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Neber den Norübergang der Nenus vor der Sonnenscheibe im Jahre 1874. Von Prof. Or. tz. Bruijns. 1. Die Entfernung der Erde von derSonne. Kopernikus war der Schöpfer der Erkenntuiß des Sonnen systems, während Kepler der Reformator der Kopernikanischen Lehre wurde; seine drei unsterblichen Regeln, Gesetze genannt, sichern ihm für alle Zeiten den gefeierten Namen am Firmamente der exakten Wissenschaft. Unter diesen Kepler'schen Gesetzen ist eines, nach welchem man, wenn man die Umlaufszeiten der Planeten und die Entfernung eines einzigen von der Sonne kennt, und von den Massen absieht, die Entfernungen aller andern berechnen kann: Es Verhalten sich die Quadrate der Umlaufszeiten wie die Kuben der Entfernungen. Um dies durch einige Beispiele zu erläutern, nehmen wir die Erde als den einen Planeten und Jupiter und Saturn als zwei andere Planeten an. Die Umlaufs zeit unserer Erde um die Sonne ist bekanntlich 1 Jahr, die des Jupiter ist ungefähr 11,g Jahre, die Quadrate der Umlaufszeiten der Erde und des Jupiter verhalten sich daher ivihe wie t zu 142 und dasselbe Verhältniß soll das der Kuben der Entfernungen sein. Die Kubikwurzel aus 142 ist nahe 5,z und der Jupiter ist daher etwa 5,z mal so weit von der Sonne als die Erde. Die Umlaufszeit des Saturn ist fast 29,5 Jahre, das Quadrat davon ist in runder Zahl 870 und die Kubikwurzel aus 870 ist etwas über 9,^„ mithin muß der Saturn etwa lU/Z mal so weit von der Sonne als unsere Erde sein. Bei diesen Rechnungen ist die Entfernung der Erde von der Sonne zur Einheit angenommen, nnd selbstverständlich wirft sich die Frage aus: wie weit ist denn die Sonne von der Erde entfernt, eine Frage, die man auch schon im Alterthum zu beantworten suchte, deren exakte Lösung aber selbst gegenwärtig noch nicht genügend gelungen ist. Wie wichtig aber die genaue Kenntniß dieser Entfernung ist, möge noch durch einige Beispiele erläutert werden. Es hängen zunächst von ihr die wahren Durchmesser der Sonne und der Planeten ab, denn wir können von der Erde aus nur die Winkel bestimmen, unter welchen wir die Sonnenscheibe und die Planeten scheiben sehen, und erst wenn wir die wahre Entfernung kennen, läßt sich der wahre Durchmesser berechnen. Wenn man z. B. einen der Astronomie Unkundigen fragt, wie sich die Größe des Mondes zu der der Sonne verhält, so wird man nach der Beobachtung des Erscheinens sicher als Antwort erhalten, daß beide Himmelskörper gleich groß sind, und in der That wäre dies richtig, wenn sie gleich weil enisernt wären. In Wahrheit aber ist der Durchmesser der Sonne mindestens 400 mal größer als der des Mondes, weil die Sonne 400 mal entfernter ist. Nicht minder als die absolute Größe der Himmelskörper hängt von Entfernung der Erde von der Sonne ferner die Geschwindigkeit des Lichtes ab. Wir wissen aus den genauesten astronomischen Beobachtungen, daß das Licht der Sonne, um in unser Auge zu gelangen, etwa 8^/^ Minuten braucht, und wenn wir die Ent fernung der Sonne von der Erde dazu kennen, so können wir den Weg dazu berechnen, den das Licht in einer Sekunde durchläuft. Wenn man auch in neuester Zeit versucht hat, durch Apparate die Geschwindigkeit des Lichtes auf der Erde selbst zu bestimmen, so gibt diese Methode doch nur annähernde Resultate, und daß die Geschwin digkeit des Lichtes in einer Sekunde nahe an 300,000 Kilometer betrügt, ist ein rein astronomisches Resultat. Diese wenigen Beispiele genügen, um zu zeigen, wie wichtig die genaue Kenntniß der Entfernung der Erde von der Sonne ist. Man nennt den Winkel, unter welchem am Mittelpunkte eines Himmelskörpers der Aequatorialhalbmesser der Erde erscheint, die Aeqnatorialparallaxe oder kurzweg die Parallaxe; ist der Winkel an der Sonne, heißt er die Sonnenparallaxe, ist er an der Venus, die Nenusparallaxe, ist er am Mars, die Marsparallaxc. Im Alterthum war man schon bestrebt, die Sonnenparallaxe zu bestimmen. Aus philosophischen Ableitungen setzte Pythagoras die Sonne 3 mal entfernter als den Mond; Plinius sagt, daß die Zahl auf 12 erhöht wurde, weil die Umlaufszeit der Sonne 12 mal größer als die des Mondes sei. Den exakten