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Wochen- und NachrichtMM zugleich 8tsch«fts-Ai>ztiger für HohiSors, MSlih, PcrMorf, RLsiittf, St. KBit», Heiirichsort, MarknM md Mülskn. Amtsblatt für den Sta-trat zu Lichtenstein. — 4». Jahrgang. — —— ——— — Nr. 88. Freitag, den 18. April 1890. Dieses Blatt erscheint täglich (außer Sonn- und Festtags) abends für den folgenden Tag. Vierteljährlicher Bezugspreis 1 Mark 28 Pf. — Einzelne Nummer 10 Pfennige. — Bestellungen nehmen außer der Expedition in Lichtenstein, Markt 179, alle Kaiser!. Postanstalten, Postboten, sowie die Austräger entgegen. — Inserate werden die viergejpaltene Korpuszeile oder bereu Raum mit 10 Pfennigen berechnet. Annahme der Inserate täglich bis spätestens vormittag 10 Uhr. Keine neue Aera! Keine neue Aera, so hat der Reichskanzler von Caprivi am Dienstag im preußischen Abgeordneten hause verkündet, aber viel wird anders werden! Der Reichskanzler hat seinem großen Vorgänger ein be redtes und treffendes Lob gezollt, er hat aber auch ausgesprochen, daß unter dem Fürsten Bismarck manche Wünsche nicht erfüllt seien, die jetzt wohl der Ver wirklichung entgegengeführt werden könnten. Herr von Caprivi hat darauf von allen Mitgliedern des Hauses einen solchen umfangreichen Wunschzettel vvr- gelegt erhalten, daß die Erfüllung der einzelnen Forderungen gut und gern Jahr und Tag bean spruchen kann. Aber es ist von vornherein ausge schlossen, daß die neue Regierung alles erfüllen kann, was die einzelnen Parteien fordern und das sieht man auch auf allen Seiten ein. Das Mögliche wird zur That werden, alles Uebrige, und es ist das Meiste, wird in geeigneter Weise klargestellt und damit erledigt werden. Aber das Mögliche wird immerhin schon genug sein und aus den so höflichen und doch sehr festen Worten des neuen Reichskanzlers ergiebt sich zur Genüge," daß die Zahl der Reformprojekte, welche ihrer Erfüllung entgegensehen, nicht gerade klein ist. Anders geworden ist schon der Gang der Parlaments- Verhandlungen : Die Feindschaft zwischen den einzelnen Parteien ist nur in einer ruhigen Erörterung der vorhandenen Gegensätze zum Ausdruck gekommen und der neue Mann am Steuer des Staatsschiffes hat ausnahmslos bei allen Parteien eine Aufnahme ge funden, wie noch kein Ministerpräsident in Preußen. So war es im Preußischen Parlament anders geworden und der Reichstag wird diesem Beispiel folgen. Ob Ruhe und Frieden lange anhalten werden ? Wer kann das wissen! Herr von Caprivi für seine Person hat jedenfalls den Willen, sich nach Möglichkeit mit den Volksvertretungen zu vertragen. Auf diese kommt es an. Der neue Reichskanzler ist kein Parteimann, wenn er auch sagt, es sollte keine neue Aera eintreten. Indessen sein Wort: „Wir werden das Gute nehmen, wo und von wem es uns geboten wird!" ist so klar und deutlich, daß Jeder im deutschen Reiche weiß, was er darunter zu verstehen hat. Herr von Caprivi will nach dem Befehle des Kaisers versuchen, mit allen Parteien zu regieren, er will allen entgegen kommen, aber er fordert auch von allen Entgegen kommen. Und hier der Kernpunkt, von welchem unsere künftige Entwickelung abhängt. Der Mann, welcher an der Spitze des Staates steht, kann nicht einseitig solche Wege einschlagen, die einem Teile der Bevöl kerung nützlich erscheinen, er muß das Ganze ins Auge fassen und die Parteien müssen ebenfalls das Ganze über kleine Sonder-Interessen stellen. Geschieht das nicht, so kann auch eine Mitarbeit nicht stattfinden. Der Charakter des „General-Reichskanzler" ist ein sehr versöhnlicher und liebenswürdiger, man hat Herrn von Caprivi auf allen Seiten des Abgeordnetenhauses sehr freudig