Volltext Seite (XML)
— IW — Aus Cilicien. Von Or. Htto Jekitsch. Wenn der Schiffer von der Insel Cypern aus gegen Nordosten fährt, so sieht er bald über den Unten des Mittelländischen Meeres einen langen, zackigen, blauen Streifen, wie ein leichtes Gewölk, am Horizonte schweben. Kommt er näher, so gestalten sich die Formen bestimmter, niedrige Vorberge tauchen auf und es entwickelt sich vor seinen erstaunten Augen eine der gewaltigsten, großartigsten und zugleich lieblichsten Berglandschaften, welche die Küstenländer der Erde aufzuweisen haben. Von dem bald schmalen, bald breiten Flachlande, welches der Kalykadnus oder Ermenek Su, auch Gök Su, und in noch größerem Maßstabe der Kydnus oder Kara Su, der Sarus oder Saran Su (im Unterlaufe Seihan) und der Pyramus oder Dschihan angespült haben und welches zahlreiche Sümpfe und flache Seen in sich schließt, ist freilich nicht viel mehr zu sehen, als ein schmaler grüner, hin und brochen und in mehrere Theile zerlegt wird, in den Hauptnamen Cilicischer Taurus zusammen. Die einzelnen Kämme führen jetzt die Namen Geik Dagh (3000 m. hoch) an der Grenze gegen Pamphylien, Sumak Kussa Dagh im Norden des unteren Kalykadnus, Dumbelek Dagh landeinwärts von Mersina, Bulghar Dagh im Nordwesten von Tarsus (der Hauptkamm des Gebirges mit dem 3477 in. hohen Metdesis), Allah Dagh, Karmes Dagh und Bakyo Dagh westlich und östlich von Saran Su, im Alterthume auch als Antitaurus bezeichnet, Achyr Dagh und Kanly Dagh am obern Dschihan, auf der Wasserscheide gegen den Euphrat. Parallel mit den letztgenannten Ketten umschließen der Durdur Dagh und der 1843 m. hohe Aima Dagh (ehemals Amanus) gegen Südwesten wie eine Zange aus einander gehend, den Golf von Jskanderun; der Aima Dagh endigt mit dem 1668 m. hohen Die Stadt Hadschi» im Mticischcn Taurus. wieder mit einer Ortschaft besetzter Streifen. Aber um so deutlicher tritt das grüne, fruchtbare Hügelland hinter demselben hervor, in welches die Flüsse tiefe Furchen eingegrabcn haben, und über dem selben bauen sich Gruppen von niederen und höheren Bergzügen und Bergen auf, aus deren dunklen Wäldern häufig pitoreske Felsen bildungen hervortreten, und hinter ihnen ragt, an Felsenmassen und Felsenschluchten reich, hin und wieder mit Schneeflecken bedeckt, die auch der heitere cilicische Himmel nicht zu schmelzen vermag, der Vulgär Dagh mit seinen Felsenmassen und seinen zackigen Gipfeln in die Wolken oder, was in Cilicien häufiger zu sehen ist, in den blauen Himmel hinauf. Dem cilicischen Lande sind von der Natur enge Schranken ge zogen worden. Tief schneidet das Mittelländische Meer in das Land ein, namentlich in dem langgestreckten Golf von Jskanderun (Alexandrette). Im Nordwesten und Norden bildet das Rand gebirge des klcinasiatischen Hochlandes einen Felsenwall, der Cilicien abgrenzt. Wir fassen dieses Randgebirge, welches vom Korsun, Samantia Su, Saran Su, Dschihan und anderen Flüssen durch- AuS allen Welttheilen. V. Iahrq. Dschebel Musa in dem scharfvortretenden Ras el Chansir zwischen Sueidie und Jskanderun und trennt mit seinem scharfen Kamm Cilicien von Syrien. Der Taurus und Antitaurus im Norden, der Amanus im Südosten lassen nur wenige Paßübergänge zu, in denen der gesamte Verkehr sich zusammenfinden muß. Was die Natur vorgeschrieben hat, finden wir in der Geschichte bestätigt. Cilicien ist ein klassischer Boden für die alte und mittlere Ge schichte. Im Jahre 333 vor unserer Zeitrechnung kam Alexander der Große, nachdem er mit seinen Macedoniern das asiatische Hochland überschritten hatte, an die Cilicischen Pässe. Die Be satzung derselben floh bei seiner Ankunft, und ungehindert zog er hindurch und stieg die Berge hinab. Bei Tarsus lockte das klare Wasser des Bergstromes Kydnus den durch Eilmärsche und Mittags hitze ermatteten König zu einem Bade, aber in den kalten Fluten ward Alexander ohnmächtig und mußte von den Kriegsleuten in sein Zelt getragen werden, wo er in ein hitziges Fieber fiel und dem Tode nahe war. Der Arzt Philippus aus Akarnanien rettete den Kranken durch einen Heiltrank, und es ist bekannt, wie der König, 25