, an die Grenze des Morgen- und Abendlandes gestellten Staate eine erfreulichere Entwickelung bringen! — Bei dieser Gelegenheit sei eines Fehlers gedacht, welcher auf den bisherigen Kartendarstellungen der beiden Fürstenthümer sich findet. Diese Länder enthalten weit weniger Tiefebene als man früher annahm. Eine Linie von 120 m. Meereshöhe zieht sich nicht am Fuße der Karpaten hin, sondern begleitet die Donan bis 3 Meilen oberhalb Widdin, erreicht das Alntathal im SO. von Karakal, tritt bei Rustschuk wieder nahe an die Donau und zieht sich dann gegen N. über Buka- rescht, Plojescht, von da gegen NO. über Bnseo nach Fokschan. Nördlich und westlich von dieser Linie haben wir demnach nicht Tiefebene, sondern Hügelländer oder mäßige Plateau's zn suchen, ein Umstand, der ans das Klima nicht wenig einwirkt. An beiden Ufern des Altflnsses bei Slatina erhebt sich das Land bis über 250 m. In Bessarabien tritt die Isohypse von 200 m. bis nahe an den Kilia-Arm der Donau heran. 0.1). Die der vorigen und dieser Nummer beigefügten Bilder ge währen einen charakteristischen Ueberblick über das flache Land, die Verkehrsstraßen und Wohnplätze der Wallachci. Ohne feste Begrenzung, ohne künstlichen Ban, in trockner Jahreszeit voll Staub, nach Thauwetter und Regen ein unergründlicher Mo rast, zieht die Heer- und Landstraße durch die Ebene, und die Telegraphendrähte, als ein Zeichen eindringender moderner Kultur stehen in schroffem Gegensatz zu den niedrigen Hütten, dem ärmlichen Fuhrwerk, dem nachlässig gehaltenen Zaun. Die Ansicht des Dorfes mit einem Kreuze am Wege, wie sie nament lich die Friedhöfe in großer Manigfaltigkeit zeigen , gibt keinen bessern Begriff von architektonischem und landschaftlichem Cha rakter. Auch die Kirchen haben keine andere Form als die Wohnhäuser, höchstens zeichnen sich ihre hohen Dächer durch zwei kleine Kreuze aus. Vor Jntrulemuü haben Arbeiter ihr Lager unter großen Bäumen aufgeschlagen, die ausge stellten Gcräthschaften bezeugen, daß sie den freien Himmel dem Aufenthalte in einem Hause vorziehen oder vorziehen müssen. Der überdachte Vorraum des Hauses zeigt eine wohl- häbige Bewohnerin, die Lagerstatt an freier Luft; die Säulen verrathen einigen Kunstsinn, die Getreidefelder verkündigen den Quell dieses Wohlstandes. Der Brunnen am oder im Walde führt uns in eine von Kultur kaum berührte Landschaft.