begrüßt; aber die Honigwochen im Par lament dauern wie in der Ehe nur kurze Zeit und kann man sich dann nicht vertragen, nicht Jeder von beiden Teilen sich nach der Decke strecken, so bricht Unzufriedenheit aus. General von Caprivi sagte, er könne heute noch kein bestimmtes Programm aufstellen. Aber er weiß doch ganz genau, was er will, er wird sich nicht bald hierhin, bald dorthin ziehen lassen, sondern stracks seinen geraden Weg gehen. Die neue Politik ist eine praktische: Viel arbeiten und durch Thaten die schwebenden Fragen zu lösen, aber nicht Luftschlösser bauen und darüber die dürre Prosa außer Acht lassen. Darnach strebt der Kaiser, und Herr v. Caprivi ist ein Mann nach seinem Sinne. Die Verhandlungen im preußischen Abgeordneten hause haben schon erkennen lassen, daß im Reichstage der erste Gegenstand wieder die Finanzfrage sein wird. Die Arbeiterschutz Gesetzgebung wird glatt durchgehen, an eine schnelle Abänderung der Zollgesetzgebung ist bei dem Verhalten des Zentrnms nicht zu denken, wenn es auch wohl zu einzelnen Reformen im Zoll tarife kommen wird. Die Hauptfrage bleibt immer: Woher Geld zur endgiltigen Regulierung von Ein nahmen und Ausgaben im Reiche nehmen? Niemand hört das gern, aber was hilft alles Ohrenzustopfen, schließlich muß es doch gehört werden. Nehmen wir den Reichsetat zur Hand, streichen wir hier, streichen wir da, und wenn wir zu Ende sind, bemerken wir doch, daß das so Gesparte nur ein Tropfen auf dem heißen Stein ist. Und wenn wir uns einschränkten, wüklich das nicht Mögliche möglich machten, im nächsten Jahre erhält die Alters- und Jnvaliden- versorgung für Arbeiter ihre Giltigkeit, und dann wird jährlich mehr und mehr Geld gebraucht werden. Die Geldfrage ist eine fatale Sache für Staaten, wie für Private, aber bei gutem Willen und richtiger Er kenntnis kann eine Regulierung bei uns sehr leicht erfolgen und ohne neue besonders schwere Lasten. Reichstag und Reichsregierung müssen klar und ver ständig ins Auge fassen, was wir heute leisten, was wir noch zu leisten haben und welche Mittel wir be sitzen. Ist erst einmal Gewißheit da, wieviel wirklich gebraucht wird, dann kommen wir auch weiter und zum Ende. Doch ohne beiderseitigen guten Willen geht es nicht, darüber besteht kein Zweifel! Tagesgefchichte. *— Lichtenstein, 17. April. Im Kaufm. Verein im Saale des goldenen Helm hier, hielt gestern abend Herr Schuldirektor G. Gesell aus Chemnitz einen Vortrag über die s. Z. mit seiner Gattin unternommene Reise durch Oberitalien. Ueber die bei der Wanderung berührten Gegenden, Orte und Seen, z. B. den St. Gotthard, Lago Maggiore, Lugano, Commer- und Gardasee, sowie Verona und Venedig gab Redner interessante und fesselnde Reiseeindrücke, mit humoristischer Würze versehen, zum Besten und schilderte im allgemeinen die Sitten und Gebräuche der Bewohner. Aus dem zirka 2fts Stunden dauernden Vortrag (einschl. einer Pause von 10 Minuten) ging hervor, daß die Naturschönheiten des besprochenen Landes zwar un erreicht dastehen, in Bezug auf Bequemlichkeit, Ans heiterem Himmel. Erzählung von Gustav Höcker. (Nachdruck verboten.) (Fortsetzung.) „Nun gut, suchen Sie möglichst bald Ihre Pflegemutter auf und geben Sie sich ihr zu erkennen. Dann aber fort. Wollen Sie mir eine Freude machen, so folgen Sie mir als lieber Gast nach der Residenz; wir verleben dort einige Tage heitern Beisammenseins." In des Heldenspielers Antlitz stieg wiederum die Röte der Verlegenheit auf. „Das geht nicht an," fugte er nach längerem Schweigen, „ich habe hier Verpflichtungen zu erfüllen." „Wenn ich Sie wirklich als meinen Freund be trachten soll," drängte der Baron, „so dürfen