mathematischen Weg zur Bestimmung der Entfernung schlugen Aristarch und Hipparch Aus allen Well,heilen. V. Jahrg. ein, sie bestimmten die Sonnenparallaxe aus der zur Zeit des ersten und letzten Viertels gemessenen Winkeldistanz zwischen Sonne und Mond (wofür Aristarch 87« fand) und aus dem Halbmesser des Erdschattens bei Mondfinsternissen (wofür Hipparch 39' ermittelte) zu 3 Bogenminuten, wonach die Entfernung der Sonne nahe 1200 Erdhalbmesser also beiläufig 7 Millionen Kilometer wurde; diese Zahlen waren für Ptolemäus und im Mittelalter maß gebend. Kepler setzte die Parallaxe auf 1 Bogenminute herab, Riccioli auf '(2 Bogenmiuutc, Hevel auf Bogenminuten. Noch zu Halley's Zeiten war man ganz im Unklaren, doch ging Halley von der Hypothese aus, daß die Planeten größer sein müßten als der Mond, und fand, daß für den Merkur nur ein größerer Durchmesser folgte, wenn er die Sonnenparallaxe kleiner als 15 Sekunden annahm, er entschied sich für 12"/z Sekunden, wodurch die Entfernung der Erde von der Sonne auf 16,500 Erd halbmesser oder nahe 105 Millionen Kilometer gesetzt ward. Nach Halley fingen die Astronomen an durch Beobachtungen die Sonnenparallaxe zu ermitteln, und während Richer in Cayenne Entfernungen zwischen Mars und benachbarten Sternen maß, stellten Picard und Römer ganz ähnliche Beobachtungen in Europa an. Die Sonnenparallaxe wurde zu 9,5 Sekunden gefunden und aus einein rechtwinkligen Dreiecke, in welchem die kleine Kathete der Erdhalbmesser, der gegenüberliegende Winkel 9,5 Sekunden ist, findet sich die Hypotenuse 21,712 Erdhalbmesser oder die Ent fernung der Sonne von der Erde 138 Millionen Kilometer. Aus den Beobachtungen, welche vielfach mit Mars angestellt wurden, fanden Cassini, Flamsteed, Lacaille, Bradley Werthe zwischen 9 und 12" für die Sonnenparallaxe, und war man nach diesen Werthen über die Entfernung der Sonne von der Erde nur bis auf etwa den vierten Theil der Größe sicher. 2. Methoden, um die Sonnenparallaxe zu bestimmen. Das Prinzip, welches bei der Bestimmung der Parallaxe benutzt wurde, ist dasselbe, welches man auf der Erde anwendet, wenn man zu einem Gegenstände, dessen Entfernung man kennen will, nicht hinkommen kann: man mißt von zwei andern zugänglichen Punkten, deren Distanz bekannt sein muß, die Winkel zwischen dem Gegenstände und dem einen Punkte nnd hat dadurch in einem Dreieck eine bekannte Seite und zwei Winkel, woraus sich die beiden andern Seiten, welche die Entfernungen des Gegenstandes von den beiden Punkten sind, und auch der dritte Winkel berechnen lassen. Bei Ermittelung der Sonnenparallaxe bilden die beiden Beobachtungspunkte auf der Erde und der Mars das Dreieck, und wenn man absolut genau beobachten könnte, würde auch genau die Entfernung sich finden. Aber unsere Beobachtungen sind wegen der Unvollkommenheit der Instrumente und wegen der Auffassungs fehler der menschlichen Sinne mit Fehlern behaftet, welche man Beobachtungsfehler nennt, und dadurch wird auch die Distanz nicht ganz genau, sondern nur annähernd erhalten. Begreiflich ist leicht, daß, wenn der Gegenstand, dessen Entfernung man bestimmen will, sehr entfernt ist, die Beobachtuugsfehler einen größeren Einfluß ausüben als bei nahen Gegenständen. Die Mondparallaxe ist etwa einen Grad oder 3600 Sekunden groß, und eine Sekunde Fehler, welchen wir noch jetzt leicht mit unsern besten Instrumenten begehen, gibt daher, die Entfernung nur bis auf r/gggg sicher, also bei 365,000 Kilometer etwa bis auf 100 Kilometer. Bei der Sonnenparallaxe entspricht eine Sekunde Fehler einer Unsicherheit in der Entferung von über 15 Millionen Kilometer, eine Größe, die bei diesem Element die Grenzen des Wünschenswerthen bei weitem übersteigt. Man hat sich daher bemüht, an die Stelle der kleinern Sonnenparallaxe einen größern Winkel zu suchen, aus welchem sich die Sonnenparallaxe ableiten ließe, und da die theoretische Astronomie genau die Entfernungen der Planeten zu der Entfernung der Sonne angibt, läßt sich, wenn eine Planetenparallaxe bekannt ist, daraus sofort die Sonnenparall axe berechnen, weil bei den kleinen Werthen der Parallaxen diese unmittelbar den Entfernungen proportional sind. 37