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Reker das Reisen in der europäischen Türkei. Von Hdivrn Aockstroh. Noch vor wenigen Jahren gehörte das Reisen in der europäischen Türkei selbst für die dort Ansässigen, wahrlich nicht Verwöhnten, zu dem beschwerlichsten, dem man sich unterziehen konnte. Der schauder hafte Zustand der Wege, die noch dazu durch zahlreiches Gesindel höchst unsicher gemacht wurden, das Mißtrauen der Behörden, das schlechte Unterkommen und tansend andere Unbequemlichkeiten waren gleichsam Schutzmauern, die zu übersteigen wenige Abendländer den Muth hatten. Dies ist nun in den letzten sechs Jahren bedeutend besser geworden. Trifft man auch im Innern der Türkei noch fast allent halben die primitivsten Verhältnisse an, so ist doch das Reisen daselbst jetzt in mancher Beziehung, besonders in Bulgarien, durch die ener gischen Bemühungen des ehemaligen Gouverneurs Midhat-Pascha erleichtert. Da in wenigen Jahren ein ziemlich bedeutendes Bahn netz vollendet und damit der Strom der Touristen auch in jene so wenig bekannten, hohes Interesse in vieler Beziehung bietenden Länder gelenkt werden wird, so erlaube ich mir, hier einige Bemer kungen über das Reisen heutigentags im Innern der Türkei zu geben, und lasse ich also die größeren Hafenstädte an der Donau sowohl als an den Meeresküsten unberücksichtigt, da diese natürlich bei leichterer Verbindung mit dem Abendlande und größerem Fremden verkehr viele Bequemlichkeiten bieten, die in den Binnenstädten durch aus zu vermissen, höchstens noch in Adrianopel und Philippopel anzutreffen sind. Mit der Vollendung der Bahnen wird auch hierin, wenigstens in den größeren Städten, die sie berühren, manche Ver besserung sich einstellen. Seitdem gute Chausseen in Bulgarien dem Verkehre zu Gebote stehen, ist daselbst die türkische Reitpost aufgehoben und es sind auf einzelnen Strecken Fahrposten eingerichtet worden. Wagen und Pferde derselben gehören einer Privatgesellschaft. Sonderbarerweise ist weder in Lom Palanka (an der Donau, unterhalb Widdin) noch in Berkofza (9 Meilen südlich von Lom in der Nähe des steilen Nordabfalles des Balkan), durch welche Orte doch jetzt der Hauptver kehr von dem Paschalik Sofia nach der Donau geht, eine Postanstalt, und von Lom aus kann man nur mit Privatfuhrwerk ins Innere gelangen, wo wieder selbst in ganz kleinen Städten, wie Jeni Han und Jchtiman (beide zwischen Sofia und Bazardschik) Posthaltereien sich befinden. .Die Postwagen sind offene, vierräderige Karren, aus tüchtigen buchenen Pfosten gezimmert, innen mit Eisenblech ausge schlagen und ohne alle und jede Bequemlichkeit, selbst ohne Sitze, und der Reisende muß froh sein, wenn er noch einiges Heu und Decken zur Unterlage erhalten kann. Der Wagenkörper liegt selbst verständlich direkt auf den Axen auf und wer sich solch einem Fuhr werke anvertraut, erhält alle Stöße, die bei dem sehr schnellen Fahren doch auch auf guten Straßen nicht ausbleiben, ungemildert und wird sicher nie in den Fall kommen, im Postwagen ein gemächliches Schläfchen zu machen. Der Arabatschi (von Araba—Wagen im Türk.) — Kutscher — sitzt mit untergeschlagenen Beinen vorn, hinter ihm ist noch Platz für Reisende, die sehen mögen, wie sie zu Fach kommen. Die Postpferde sind ausnahmslos kräftige, gutgenährte Thiere, welche tüchtig ausgreifen und den Reisenden rasch von Ort bringen. Bei größeren Strecken werden die Pferde etwa alle fünf (Fahr-)Stunden gewechselt. Diese Posten Verkehren übrigens nicht regelmäßig, unterscheiden sich aber von Privatfuhren darin, daß der Preis festgesetzt ist — derselbe beträgt für die türkische Wegstunde vier Piaster (etwa 8 Sgr.) — und daß man viel rascher befördert wird; man kann in einem Tage 15 Meilen zurücklegen. Europäer (der Türke nennt die Abendländer so) werden hierbei aber oft von den Postbeamten, obwohl diese meist Türken sind, übervortheilt. Nachts wird nicht gefahren. Nehmen zwei Reisende einen Wagen, so zahlt jeder für die Wegstunde 3 Piaster, sonst kann auch jeder für den gewöhnlichen Preis einen Wagen be sonders erhalten. Die Fuhrleute sind nicht berechtigt,'irgend welche Vergütung zu beanspruchen, indeß behält unser Sprichwort — wer gut schwürt, der gut fährt, — auch in der Türkei seine Richtigkeit. Angebettelt wurde ich übrigens nur einmal, als mich ein Vulgär! fuhr; der Türke ist zum Betteln zu stolz. Die Beförderung der aus dem Ausland kommenden und da hin gehenden Briefe ist auf den