Sie kein Geheimnis vor mir haben. Welcher Art find jene Verpflichtungen, die Ihrem freien Willen Fesseln anlegen?" Edwin wollte mit der Sprache nicht heraus, doch der Baron ließ nicht nach, ihn mit Fragen zu bestürmen, und da der kräftige Punsch ein nicht zu unterschätzender Bundesgenosse war, so schüttete der junge Schauspieler dem Mücen sein Herz aus und offenbarte ihm seine mißliche Lage. „Wenn es weiter nichts ist," lächelte Eulenstett, seinem Gaste eine neue Zigarette anbietend. „Da sollen Sie Ihrer Sorgen bald ledig sein. Ist Ihnen mit taufend Mark gedient, oder bedürfen Sie noch mehr? Nun offen und gerade heraus gesagt." „Ich würde mich für den leichtsinnigsten Menschen halten," erwiderte Edwin, „wenn ich als Junggeselle einer solchen Summe benötigte." „So behalten Sie sich davon was und wieviel Sie wollen." Damit drückte ihm der Sprecher eine Tausendmarknote in die Hand. Edwin überflvg ein Zittern ; in seinen bescheidenen Verhältnissen däuchie ihm Wcrtpapier ein unerschwing liches Kapital, auch geschah es zum ersten Mal, daß der schlichte Schauspieler einen Tausender zu Gesicht bekam. Mit stockendem Aiem sagte er: „noch weiß ich nicht, ob ich wache oder träume. Eins — Null — Null — Null — Eintausend Mark." Er seufzte schwer auf und schloß dann: „Der Grundmüller wird, wenn ich ihm morgen meine Schuld zahle, vielleicht gar Verdacht gegen mich hegen. Wie käme auch ein Mitglied der Schubertschen Gesellschaft zu einem solchen Vermögen." Eulenstett bedeckte sür einen Moment die Augen. „Sie könnten übrigens Recht haben," erwiderte er. „Der Steinert ist ein mißtrauischer Mensch. Geben Sie mir den Schein zurück, ich werde ihn mit einem andern vertauschen." „Aber, ich bedarf nicht einmal das Drittel einer solchen Summe," entgegnete Edwin, der Aufforderung seines Gönners nachkommend. „Nun gut," lächelte der Baron, „so geben Sie mir das Plus gelegentlich zurück. „Der Baron hatte einen Leuchter ergriffen und verschwand im Neben zimmer. Einige Minuten später kehrte er zurück und überhändigte dem Heldenspieler eine andere Bank note mit den Worten: Sehen Sie hier in der Ecke den Namenszug meines Vetters? Edwin las, Freiherr Egon von Kemmeritz. Dieses Zeichen wird Sie vor dem Mißtrauen des Grundmüllers schützen." „Aber, wie soll ich Ihnen danken, Herr Baron?" rief der Heldenspieler überwältigt. „Dadurch," lautete die Antwort, „daß Sie mir recht bald nach der Residenz folgen." Mit wahrhaft begeisterten Freundschaftsgefühlen schied Edwin von dem edlen Manne. IV. Der Herbsttag war schön, aber schwül. Selbst in der Schlucht des dunklen Grundes empfand man die Wirkung der sengenden Sonnenstrahlen, welche heute so mächtig brannten, als inmitten der heißen Jahreszeit. Der einsame Wanderer, welcher in der Schlucht den Weg nach der Grundmühle verfolgte, zügelte öfters den Schritt, um die auf der Stirn perlenden Schweißtropfen abzutrocknen. Dabei blickte er jedes mal zu dem schmalen Streifen Himmel empor, der in tiefem Aetherblau schimmerte. Zuweilen seufzte der Fußgänger auch auf, aber nicht wegen der herrschenden Hitze, wenn schon ihn dieselbe belästigte, sondern weil Kummer seine Brust bedrückte. Daheim stand es nicht zum besten. Seine Eltern erfreuten sich zwar guter Gesundheit, allein sie schlichen so betrübt umher, als ob irgend eines ihrer Lieben auf der Bahre läge. Die Geschäfte gingen in diesem Jahre sehr schlecht. Vater Schaller vermochte seinen Verpflichtungen beim besten Willen nicht nachzukommen und die Gläubiger drängten. Am rücksichtslosesten zeigte sich Steinert, welcher den Lammwirt bereits verklagt hatte. Die Pfändung stand bevor, welche das Schallersche Ehepaar um so