größeren Postrouten, wie z. B. Konstantinopel-Sofia-Belgrad, in den Händen Oesterreichs, web ches auch in mehrere der größeren Städte Postbeamte unter- Aus allen Weltteilen V. Iahrg- hält. Durch Sofia kommt die österreichische Fahrpost, welche übrigens mit der Beförderung von Personen sich nicht befaßt, von Belgrad und Stambul wöchentlich einmal und zwar abwechselnd Sonnabends nnd Sonntags. Die Briefbeförderung innerhalb des türkischen Reiches liegt der türkischen Regierung ob, die solche schlecht genug besorgt. Samakof, eine Stadt von 15,000 Einwohnern (10 Stunden südöstlich von Sofia) hat nach keiner Seite regelmäßige Postver bindung. Privatfuhrw?rke sind meist etwas theurer, als die Post. Man thut gut, beim Miethen eines solchen zugleich zu erklären, daß der Arabatschi für sich und seine Pferde in den Hans*) selbst zu sorgen und zu bezahlen habe, sonst deuten diese Herren das Schweigen gern zu ihren Gunsten. Von Lom bis Sofia — ungefähr 20 Meilen — habe ich für die dreitägige Fahrt 120 Piaster, etwa 8 Thlr., bezahlt, bin übrigens sonst nie mit solchen Wagen gefahren, obwohl dieselben etwas geräumiger als die Postkarren sind, da die Plane, welche sie überwölbt, die Aussicht beschränkt nnd durch ihre Niedrig keit das Sitzen äußerst unbequem macht. Am angenehmsten ist mir das Reisen zu Pferde gewesen. Die Miethe eines Pferdes beträgt für Fremde für den Tag etwa 10 Piaster — 2 Mark; Einheimische bekommen ein Thier für die Hälfte dieser Summe geliehen. Im Süden, in Thracien und Makedonien, hat man meist Maulthiere. Da ich in Samakof bekannt war, habe ich leicht ein Pferd bekommen, mußte mich allerdings an den türki schen Sattel gewöhnen, der außerordentlich breit ist. Die sehr kurzen Steigbügelriemen, welche den Reiter zwingen, die Füße weit herauf zu ziehen, sind nicht wie bei nns vorn am Sattel, sondern in der Mitte desselben befestigt. Ein fester Schenkelschluß wird dadurch fast unmöglich gemacht und der Reiter ist mehr aufs Balauciren ange wiesen. Zur Aufbewahrung von Decken, Nahrungsmitteln u. a. S-, die man auf einer Reise in jenen Ländern uothwendigerweise mit sich führen muß, dient ein Doppelsack, der aus einem Stück außer ordentlich haltbaren ziegenhärenen Zeuges in der Weise gefertigt wird, daß man beide Enden umschlägt und an den Seiten annäht. Ein Schlitz in der Mitte des Quersackes' ermöglicht das Aufhängeu desselben ani Hintern Sattelknauf. Oesters muß man sich, auch mit dem Samar, dem Packsattel, begnügen, einem Holzgestell ohne Steig bügel, deren Stelle meist ein Strick vertritt — anstatt der Prügel strafe dürfte sich ein mehrstündiger Ritt auf einem Samar empfehlen. Fußreisen sind in der Türkei mit ganz gehörigen Anstrengungen verknüpft, da man dann höchstens ein Plaid mit schleppen kann und nirgends in den Hans Bettzeug zu bekommen ist. Die Tagereisen müssen so eingerichtet werden, daß man noch vor 9 Uhr abends eine Nachtherberge erreicht. Auf den Dörfern ist oft schon zu dieser Zeit alles verschlossen und daun sind besonders die Bulgaren durch nichts zu bewegen, dem Reisenden zu öffueu, der gezwungen ist, im Freien zu übernachten: um so unangenehmer, wenn man hungrig und dur stig ist, keine Lebensmittel hat, von Hunden bedroht und zuguter letzt durch einen Regenguß hübsch eingeweicht wird, wie es mir zweimal erging. In den Städten soll jeder, der nach abends 9 Uhr ohne Laterne auf der Straße betroffen wird, arretirt werden; hierin machte sich jedoch in Sofia, wo auf der Tschartschia und am Konak**) nachts sogar eine Anzahl Laternen brennen, eine mildere Praxis, besonders in Bezug auf die wegen des Bahnbaues dort stationirten Europäer gel tend, welche sich nicht an diese frühe Polizeistunde gewöhnen können. Während der Nacht durchziehen Polizeipatronillen die Stadt, in der vorsichtigsten Weise immer ihre Anwesenheit durch Pfeifeu kund gebend. Vergnügungsreisende sind imJnnern derTürkei eineaußer- ordentlich seltene Menschensorte. Die Landeseingeborenen reisen fast nur in Regierungs- und Handelsangelegenheiten, Tscherkessen und Arnauten unternehmen Studienreisen, um die rationellste Art und ch Han heißt im Türkischen eine Herberge, ein Wirthshaus. s*) Die Hauptstraße oder das Stadtviertel einer Stadt, in welchen« sich Handel und Wandel konzentriren, wird in der Türkei Tschartschia (den Namen I Bazar hörte ich nie im Innern) genannt Konak (türkisch Wohnung) nennt 1 man überall das Haus, in dem die türkischen Behörden ihren Sitz haben. 17